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„Epoche muss gekennzeichnet sein“

Die erfolgreichste Zeit eines Athleten bei der berühmtesten Radrundfahrt der Welt ist aus den Geschichtsbüchern gelöscht worden. Lance Armstrong wurden am Montag vom Radsport-Weltverband (UCI) alle sieben von 1999 bis 2005 errungenen Titel wegen des Dopingskandals aberkannt. Für Tour-Direktor Christian Prudhomme war die Entscheidung nicht überraschend, sondern „total logisch“.

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Tour de France Direktor Christian Prudhomme

APA/EPA/Yoan Valat

Prudhomme möchte die Armstrong-Ära aus der Tour-Geschichte tilgen

Der 51-Jährige hofft allerdings nun auch, dass der UCI einen Schritt weitergeht. Prudhomme wiederholte erneut seinen Wunsch, die Titel in dem „verlorenen Jahrzehnt“ nicht an die damals Zweitplatzierten neu zu vergeben. „Diese Epoche muss gekennzeichnet sein durch das Fehlen von Siegern“, erklärte der Franzose. Noch ist diesbezüglich alles offen, denn der UCI wird erst am Freitag seine Entscheidung bekanntgeben.

Überdies stellte Prudhomme eine Rückzahlungsforderung von Armstrongs Siegesprämien. „Das Reglement der UCI ist deutlich: Wenn einem Fahrer der Platz aberkannt wird, der Geld einbringt, muss er (das Preisgeld, Anm.) zurückzahlen“, sagte Prudhomme. Nach Berechnung der Sportzeitung „L’Equipe“ hatte der US-Amerikaner bei seinen Tour-Triumphen insgesamt knapp drei Millionen Euro Preisgeld gewonnen.

2006 und 2010 wurde nachgereiht

Der UCI will sich indes in beiden Angelegenheiten in seiner Entscheidungsfindung nicht drängen lassen. „Wir werden das am Freitag bekanntgeben“, stellte UCI-Präsident Pat McQuaid klipp und klar fest. Der 63-jährige Ire wies auch darauf hin, dass die Entscheidung nur beim Weltverband und nicht bei den Tour-Organisatoren liegt, was von Prudhomme zur Kenntnis genommen wurde.

Video dazu in iptv.ORF.at

Die Entscheidung, eine siebenjährige siegerlose Zeit zu schaffen, würde aber von der Handhabung in der jüngeren Vergangenheit abweichen. Zuletzt erbten nämlich sehr wohl zwei Fahrer den Titel. 2010 wurde der Luxemburger Andy Schleck statt Alberto Contador nachträglich zum Sieger ernannt. 2006 bekam der Spanier Oscar Pereiro nachträglich statt Floyd Landis das Gelbe Trikot zugesprochen. Sowohl der US-Amerikaner als auch der Spanier wurden nachträglich wegen Dopings disqualifiziert.

„Alles muss verschwinden“

Angesichts der weitverbreiteten Dopingszene im Fahrerfeld während der Armstrong-Ära sieht Prudhomme allerdings diesmal gar keine andere Wahl, als auf eine Neuvergabe des Tour-Titels zu verzichten. „Es darf keinen Gewinner geben. Wir wollen eine leere Siegerliste. Betrachtet man es logisch, dann müsste eigentlich alles verschwinden“, sagte Prudhomme und spielte damit auch auf Armstrongs Comeback-Jahr 2009 an, als der US-Amerikaner den dritten Platz holte.

Sollte auch dieser Rang aberkannt werden, würde als Armstrongs beste Tour-Platzierung dann ein 36. Platz aus dem Jahr 1995 verbleiben. Der US-Amerikaner nahm auch 1993, 1994 und 1996 an der Frankreich-Rundfahrt teil, erreichte das Ziel in Paris aber nicht.

Andy Schleck, Alberto Contador und Lance Armstrong bei der Siegerehrung der Tour de France 2009

APA/EPA/Ian Langsdon

2009 beendete Armstrong sein Tour-Comeback auf dem dritten Rang

Die möglichen Erben und ihre Vergehen

Bezüglich seiner Forderungen, keinen Sieger nachzubennen, hat Prudhomme nicht Unrecht, denn die Siegerpodeste von 1999 bis 2005 waren alles andere als eine dopingfreie Zone. Alle acht Fahrer, die in den sieben Jahren neben Armstrong auf dem Stockerl standen, wurden der Verwendung verbotener Substanzen überführt oder zumindest des Dopings verdächtigt. Von einem würdigen und sauberen Armstrong-Erben kann also kaum ausgegangen werden.

  • Jan Ullrich war dreimal Zweiter (2000, 2001, 2003) und einmal Dritter (2005). Der Deutsche hat bereits mehrmals erklärt, das Gelbe Trikot nicht im Nachhinein zu wollen. Der inzwischen 38-Jährige war im Februar 2012 vom Internationalen Sportgerichtshof (CAS) wegen nachgewiesenen Dopings im Rahmen der Fuentes-Blutdopingaffäre für zwei Jahre bis zum 22. August 2013 gesperrt worden. Während seiner aktiven Profizeit von 1994 bis 2006 hatte Ullrich Doping stets bestritten und tat sich auch nach seiner Verurteilung mit einem Eingeständnis schwer, obwohl Indizien seit langem schwer auf ihm gelastet hatten.
  • Joseba Beloki war einmal Zweiter (2002) und zweimal Dritter (2000, 2001). Der Baske war 2006 - so wie Ullrich und Ivan Basso - von der Tour ausgeschlossen worden, weil er mit Fuentes zusammengearbeitet haben soll.
  • Der Schweizer Alex Zülle (Zweiter 1999) wurde im Zuge des Festina-Skandals 1998 mit der gesamten Mannschaft von der Tour ausgeschlossen. Festina-Teamchef Bruno Russel gab zu, dass in seinem Team unter ärztlicher Aufsicht gezielt gedopt worden ist. Zülle gestand Doping und wurde sieben Monate gesperrt.
  • Der Italiener Ivan Basso war einmal Zweiter (2005) und einmal Dritter (2004) und wurde zwei Tage vor dem Start 2006 mit acht anderen Fahrern, darunter Ullrich, von der Tour ausgeschlossen. Sie sollen mit dem mutmaßlichen spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes zusammengearbeitet haben. Basso, Sieger des Giro d’Italia 2006 und 2010, wurde 2007 für zwei Jahre gesperrt.
  • Andreas Klöden, 2004 auf Platz zwei, wurde von der Staatsanwaltschaft Bonn vorgeworfen, dass er im Jahr 2006 während der Tour de France an der Freiburger Universitätsklinik gedopt habe. Der Deutsche wurde von seinem ehemaligen Teamkollegen Patrik Sinkewitz belastet, bestritt aber diese Vorwürfe.
  • Der Litauer Raimondas Rumsas wurde am Tag nach seinem dritten Rang bei der Tour 2002 vom Team Lampre suspendiert. Bei seiner Frau Edita hatte der französische Zoll zuvor unter anderem Anabolika, Wachstumshormone und Insulin gefunden. Rumsas erhielt bei Lampre später eine neue Chance, beim Giro d’Italia 2003 wurde er aber positiv getestet und für ein Jahr gesperrt.
  • Der Kasache Alexander Winokurow, Dritter im Jahr 2003, wurde 2007 bei der Tour des Fremdblutdopings überführt. Im Anschluss musste das gesamte Astana-Team die Tour verlassen. Winokurow wurde für zwei Jahre gesperrt und feierte 2009 ein Comeback. Mit 38 Jahren gewann er in diesem Jahr schließlich Olympiagold im Straßenrennen.
  • Fernando Escartin, Dritter 1999, wurde im Zusammenhang mit den Dopingermittlungen gegen den Arzt Michele Ferrari auf dessen Kundenliste aufgelistet. Laut ehemaligen Teamkollegen soll es in seinem Rennstall Kelme zu systematischem Doping gekommen sein, der Spanier wurde aber nie positiv getestet.

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