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Der Ring wird zur Zirkusmanege

Die Dominanz der Brüder Wladimir und Witali Klitschko hat dem Boxsport in den letzten Jahren nicht gerade in die Karten gespielt. Viele Boxer werden medial kaum noch wahrgenommen. Der Schritt aus dem Schatten der beiden Ukrainer erfolgt deshalb nicht auf dem sportlichen Weg, sondern über ein rüpelhaftes und völlig intelligenzfreies Auftreten, das Publikumsinteresse schüren soll.

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Der Boxring wird zur Zirkusmanege, unter diesem Aspekt ist wohl der Kampf zwischen den beiden Briten David Haye und Dereck Chisora anzusiedeln. Wladimir Klitschko, der letzte Woche seine WM-Titel gegen Tony Thompson mit einem klaren K. o. verteidigt hat, hat das Spektakel bereits als „Freak-Show“ abqualifiziert. Auch Boxfreunde auf der Insel meinen, der einst als edel angesehene Faustkampf sei dank solcher Duelle nicht mehr weit von den Wrestling-Shows US-amerikanischer Machart entfernt und werde der Lächerlichkeit preisgegeben.

Die Boxer David Haye und Derek Chisora

APA/EPA/Faccundo Arizzabalaga

Muhammad Alis Pressekonferenzen hatten noch etwas mehr Stil

Ruch von Blut und roher Gewalt

Chisora-Trainer Don Charles hält große Stücke auf seinen Schützling. „Ich würde so weit gehen zu sagen, dass er ein Genie ist“, formulierte der Trainer des Briten bei einer Pressekonferenz vor dem Schwergewichtskampf gegen Landsmann Haye. Der Rest der Boxwelt siedelt Chisora dagegen irgendwo zwischen einem Ring-Clown und einem Kleinkriminellen an. Und die Umstände des Kampfes, der am Samstag im betagten Stadion des Londoner Traditionsfußballclubs West Ham United steigt, sprechen dieser Einschätzung nicht gerade entgegen.

Promoter Frank Warren gab sich alle Mühe, dem Kampf den Ruch von Blut und roher Gewalt zu verleihen - nichts ist zu niedrig, wenn es darum geht, Publikumsinteresse anzukurbeln. So ließ er die Boxer bei einer Pressekonferenz von einem eisernen Bauzaun voneinander trennen und sie dann wie Tiere im Käfig grimmig durch die Gitterstäbe blicken. Die üblichen Todesdrohungen und Hasstiraden samt K.-o.-Ankündigung mit Rundenangabe beiderseits durften natürlich auch nicht fehlen.

„Peinlich und ekelhaft“

Chisora hatte sich nach seiner klaren Niederlage gegen den älteren Klitschko-Bruder Witali im Februar in München vor laufenden Fernsehkameras nach gegenseitigen Beleidigungen und sogar Morddrohungen mit Haye geprügelt. Als dann Flaschen flogen, verließ Witali Klitschko den Raum. „Blutige Gesichter bei einer Pressekonferenz. Das ist eine Schande für das Boxen, peinlich und ekelhaft“, war Wladimir von dem britischen Duo angewidert.

Bereits zuvor hatte Chisora Witali Klitschko beim Wiegen geohrfeigt und dessen Bruder Wladimir kurz vor Kampfbeginn bespuckt. Der britische Verband entzog ihm deswegen die Boxlizenz. Um die Show in London trotzdem steigen lassen zu können, musste Chisora auf einen höchst umstrittenen Trick zurückgreifen. Er boxt nun mit einer luxemburgischen Lizenz. Genauso wie sein Kontrahent: Haye hatte seine Lizenz schon vor der unfreiwillig komischen Aktion in München zurückgegeben. Er beantragte eine neue nicht in seinem Heimatland, sondern ebenfalls in dem kleinen Großherzogtum.

David Haye

APA/dpa/Claus Hergot

Bereits in München überschritten Haye und Chisora die Grenzen

Nur über Klitschkos ans große Geld

So führt bei dem Kampf kurioserweise auch nicht das einheimische British Boxing Board of Control (BBBofC) die Aufsicht, sondern die luxemburgische Boxföderation. Wer genauer hinsieht, erkennt, was wirklich hinter der merkwürdigen Konstruktion steckt. Es geht um Kämpfe gegen die Klitschko-Brüder - und damit ums große Geld, das im krisengeschüttelten Schwergewicht im Moment nur über die beiden Brüder aus der Ukraine zu verdienen ist.

Auf dem Spiel stehen der vakante Titel des International Champions der WBA und der des WBO-Intercontinental-Champions. Wer die Titel hält, ist automatisch unter den ersten 15 der Weltrangliste des jeweiligen Verbandes - und damit berechtigt, den Weltmeister herauszufordern. Haye schwebt außerdem noch eine Revanche gegen Witali Klitschko vor, nachdem er gegen Wladimir auf verlorenem Posten gestanden war und danach über seine Zehenverletzung geklagt hatte.

ARD-Rückzug wegen moralischer Bedenken

Promoter Warren, der den Kampf vermarktet, hat noch eine andere Intention: Er will seinem hauseigenen Box-Fernsehsender Boxnation einen Schub geben. Bisher laufen dort vor allem ausländische Kämpfe, etwa mit Boxern aus dem deutschen Sauerland-Stall. In Deutschland wird der Kampf nur über Pay-per-View zu sehen sein. Die öffentlich-rechtliche ARD wollte den Kampf ursprünglich übertragen - zog dann aber wegen moralischer Bedenken zurück.

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