„Habe meine Chance genutzt“
32 Tore hat Raul Santos in den vier Gruppenspielen der WM-Qualifikation erzielt. Als „Newcomer“ war der 19-Jährige ein wesentlicher Faktor für den Aufstieg des ÖHB-Teams in die Play-off-Phase im Juni. Mit elf Jahren war er mit seiner Mutter aus der Dominikanischen Republik nach Leoben gezogen, wo das Supertalent beim HLA-Verein zur verheißungsvollsten Zukunftshoffnung im österreichischen Handball heranwuchs.
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Ein Wechsel zu einem deutschen Bundesliga-Club oder in die spanische Liga scheint für den schnellen und sprunggewaltigen Flügelspieler nur eine Frage der Zeit zu sein. Nach einem Probetraining bei den Füchsen Berlin im Vorjahr verlängerte Santos seinen Vertrag bei Juri Leoben aber bis 2013. Warum das für ihn der beste Weg ist, wie sein Talent beim Kegeln entdeckt wurde, wie er die erste schwere Zeit in einem fremden Land erlebte und welchen Traum er seither verfolgt - das erläutert der lebenslustige Jungstar im Interview mit ORF.at.
ORF.at: Gratulation zu den Siegen gegen Israel. Kann man mit der Gruppenphase in der WM-Qualifikation rundum zufrieden sein?
Raul Santos: Auf jeden Fall. Wir haben gezeigt, dass wir gut Handball spielen können. Unsere Leistungen haben gepasst. Jetzt muss man abwarten, welchen Gegner wir für das Play-off bekommen. Ich freue mich schon auf zwei Spiele gegen eine große Mannschaft.
ORF.at: Sie sind nach dem Ausfall von Konrad Wilczynski zur Nummer eins am linken Flügel aufgestiegen und erfüllten Ihre Aufgaben sehr gut. Wie fällt die persönliche Zwischenbilanz aus?
Santos: Ich denke, dass ich meine Chance genutzt habe. Aber ich will immer mehr, bin nie ganz zufrieden mit mir. Es geht immer besser, ein paar Mal habe ich natürlich auch verworfen. Im Großen und Ganzen war meine Leistung aber in Ordnung.
ORF.at: Sie wirkten überhaupt nicht nervös, obwohl sie der jüngste Spieler im Team sind.
Santos: Na ja, es ist schon ein großer Unterschied zwischen einer HLA-Partie und einem Spiel mit der Nationalmannschaft. Ich war am Anfang schon ein bisschen nervös, die Aufregung war da. Aber vielleicht sieht man das bei mir nicht so, weil ich eher ein lockerer Typ bin (lacht). Ich versuche einfach reinzugehen und mein Spiel zu machen.

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In den wichtigen Spielen gegen Israel war Raul Santos nicht zu stoppen
ORF.at: Das Zusammenspiel mit den arrivierten Internationalen wie etwa Kapitän Viktor Szilagyi hat nahezu perfekt funktioniert. Haben Sie von deren Erfahrung profitiert?
Santos: Absolut, sie haben mir sehr geholfen. Wir haben im Team ein starkes Gefüge, passen gut zusammen. Alle reden viel miteinander, nicht nur auf dem Spielfeld. Ich habe von Viktor, Niko (Torhüter Nikola Marinovic, Anm.) und auch den anderen routinierten Kollegen viele Tipps bekommen. Da fällt es leicht, sich in die Mannschaft zu integrieren. Viktor ist auch als Persönlichkeit ein Vorbild. Er hat eine super Karriere gemacht und ist immer er selbst geblieben. Das will ich auch schaffen.
ORF.at: War Teamchef Johannesson mit Ihnen zufrieden? Ist er ein Typ Trainer, der sofort Feedback gibt und Einzelgespräche sucht?
Santos: Er spricht Fehler an, kritisiert aber nicht brutal. Es wird viel miteinander gesprochen, und das immer konstruktiv. Er baut mich nach Fehlern auf, macht mir aber auch klar, dass ich sie abstellen muss. Er hat zu mir gesagt, dass ich ruhig auch den einen oder anderen Trickwurf nehmen soll, weil ich eben dieser Typ Spieler bin. Dieses Vertrauen hat mir sehr geholfen. Man muss eben wissen, wo die Grenzen sind.
ORF.at: Experten bescheinigen Ihnen außergewöhnliche Schnelligkeit, Athletik und eine gute Wurfhand. Woran müssen Sie noch arbeiten, um ein „kompletter“ Spieler zu werden?
Santos: Im Handball ist vieles Kopfsache, also muss ich mental noch stärker werden. Das kommt zum Teil auch mit der Erfahrung, die ich natürlich noch sammeln muss. Körperlich sollte ich auch noch einiges zulegen (lacht).
ORF.at: In Leoben haben Sie ihren Vertrag bis 2013 verlängert - mit einer Ausstiegsklausel im Falle eines Angebots aus Deutschland oder Spanien. Gibt es schon konkrete Anfragen - vielleicht schon für die nächste Saison?
Santos: Es haben sich schon ein paar Clubs gemeldet. Für den Schritt ins Ausland will ich aber hundertprozentig bereit sein. Als junger Spieler kann man schnell Probleme kriegen, wenn man zu früh weggeht. Es muss viel zusammenpassen, das muss man sich gut überlegen. Wenn man sich bei einem Club wohlfühlt, kann es fast von alleine gehen. Ich habe in Leoben einen sehr guten Trainer (Volker Hage, Anm.), meine Familie, und ich wollte meine Ausbildung fertig machen. Deshalb bin ich geblieben. Was im Sommer passiert, wird man sehen.
ORF.at: Sie führen die HLA-Schützenliste mit 157 Toren an. Ein Wechsel zu Bregenz, Margareten oder Hard hat Sie nie gereizt?
Santos: Natürlich hat es das eine oder andere Gespräch gegeben. Aber die Lehre als Produktionstechniker bei der VOEST kann ich nur hier fertig machen. Außerdem ist Leoben im Moment ein sehr guter Verein für mich. Leider haben wir das Meister-Play-off verpasst, obwohl wir die Qualität dafür gehabt hätten.

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Für den HLA-Verein Juri Leoben ist Ausnahmetalent Santos ein echter Glücksfall
ORF.at: Wie sieht Ihr typischer Tagesablauf aus? Bleibt neben Arbeit, Training und Spielen noch Zeit übrig?
Santos: Nicht viel. Ich stehe um 5.00 Uhr auf, arbeite von 6.00 bis 14.00 Uhr oder bin in der Berufsschule. Ab 18.00 Uhr wird jeden Tag mit der Mannschaft trainiert, dazu kommen Kraft- und Konditionseinheiten. Am Wochenende ist Spiel. Wenn ich entspannen kann, spiele ich mit der PlayStation, treffe Freunde oder höre Musik. Früher bin ich gerne Skateboard gefahren, aber lassen wir das lieber. Da wurde viel Blödsinn geschrieben, über Unfälle und andere Sachen.
ORF.at: Sie sind mit Ihrer Mutter als Elfjähriger nach Österreich gekommen. Man konnte lesen, dass Ihre erste Zeit in Leoben ziemlich bewegt war. Wie haben Sie den Anfang in einem fremden Land erlebt.
Santos: Natürlich war es schwer für mich, vor allem mit einer fremden Sprache. Ich habe aber schnell Freunde gefunden und war viel unterwegs (lacht). Mit zwölf bin ich dann schon zum Handball gekommen.
ORF.at: Wie hat sich das ergeben?
Santos: Wir sind oft Kegeln gegangen, weil uns langweilig war - zum Chillen halt. Dort war dann einmal ein Vereinsverantwortlicher von Leoben und der hat mich angesprochen, ob ich nicht zum Training kommen will.
ORF.at: Das heißt, Ihr gutes ‚Händchen‘ wurde beim Kegeln entdeckt?
Santos: Ja, genau so war es. Ich bin zum Training gegangen, es war irgendwie komisch, und ich wollte wieder aufhören. Dann bin ich wieder hin, weil es gleich neben der Schule war. Ich habe weitergemacht und jetzt spiele ich im Nationalteam. Nicht schlecht gelaufen eigentlich (lacht).
ORF.at: Sie haben das Zeug dazu, im Handball viel Geld zu verdienen. Welche Motivationsrolle spielt das für Sie?
Santos: Ganz klar eine große Rolle. Ich will das Leben eines Handball-Profis führen, und dazu gehört Geld. Ich kann dann von meinem Hobby gut leben. Und ich weiß jetzt auch, dass normal arbeiten gehen nicht immer lustig ist. Das Leben als Profi war immer mein Traum, das große Ziel in meinem Leben."
Das Gespräch führte Harald Hofstetter, ORF.at
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