„Man sieht, was möglich ist“
Dietmar Constantini durfte nach dem 1:2 in der EM-Qualifikation gegen Deutschland mehr Gratulationen entgegennehmen als nach seinen bisher sechs Siegen als ÖFB-Teamchef. „Schön, dass die Leistung besser als erwartet war. Davon kann ich mir aber nichts kaufen“, meinte er.
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„Man sieht aber, dass Potenzial da ist und was möglich ist“, fügte Constantini hinzu. Auf eine Diskussion, warum die rot-weiß-roten Fans dieses Potenzial nur sehr sporadisch zu sehen bekommen, wollte sich der 56-Jährige nicht einlassen.
„Jedes Spiel ist anders. Wenn wir immer auf diesem Standard spielen würden, wären wir nicht nur die Nummer 74 der Welt.“ Constantini brachte dafür lediglich die immer wieder hinzunehmenden Ausfälle von einzelnen Spielern als Argument. Manchmal laufe es eben gut, mal schlechter.

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Constantini über das Auf und Ab im Team: „Jedes Spiel ist anders.“
„Absolut überzeugende Performance“
Im Gegensatz zum Teamchef hatte ÖFB-Präsident Leo Windtner zumindest zwei mögliche Gründe für die Steigerung gegen Deutschland parat. „Auch wenn das Resultat nicht zufriedenstellend war - das Match und die Performance waren absolut überzeugend“, erklärte der Oberösterreicher.
Die Steigerung der ÖFB-Kicker im Vergleich zu den März-Partien war für Windtner mit der Prominenz des Gegners erklärbar. „Ein Match gegen Deutschland ist für die Spieler ein außergewöhnliches Match, in dem sie außergewöhnliche Leistungsgrenzen erkennen lassen. Da hat man auch gesehen, welches Potenzial sich in dieser Mannschaft befindet.“
Windtner gab aber auch zu, dass die Abwesenheit von Marko Arnautovic und das dadurch verbesserte mannschaftsinterne Klima einen Beitrag geleistet haben könnte. „So linear darauf zu schließen, wäre überzogen. Aber es ist klar, dass der Teamgeist diesmal besser war“, sagte der 60-Jährige und meinte: „Daraus die Schlüsse zu ziehen ist Sache des Teamchefs.“
Warum nicht immer so?
Alle Beobachter des Nationalteams stellten sich jedenfalls die Frage: Warum nicht immer so? Die Logik würde diktieren: Werden die Leistungen auf diesem Niveau konstanter, werden auch die positiven Resultate nicht ausbleiben. Im Folgenden Erkenntnisse aus dem Deutschland-Spiel, die positiv und negativ sind, Anlass zur Hoffnung geben, in manchen Fällen aber auch Fragen für die Zukunft aufwerfen.
Laufbereitschaft: Wie nicht nur Martin Harnik meinte, war die Laufbereitschaft das „große Plus“ des ÖFB-Teams im Duell mit Deutschland. „Wenn einer für den anderen läuft, dann kann man auch so einen Gegner schlagen“, meinte Stefan Kulovits. Jedenfalls demonstrierte die Nationalelf, dass sie nicht immer nur dem Gegner hinterherläuft - im Gegenteil. So zog David Alaba regelmäßig Philipp Lahm hinter sich her.
Motivation: Vor allem die fünf Deutschland-Legionäre machten von Beginn an „Dampf“, allen voran Harnik und David Alaba. Das ÖFB-Team wollte sich und allen Kritikern beweisen, dass doch mehr in der Mannschaft steckt als zuletzt gezeigt. Die Frage ist: Können sich die ÖFB-Kicker für jedes Spiel so motivieren? Es sei weniger ein EM-Qualifikationsspiel als ein Duell mit Deutschland gewesen, so Scharner. Dafür bräuchte es keine Zusatzmotivation.
Jäger statt Gejagter: Wie die Sportpsychologie weiß, hat es der Jäger immer leichter als der Gejagte. Für Fuchs und Co. scheint es besser zu sein, wenn von der Mannschaft nichts erwartet wird. Dann lässt es sich befreit aufspielen.
Standfeste Abwehr: Trotz zweier Gegentreffer machte die Abwehr über weite Strecken einen stabilen Eindruck. Der übliche Schnitzer, die bereits erwarteten Aussetzer in der Defensive blieben diesmal aus. Für eine Schrecksekunde sorgte nur Pogatetz, als ihm zu Beginn ein Gomez-Stanglpass durch die Beine rollte und ins Tor zu kullern drohte.
Auch Scharner machte als Innenverteidiger eine gute Figur. Für Teamchef Constantini ist der England-Legionär sowieso besser in der Verteidigung aufgehoben. Scharner ziert sich noch.

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Erwin Hoffer (re.) beschäftigte die DFB-Abwehr und Toni Kroos (liegend).
Zwei schnelle Spitzen: Mit Erwin „Jimmy“ Hoffer und Harnik setzte Constantini zur Abwechslung nicht auf eine groß gewachsene Solospitze, sondern auf zwei schnelle Angreifer. Auch wenn sich Hoffer nicht immer durchsetzen konnte, sorgte diese Variante für mehr Bewegung, mehr Gefahr und war für den Gegner weniger gut ausrechenbar.
Kaltschnäuzigkeit: Bei aller Euphorie gibt die Chancenauswertung zu denken. Bis auf die Festspiele von Brüssel, als sich das ÖFB-Team beim 4:4 gegen Belgien keine Torchance entgehen ließ, ist derzeit kein gnadenloser Vollstrecker im rot-weiß-roten Dress zu finden.
Mittelfeld: Das Mittelfeld kämpfte gegen Deutschland um jeden Zentimeter, leitete gut Gegenstöße ein. Fehlt dem ÖFB-Team dennoch ein kreativer Spielmacher, ein klassischer Zehner, ein Regisseur? Die Meinungen gehen auseinander. Während ORF-Experte Herbert Prohaska einen „Kreativen“ vermisst, meint Neo-Wr.-Neustadt-Coach Peter Stöger, dass das Kollektiv diese Aufgabe übernehmen sollte.
Arnautovic: Quo vadis, Marko? Der Werder-Legionär wäre so ein Kreativspieler. Doch diesmal lief es ohne den auffälligen Mittelfeldakteur besser als mit ihm gegen Belgien und die Türkei. Scharner sprach etwa davon, ohne einen Namen zu nennen, dass wieder Ruhe im Team eingekehrt sei und wieder „echter Teamspirit“ geherrscht habe.
Janko: Quo vadis, Marc? Der Twente-Torjäger ist oft verletzt und muss dem Team absagen. Der „Pro forma“-Teamkapitän kommt bei Constantini nicht zum Einsatz, wenn sich Alternativen anbieten. So zog der Teamchef schon Stefan Maierhofer dem Enschede-Legionär vor und seit Deutschland ist das Solo-Stürmer-System vielleicht überhaupt ad acta gelegt.
Gegen Lettland gefordert
Ob die ÖFB-Elf in Zukunft öfter solche Leistungen abrufen kann, wird sich erst weisen. Die nächste Möglichkeit dazu besteht bereits am Dienstag (20.30 Uhr, live in ORF eins) in Graz im freundschaftlichen Länderspiel gegen Lettland. Auch wenn hier mit zahlreichen Umstellungen im Team zu rechnen ist. Marc Janko, Paul Scharner und Emanuel Pogatetz sind bereits aus unterschiedlichen Gründen aus dem Teamkader entlassen.
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