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„Wertigkeiten haben sich verschoben“

Drei Wochen nach dem Tod ihrer Freundin und langjährigen Trainingspartnerin Claudia Heill hat sich Sabrina Filzmoser zum zweiten Mal zur Europameisterin gekürt. Sie war traurig und glücklich zugleich, am Bosporus flossen Tränen. Denn Filzmoser hatte in Istanbul am Donnerstag ihre wohl härteste Prüfung bestanden.

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Dabei sind die Parallelen zur Heim-EM in Wien im vergangenen Jahr erschütternd. Damals starb Filzmosers Clubkollege Jürgen Daubinger beim gemeinsamen Training vor den Augen der Oberösterreicherin, die fassungslos mitansehen musste, wie der erst 33-Jährige nach einem Herzinfarkt im Welser Budokan starb. Zwei Monate vor der EM in Wien war der Sport für Filzmoser in den Hintergrund gerückt.

„Wertigkeit und der Stellenwert aller Wettkämpfe dieser Welt sind gerade völlig sinnlos für mich. Das Leben selbst ist es doch, das es zu schätzen gilt, egal welch’ wahnsinnig schwierige Herausforderungen oder Hürden man dabei zu überwinden hat“, sagte Filzmoser damals. Später musste sie sich erst im EM-Finale der Rumänin Corina Oana Caprioriu beugen, Filzmoser gewann die Silbermedaille.

Sabrina Filzmoser mit Trainer Udo Quellmalz

GEPA/M. Hoermandinger

Emotionale Momente

In Istanbul legte sie sogar Gold nach - den erneut prekären Umständen zum Trotz. Im Semifinale hatte sie sich an Caprioriu revanchiert, im Finale der dreifachen Europameisterin und aktuellen Vizeweltmeisterin aus Portugal, Telma Monteiro, keine Chance gelassen. Filzmoser faltete die Hände vor dem Gesicht und blickte nach oben. Es war wohl der emotionalste Moment in der Karriere der nun zweifachen Europameisterin, die wie ihre Teamkollegen erst unmittelbar nach dem Begräbnis Claudia Heills in die Türkei gereist war.

Gold für die Freundin

Heills Tod hatte im Vorfeld der EM tiefe Bestürzung und Erschütterung auch bei Filzmoser ausgelöst. Aus ungeklärten Gründen war sie am 31. März aus dem Fenster ihrer Wiener Wohnung im sechsten Stock gestürzt. Die Polizei ging von Selbstmord aus. Niemand wusste warum, niemand konnte sich das tragische Ableben der beliebten Ex-Sportlerin erklären. Ist es doch das Leben, das es, wie Filzmoser gesagt hatte, zu schätzen gilt. Die wahren Hintergründe kann niemand erahnen.

Ein Verzicht auf die EM-Teilnahme stand dennoch nicht zur Diskussion. Filzmoser wollte für ihre tote Freundin die Goldmedaille nach Hause bringen. Der Olympiazweiten Heill selbst war eine solche im Verlauf ihrer großartigen Karriere verwehrt geblieben. Umso schwerer wog dieser Erfolg für Filzmoser, die zwei Tage nach Heills Beisetzung in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof für ihre verstorbene Freundin - zum zweiten Mal nach 2008 - Gold entgegennehmen durfte.

Im Gedanken woanders

„Claudia wird sich mit mir freuen“, sagte Filzmoser. „Es war für meine emotionale Situation wichtig, dass ich noch am Dienstag von Claudia Abschied nehmen durfte. Ich habe für Claudia gekämpft. Diese Medaille gehört nur uns zwei“, so Filzmoser nach dem Finale, in dem sie als Außenseiterin gegen Monteiro die Oberhand behalten und gleichzeitig Revanche für die Niederlage im WM-Halbfinale in Tokio genommen hatte. „In mir sind in ungeahnte Kräfte freigeworden“, kommentierte die 30-Jährige ihren EM-Auftritt.

Auch bewahrte Filzmoser die Nerven und ihre Konzentration. Obwohl sie den ganzen Tag über, vor und während der Wettkämpfe und dazwischen nur an Heill gedacht habe. „Das war mein emotionalster Sieg, ganz sicher der wichtigste meiner Karriere. Die Gefühle sind unbeschreiblich“, sagte Filzmoser, die den sportlichen Erfolg nun richtig einzuordnen weiß, „denn durch den Tod haben sich meine Wertigkeiten verschoben“, sagte Filzmoser. Sie wisse nun, was wirklich zählt. Und meint damit das Leben.

Michael Fruhmann, ORF.at

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