Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel
Der organisierte Wettbetrug hat sich wie ein Krebsgeschwür im Milliardengeschäft Fußball festgesetzt. Meldungen, wonach seit 2009 allein in Griechenland 39 Spiele manipuliert wurden, schockieren kaum noch. Längst werden unerwartete Matchverläufe oder Fehler von Spielern offen mit Manipulation in Verbindung gebracht. Im Kampf um die Rettung der Glaubwürdigkeit vor Fans und Sponsoren ist es fünf vor zwölf.
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Im deutschsprachigen Raum bringt der Prozess gegen den Wettpaten Ante Sapina immer mehr dunkle Kapitel ans Licht - so auch die Manipulation des EM-Qualispiels zwischen Norwegen und Malta (4:0) im Juni 2007. Der 35-jährige Sapina wurde zwar Mitte April nach eineinhalb Jahren Haft auf freien Fuß gesetzt, beendet ist das Verfahren des geständigen Wettbetrügers aber noch lange nicht. 43 Partien in ganz Europa manipulierte Sapina mit Gehilfen 2008 und 2009, und „verdiente“ drei Millionen Euro. Auch Österreich ist seit Anfang März keine Insel der Seligen mehr, Sapina nannte vier Spiele in Bundesliga und Erster Liga.
Endlich Akteneinsicht für ÖFB und Bundesliga
Die Partien des SV Kapfenberg gegen Salzburg (29. August 2009/0:4), Rapid (23. September 2009/0:1) und gegen die Austria (28. Oktober 2009/1:0) soll der Deutsch-Kroate über einen Mittelsmann beeinflusst haben. Der damalige Kapfenberg-Profi Mario Majstorovic geriet nach Hinweisen der Bochumer Staatsanwaltschaft auf einen involvierten Defensivspieler öffentlich in Verdacht. Für den Ex-Austrianer und aktuellen Spieler von Columbia Floridsdorf gilt die Unschuldsvermutung, weil aus Bochum wie öfters im Sapina-Prozess nach ersten Berichten nichts nachkam.
Vor knapp zwei Wochen erhielten der Österreichische Fußballbund (ÖFB) und die Bundesliga nun endlich die Akteneinsicht, um die man sich seit den ersten Gerüchten über manipulierte Spiele vor rund eineinhalb Jahren bemüht hatte. Rechtsanwalt Herbert Hübel, Präsident des Salzburger Fußballverbandes, reiste nach Bochum und sichtete jene Akten, die wohl oben genannte Spiele und auch die Erste-Liga-Partie zwischen Hartberg und den Red Bulls Juniors am 22. September 2009 (0:7) betreffen könnten.

GEPA/Christian Ort
Jurist Thomas Hollerer, ein Mitglied der Task-Force gegen Wettbetrug
Alle an einem Strang
Angaben über Inhalt oder neue Erkenntnisse konnte der Jurist auf Anfrage von ORF.at zwar noch nicht machen, gemessen am Aktengesamtbestand im Mammutprozess sei der Anteil Österreichs aber sehr klein. Auch Verbandsjurist Thomas Hollerer wollte über den Stand der Ermittlungen und konkrete Hinweise nichts sagen, man werde die Öffentlichkeit aber nach Studium der Sachlage informieren. Wer seit Monaten bereitwillig redet, ist Ante Sapina. 650.000 Euro habe er aus der Zweitliga-Partie lukriert, „drei, vier Spieler von Hartberg“ habe er bestochen. Namen gibt es noch keine, vielleicht stehen sie in den Akten.
Die in Österreich vor fast zwei Jahren ins Leben gerufene Task-Force gegen Manipulation und Wettbetrug hat es sich unter anderem zum Ziel gemacht, den nationalen Schulterschluss von Verband, Liga, Buchmachern und Bundessportorganisation (BSO) im Kampf gegen die Wettmafia voranzutreiben. Das gemeinsame Vorgehen auf eine koordinierte internationale Ebene zu heben, muss laut Hollerer aber oberstes Ziel sein: „Wir können nur erfolgreich sein, wenn Behörden, Wettanbieter, Vereine, Ligen und Verbände an einem Strang ziehen.“
300 Milliarden Euro pro Jahr
Mit der Task-Force sei man im europäischen Vergleich fortschrittlich. „Noch ist es aber ein räumliches Problem, weil wir natürlich nur in Österreich agieren können“, betonte der ÖFB-Jurist. „Auf lange Sicht kann es nur gemeinsam und international funktionieren.“ Diverse Frühwarnsysteme, auch eines von Task-Force-Mitglied und Ligasponsor tipp3, brachten bisher nicht den durchschlagenden Erfolg, weil es noch immer zu viele Schlupflöcher gibt. Zahlreiche Wettanbieter in Asien, wo jährlich um die 300 Milliarden Euro legal und illegal gesetzt werden, sind in dieses System nicht eingegliedert.
„Das kriminelle Gegenüber hat das Tempo verschärft“, weiß auch tipp3-Vorstandsvorsitzender Philip Newald. Man habe es mit einem weltweiten Problem zu tun, daher müssten auch alle Kräfte und Systeme gebündelt und vernetzt werden. Alarmverzögerungen zeitlicher Natur bei auffälligem Wettverhalten oder lückenhafte Überwachung werden von der Wettmafia sofort ausgenutzt. „Sowohl der Fußball als auch die Wettanbieter brauchen aber einen sauberen Sport“, betonte Newald. Sonst könnten Fans, Medien und Sponsoren das Interesse verlieren.

dapd/Roberto Pfeil
Ante Sapina, Wettpate und seit drei Wochen wieder auf freiem Fuß
Wettmafia platziert Spieler in Ligen
Gerade in Asien operieren kleine Wettbüros oft als Zwischenhändler. Der Wetter bleibt anonym, das Wettbüro setzt sein Geld für ihn bei einem Onlineanbieter. Noch dazu dürfen weit höhere Summen gewettet werden als etwa in Europa. Das alles macht eine wirkungsvolle Überwachung so gut wie unmöglich. Spuren können kaum zurückverfolgt werden. Wenn ein Alarmsystem anschlägt, ist es oft schon zu spät bzw. können Manipulationen nur dann nachgewiesen werden, wenn ein Betroffener „auspackt“. So wird auch der Ruf nach gut ausgebildeten, behördlichen Kräften immer lauter.
Aus Insiderkreisen werden indes immer mehr Details bekannt, wie überlegt und mit welch enormer krimineller Energie die internationale Wettmafia vorgeht. So werden Spieler Monate oder gar Jahre vor den ersten Manipulationen gezielt in kleineren Ligen wie etwa in Österreich platziert, ums sie dann im Bedarfsfall zu „aktivieren“. Das im Vergleich zu Deutschland oder England überschaubare Leistungsniveau macht es in diesen Ländern noch leichter, Profis mit einem gewissen Können und hoher Stammplatz-Wahrscheinlichkeit unterzubringen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Der eine oder andere Patzer in entscheidenden Situationen kostet solche Spieler vor dem Hintergrund ihrer sonst soliden Leistungen nicht sofort den Platz im Team. Bei den Vereinen selbst wurde man in den letzten Monaten jedenfalls sensibilisiert. „Man hat schon gewisse Möglichkeiten“, meinte etwa Vienna-Manager Lorenz Kirchschlager im Gespräch mit ORF.at. Etwa den Werdegang und die Karriere eines Spielers vor dessen Verpflichtung ein wenig genauer anzusehen.
Auch bei der Vienna wurde mit Erdzan Beciri ein Spieler öffentlich verdächtigt, nachdem der Verteidiger Mitte April beim 2:3 gegen Austria Lustenau den entscheidenden Hands-Elfmeter verursacht hatte. Für Beciri gilt die Unschuldsvermutung, die Vienna hat die Sachlage des überhöhten Wettaufkommens in diesem Zusammenhang dem Justizministerium übermittelt. Bleibt den Clubs in Zukunft also nichts anderes übrig, als Leumundszeugnisse von neuen Spielern einzufordern oder gar deren persönliche Vergangenheit durchleuchten zu lassen? Die Zeit des Vertrauens scheint jedenfalls vorbei.
Wer verursacht den nächsten Elfmeter?
Eines der Hauptprobleme ist nach allgemeiner Ansicht auch die ausufernde Vielfalt der angebotenen Wetten. Welches Team hat den ersten Eckball oder den ersten Out-Einwurf. wer erhält die erste Gelbe Karte oder welche Mannschaft verursacht den nächsten Elfmeter? Diese Wetten mit bestochenen Spielern erfolgreich zu gestalten, ist nicht allzu schwierig. Gerade das Geschäft mit den Livewetten (also während des Spiels) boomt, ein Verbot ist trotz diesbezüglicher Überlegungen seitens der FIFA und UEFA in absehbarer Zeit kaum zu erwarten.
„Meiner Meinung nach sind diese Wetten viel schwerer zu überwachen“, sagte Ex-ÖFB-Boss Friedrich Stickler, Präsident der Europäischen Lotterien-Vereinigung, vor einigen Wochen zur Problematik der Livewetten. „Wenn man den Ball einfach ins Out spielt oder sich mit einem kleinen Foul eine Gelbe Karte abholt, muss man ja nicht einmal das Spiel beeinflussen“, so Stickler. „Die Verbände und Wettanbieter sollten sich zusammensetzen und besprechen, was man da tun kann.“
Enormer Schaden droht
Härtere Strafen gegen Betrüger in Wett-, Spieler- und Schiedsrichterkreisen könnten abschreckende Wirkung erzielen. Noch scheinen die Profis aus der kriminellen „Ringecke“ aber keine Gegner auf Augenhöhe zu haben. Die Mobilmachung gegen den Wettbetrug läuft daher nicht nur in Österreich an. Zu viel steht auf dem Spiel, der Schaden bei fortschreitendem Glaubwürdigkeitsverlust im Fußball wäre nicht nur wirtschaftlich enorm. „Eine Negativspirale, wie sie im Radsport durch das Problem Doping entstanden ist, muss verhindert werden“, kennt tipp3-Boss Newald ein Beispiel für den Niedergang einer Sportart.
Harald Hofstetter, ORF.at
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