Ein erschreckendes Sittenbild
Die sieben Titel von Lance Armstrong bei der legendären Tour de France könnten bald aus den Geschichtsbüchern gestrichen werden. Die US-Anti-Doping-Agentur (USADA) hat mit der Veröffentlichung detailreicher Dokumente über die jahrelangen Praktiken Armstrongs und seines Teams US-Postal ein erschreckendes Sittenbild gezeichnet, das den ohnehin kriselnden Radsport noch tiefer in Verruf stürzt.
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Vor allem die beeideten Zeugenaussagen von 26 Personen bringen Armstrong schwer in Bedrängnis. Insgesamt elf Ex-Weggefährten, darunter Tyler Hamilton, George Hincapie, Michael Barry und Floyd Landis, belasten den heute 41-jährigen Texaner. Für sie gab es nach Bekanntwerden ihrer Aussagen durch den USADA-Bericht keinen Grund mehr, mit der Wahrheit hinter dem Berg zu halten. Was folgte, war eine Geständnisflut. Die ehemaligen Kollegen packten der Reihe nach aus.

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Gute Miene zum bösen Spiel: Hincapie war voll mit verbotenen Substanzen
Keine Chance ohne verbotene Substanzen
Hincapie, der bei allen sieben Tour-Siegen an der Seite von Armstrong fuhr, gab den Gebrauch von Dopingmitteln während seiner aktiven Zeit zu. „Wegen der Liebe zu meinem Sport, den Beiträgen, die ich geleistet habe und dem, was der Sport mir über die Jahre gegeben hat, ist es für mich sehr schwer, heute einzugestehen, dass ich während eines Teils meiner Karriere verbotene Substanzen genommen habe“, schrieb der US-Amerikaner in einer Mitteilung auf seiner Website über die Zeit bis 2006.
Ihm sei schon früh klar geworden, dass man wegen der verbreiten Anwendung leistungssteigernder Mittel nicht ohne diese in der Spitze mithalten könne, beschrieb der 39-Jährige sein Dilemma. Auch Barry bedauerte seinen Fehltritt und beteuerte, seit 2006 sauber gewesen zu sein. „Ich habe gedopt. Es war eine Entscheidung, die ich tief bereue“, schrieb der Kanadier, der bis zuletzt für das Team Sky fuhr und wie Hincapie heuer zurückgetreten war.
Kronzeugenregel für vier aktive Fahrer
Neben Hincapie und Barry gestanden aber auch die vier noch aktiven Fahrer Levi Leipheimer, Christian Vande Velde, Tom Danielson und David Zabriskie Doping. Armstrongs ehemalige Teamkollegen wurden von der USADA aufgrund der Kronzeugenregel rückwirkend mit 1. September jeweils für sechs Monate gesperrt. Das geht aus unterschriebenen Dokumenten hervor, die die USADA veröffentlichte. Darin nahmen die Profis ihre Strafen an
„Ich akzeptiere, dass ich die volle Verantwortung trage“, schrieb Zabriskie in einem Statement auf seiner Homepage. Das Teammanagement habe ihm die Dopingmittel präsentiert und auch gezeigt, wie man vorgehen müsse. „Es ist passiert, und es könnte mir nicht mehr leidtun“, erklärte der 33-jährige US-Amerikaner, der von 2001 bis 2004 an der Seite von Armstrong fuhr und mittlerweile für das Team Garmin-Sharp startet.

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Laut seiner Aussage wurde Zabriskie 2003 von Bruyneel zum Doping überredet
Vande Velde hat „Grenze überschritten“
Vande Velde gehörte von 1998 bis 2003 zu Armstrongs Helfern und legte im Zuge der Ermittlungen gegen seinen Ex-Teamkapitän ebenfalls ein öffentliches Geständnis ab. „Meine Fehler in der Vergangenheit tun mir sehr leid, und ich weiß, dass es viel verlangt ist, um Vergebung zu bitten. Ich habe nachgegeben und eine Grenze überschritten, eine Entscheidung, die ich tief bereue“, erklärte der 36-Jährige, der allerdings klarstellte, dass er bereits lange vor seinem Wechsel zu Slipstream im Jahr 2008 wieder saubere Rennen fahre.
Vande Velde, Danielson und Zabriskie stehen derzeit alle beim Team Garmin unter Vertrag. Sie betonten unisono, seit dem Wechsel zum Team von Jonathan Vaughters sauber zu sein. Vaughters ist ebenfalls ein ehemaliger Teamkollegen von Armstrong und in seiner Funktion als Teamchef seit Jahren ein lautstarker Fürsprecher im Anti-Doping-Kampf. Wie der US-Rennstall bekräftigte auch Leipheimers Arbeitgeber Omega Pharma-Quick Step, einen strengen Anti-Doping-Kurs zu verfolgen. Der US-Profi hat seinerseits Doping von 2000 bis 2007 gestanden.
Armstrong gibt sich unbeeindruckt
Die USADA, die Armstrong bereits lebenslang gesperrt hat und alle Ergebnisse seit dem 1. August 1998 gestrichen hat, führte in ihrem mehr als 1.000 Seiten umfassenden Akt eine Vielzahl an Dokumenten als Beweismittel auf. Aufzeichnungen von Zahlungen, E-Mails, wissenschaftliche Daten und Labortests sollen neben den Aussagen die Schuld von Armstrong beweisen. US Postal habe das „ausgeklügeltste, professionellste und erfolgreichste Dopingprogramm betrieben, das der Sport jemals gesehen hat“, erklärte die USADA.
Armstrong selbst zeigte sich nach der Veröffentlichung unbeeindruckt. „Was mache ich heute Abend? Ich verbringe Zeit mit meiner Familie, ungerührt“, schrieb der US-Amerikaner auf „Twitter“ nach der Publikation des USADA-Berichts und verlor kein Wort über das erschreckende Bild, das über ihn und seinen ehemaligen Rennstall gezeichnet wird. Erkennt der Radsport-Weltverband UCI allerdings das USADA-Urteil an, werden dem 41-Jährigen alle von 1999 bis 2005 errungenen Tour-Siege aberkannt. Der UCI hat dafür nun 21 Tage Zeit, um ein Urteil zu fällen.
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