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Lachen mit Händen und Füßen

Neben den sportlichen Aspekten machten auch viele vermeintliche Nebensächlichkeiten den Reiz der EM aus. In Charkiw und Donezk, den östlichsten EM-Städten, hatte ORF.at die Gelegenheit, die Spiele der Gruppen B und D mitzuverfolgen. Was nach zwei intensiven Wochen blieb, waren bei weitem nicht nur fußballerische Eindrücke eines stimmungsvollen ukrainischen Sommers.

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Spektakuläre Stadien dank Milliardären

In Charkiw brachte Alexander Jaroslawski das schmucke und 35.000 Zuschauer fassende Metalist-Stadion für die EM in Schuss. Rund 300 Kilometer südlich errichtete Oligarchen-Kollege Rinat Achmetow die bombastische Donbass Arena, um seiner Familie laut eigenen Aussagen mit Schachtjor Donezk ansprechenden Fußball zeigen zu können. An der Vergabe der Euro 2012 an die Ukraine und die „Host City“ Donezk war der Multimilliardär damit nicht unwesentlich beteiligt.

Diese beiden EM-Arenen boten sowohl von außen als auch innen spektakuläre Ansichten. Gastronomie-Bereiche, VIP-Räumlichkeiten, Tribünen und Medienzonen - alles vom Feinsten. Ein Rückbau nach dem Turnier wie etwa nach der Euro 2008 das Tivoli-Stadion in Innsbruck, war hier von Beginn an nicht zu befürchten gewesen. Einen langsamen Verfall, wie ihn das Klagenfurter EM-Stadion am Wörthersee in den letzten Jahren erleben musste, konnte man ebenfalls ausschließen.

„Oranje“-Fans feiern trotzdem

Die Leistungen ihrer Helden war nicht zum Jubeln. Gefeiert wurde im Lager der niederländischen Anhänger trotzdem rund um die Uhr. 10.000 „Oranje“-Fans hatten Charkiw zehn Tage lang fest in der Hand. Höhepunkt der Spieltage war jedes Mal der „Marsch der Holländer“ von der Fanzone am „Svobody Square“ quer durch die Stadt zum EM-Stadion, wo sie sich trotz der bitteren Niederlagen gegen Dänemark, Deutschland und Portugal fröhlich und vorbildlich fair verhielten.

"Marsch der Holländer" von der Fanzone am "Svobody Square" quer durch die Stadt zum EM-Stadion

Reuters/Vasily Fedosenko

Friedliche Invasion der Niederländer in Charkiw

Sehenswert das perfekt organisierte „Oranje-Camping“ am Stadtrand, wo im Laufe der Vorrunde zwischen 700 und 1.000 Niederländer in eigenen mitgebrachten und gemieteten Zelten schliefen - zumindest ein paar Stunden. 210 Euro zahlten sie für einen dreitägigen Aufenthalt, knapp 1.000 Euro für die komplette Gruppenphase. Im Vergleich zu den sonstigen Quartierpreisen war das ein echtes Schnäppchen.

Raubrittertum im Osten

Die EM in einem Land abzuhalten, das touristisch so gut wie gar nicht erschlossen ist und in dem sich viele Menschen erst sehr langsam dem westlichen Lebensstandard annähern, hatte diesbezüglich nämlich auch Schattenseiten. Als der Europäische Fußballverband (UEFA) der Ukraine 2007 das Turnier gemeinsam mit Polen zusprach, hatten zahlreiche „Business“-Leute im Osten wohl schon die Dollar-Zeichen in den Augen. Möglichst viel Geld innerhalb weniger Wochen zu verdienen, war bei manchen die Maxime.

So waren die Hotelpreise in den Euro-„Host Citys“ eine einzige Frechheit. Für ein sauberes, aber spartanisch eingerichtetes Zimmer auf österreichischem Zweisterneniveau blätterte ein Kollege in Charkiw 500 Euro pro Nacht hin. Eine rund 20-minütige Taxifahrt zum Bahnhof kostete, wenn man bei der Preisverhandlung von ukrainischen Begleitern „beschützt“ wurde, knapp vier Euro. Wagte man sich alleine an dieses Unternehmen, verlangte der gute Mann mindestens 20 Euro.

Gastfreundschaft und Herzlichkeit

Die teilweise praktizierte Abzocke war die Kehrseite der Medaille. In erster Linie präsentierten sich die Menschen in Charkiw und Donezk als pragmatische, aber durchaus charmante und humorvolle Gastgeber. Die von der UEFA ausgewählten und eingeschulten Volunteers waren freundlich und zuvorkommend wie bei fast allen Großveranstaltungen. Wirklich Spaß machte es aber, bei der Frage nach dem Weg oder dem nächsten Bankomaten auch Hände und Füße einzusetzen.

Es war immer wieder erstaunlich, wie gut man miteinander kommunizieren konnte, ohne ein einziges Wort voneinander zu verstehen. Man durfte sich nur nicht von den auf den ersten Blick harten Gesichtern der warmherzigen Menschen abschrecken lassen. Freude, gute Laune und sonstige Emotionen wurden in der Ukraine nicht offen vor sich hergetragen. Ein herzliches Lachen kam oft erst zum Vorschein, wenn man ins Gespräch gekommen war.

Land unter in Donezk

Was während eines Fußballspiels so alles passieren kann, erlebte man beim Spiel zwischen der Ukraine und Frankreich in Donezk. Gerade hatte der Schiedsrichter die Partie angepfiffen, als der um 19.00 Uhr Ortszeit plötzlich pechschwarze Himmel über der Donbass Arena seine Schleusen öffnete. Innerhalb kürzester Zeit fuhren unzählige gigantische Blitze nieder und verwandelte sich die Pressetribüne in ein schwimmendes, klatschnasses und überall tropfendes „Entertainment Center“ mit vielen unfreiwilligen Hauptdarstellern.

Journalisten unter Regenplane

ORF.at/Stanislaw

Mit den Kollegen Andreas Barth (l.) und Oliver Polzer (m.) im Gewitter

Wer konnte, rettete sich in die Katakomben der hypermodernen Arena. Der Rest versuchte, Laptop und sonstiges technisches Equipment vor den Fluten zu schützen. Selbstverständlich trotzte die ORF-Abordnung Wind und Wellen. Kollege Oliver Polzer kommentierte die einstündige Regenpause beinahe durch. Fahrer Stanislaw eilte herbei, um den für drei Personen angelegte „Media Desk“ und dessen Besatzung mit Plastikplanen, Überwürfen und sogar Taschentüchern zu bearbeiten. Frankreich gewann das Spiel, wir den Kampf gegen die Elemente.

Charkiw – Donezk im EM-Pendlerzug

Drei Spiele der Gruppe B in Charkiw und drei Pool-D-Partien in Donezk führten zwangsläufig zum Pendlerdasein. Die Ost-Ukraine mit dem Zug zu bereisen, war während der EM die wohl angenehmste aller möglichen Varianten – abgesehen von der unchristlichen Abfahrtszeit des täglichen „Euro-Trains“ vom Hauptbahnhof Charkiw um 6.25 Uhr. Die strikte Pünktlichkeit war fast schon unangenehm, alle Garnituren nagelneu. In der zweiten Klasse war der Erlebnisfaktor mit Fans aus der Ukraine, Frankreich und den Niederlanden jedenfalls höher.

Ein paar Besonderheiten, die dem Zugreisenden aus Mitteleuropa unbekannt sind, machten das „EM-City-Hopping“ noch interessanter. Die Waggone waren mit Flachbildschirmen ausgestattet. Mit abstrusen Zeichentrickfilmen direkt aus der Hölle wurde man auf diese Art in ohrenbetäubender Lautstärke beschallt und auch optisch penetriert. Wer davon keine Alpträume bekam, konnte den Adrenalin-Junkie im Manne mit einer Kombination aus abgepacktem Lachs-Sandwich (ohne erkennbares Datum) und einem Becher Instant-Kaffee zufriedenstellen.

Wiener Busfahrer chauffieren Teams

Was einem nur zufällig auffällt, wenn man einen näheren Blick auf einen der insgesamt 16 Mannschaftsbusse wirft: Alle Teams in der Ukraine sowie in Polen waren mit nagelneuen, modern ausgestatteten Fahrzeugen mit Wiener Kennzeichen unterwegs – und mit Wiener Busfahrern. Beim Plaudern mit den Landsleuten vor dem Stadion in Charkiw, wo sie soeben die Stars der Niederlande und von Portugal abgesetzt haben, sind einige interessante Details zu erfahren.

Wiener Kennzeichen am Bus der Portugiesen

ORF.at/Harald Hofstetter

Österreichs Beitrag zur Euro 2012

Ihre Reise in die Ost-Ukraine hatte drei Tage gedauert, ohne ständige Polizeieskorte wären es sogar vier gewesen. Pflegeleicht, unkompliziert seien sie, die Starkicker und ihre Betreuer. Auf dem Weg ins Stadion wurde meistens laut Musik gehört. Während des Spiels mussten die Fahrer beim Bus bleiben, falls Zeugwarte oder Teamverantwortliche irgendetwas dringend benötigen sollten. Beim Gedanken daran, wie viele hundert Millionen Euro man da durch die Gegend kutschiert, musste man jedenfalls gut auf die teilweise holprigen Straßen achten.

Harald Hofstetter, ORF.at aus Donezk

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