Naturmensch, Tüftler und kritischer Geist
Skispringer Gregor Schlierenzauer steht mit 22 Jahren vor seiner bereits sechsten Weltcup-Saison. Gewonnen hat der sympathische Überflieger aus Fulpmes fast alles, was es zu gewinnen gibt: Gesamtweltcup, Vierschanzentournee, Weltmeistertitel und Team-Olympiagold. Zwei Ziele, die er im Interview mit ORF.at als noch ausstehende, persönliche „Highlights“ bezeichnet, sind ihm aber geblieben.
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Der Traum, Matti Nykänen als erfolgreichsten Weltcup-Springer aller Zeiten abzulösen und dann 2014 in Sotschi Einzel-Olympiasieger zu werden, bestimmt sein sportliches Leben bereits jetzt. Dass der Tiroler in seiner kometenhaften Karriere vom Teenie-Superstar „Schlieri“ zu einem mit allen Wassern gewaschenen Musterprofi gereift ist, zeigen viele seiner Ansichten und Ansagen ebenfalls. Vor dem Weltcup-Auftakt spricht Schlierenzauer über seinen Sport und dessen Auswüchse, seine Trainer, Konkurrenten, Freunde und Trittbrettfahrer.
ORF.at: In wenigen Tagen geht es mit zwei Springen in Lillehammer los. Was kann man nach einem trainings- und testintensiven Sommer von Gregor Schlierenzauer erwarten?
Gregor Schlierenzauer: Es wird eine sehr interessante Saison - auch wegen der Materialumstellung mit den neuen Anzügen. Persönlich bin ich mit meinem Paket sehr gut aufgestellt. Mir ist aber bewusst, dass sich die Dichte an der Spitze durch diese Änderungen noch mehr erhöht hat.
ORF.at: Was wird sich durch die engeren Anzüge im Wettkampf ändern, und inwiefern hat das ihre Vorbereitung beeinflusst?
Schlierenzauer: Es wird sich mehr durchmischen, weil es windanfälliger wird. Das sind meine Erfahrungswerte, die sich hoffentlich nicht bestätigen. Körperlich bin ich fit wie noch nie. Ich habe mehr Ausdauer und Kraft trainiert, was mir zugutekommen sollte. In den letzten Jahren hat sich die Technik extrem weiterentwickelt und ist das Feld schon dicht zusammengerückt. Jetzt mit der geringeren Anzugfläche werden Athletik, und leider Gottes auch die Verhältnisse noch wichtiger. Ich habe meine Hausaufgaben erledigt. Es gibt Revolutionen auf dem Materialsektor. Was dabei rauskommt, wird man sehen.
ORF.at: Mit Ihrer Kritik an der Materialreform haben Sie auch nicht hinter dem Berg gehalten.
Schlierenzauer: Ich habe meine Meinung kundgetan, weil ich die Idee grundsätzlich nicht schlecht, aber noch nicht ausgereift finde. So bekommen wir Athleten Probleme, was nicht in Ordnung ist, Zeit und Energie kostet. Der Punkt ist, dass es kaum Testzeiten gibt, und dann sind wir die Leidtragenden. Und da finde ich es wichtig, dass ich als Topspringer meine Meinung sage.
ORF.at: Kommt das bei der FIS an? Und sollen die Athleten mehr Mitspracherecht bekommen?
Schlierenzauer: Das ist die entscheidende Frage, ob es klug ist, Athleten mitreden zu lassen. Man muss sich bewusst sein, dass jeder für sich einen Vorteil herausholen will. Ich persönlich sehe das aus einem Weitwinkel und frage mich, wo die ganze Sportart hingeht. Ich sehe Skispringen in der Einfachheit. Oft wird es zu kompliziert und wird zu viel an allem Möglichen herumgedreht. Das klingt vielleicht überheblich, aber man kann in solchen Sachen sicher nicht jeden fragen. Als Topspringer geht es mir darum, Dinge anzusprechen - und sicher nicht darum, unbedingt meinen Schädel durchzusetzen.

GEPA/Oliver Lerch
Der Blick aufs Wesentliche hilft Schlierenzauer nicht nur auf der Schanze
ORF.at: In Ihrem Hinterkopf - haben Sie da schon die Olympischen Spiele 2014 ins Visier genommen?
Schlierenzauer: Da ich schon so viel erreicht habe und mir heuer auch meinen Kindheitstraum vom Tourneesieg erfüllen konnte, haben sich doch die Prioritäten geändert. Das heißt, heuer ist für mich wichtig, Konstanz in die Topleistungen zu bringen. Und dann gibt es für mich noch zwei Highlights, die ich als Fernziele sehe. Das ist zum einen der Allzeitrekord von Matti Nykänen - die Nummer eins zu werden. Und dann natürlich der Olympiasieg in Sotschi.
ORF:at: Mit 40 Weltcup-Siegen fehlen Ihnen sechs auf Nykänen. Ist er eines ihrer frühen Idole? Und wann wird der Rekord fallen?
Schlierenzauer: Persönlich habe ich den Springer Nykänen ja nicht miterlebt. Aber natürlich ist er ein sportliches Vorbild, weil er nach wie vor der Beste der Welt ist. Mir fehlen noch diese sechs Siege - aber das Geniale dabei ist ja, dass ich noch genug Zeit habe. Ich habe null Zeitdruck - ob es jetzt in dieser oder in der nächsten Saison passiert. 46 Siege wären natürlich eine echte Marke. 47 wären mir noch lieber - dann bin ich allein (lacht).
ORF.at: Hatten Sie eine Chance, all Ihre Erfolge in dieser relativ kurzen Zeit und in so jungen Jahren bewusst zu erleben?
Schlierenzauer: Ich habe schon immer versucht, die Meilensteine in meiner Karriere intensiv zu erleben - und vor allem zu genießen. Trotzdem kann ich es manchmal selbst nicht glauben, dass ich mit 22 Jahren schon 40 Weltcup-Siege habe. Es gibt nur noch einen, der besser ist - das ist doch alles ein Wahnsinn. Vielleicht realisiere ich das alles erst richtig, wenn ich gar nicht mehr springe. Im Moment bin ich halt voll drinnen und fokussiert - später wird das klarer werden.
ORF.at: Apropos klar. Wie schwer ist es, echte Freunde und Unterstützer von Schleimern und Trittbrettfahrern zu trennen?
Schlierenzauer: Wenn’s läuft, sind sehr schnell sehr viele Schulterklopfer da. Wenn’s nicht läuft, erfährt man auch ziemlich schnell, auf wen man wirklich zählen kann. Ich bin durch mein familiäres Umfeld sehr gut abgeschottet und bestens aufgehoben. Ich kann schon sehr gut differenzieren, wer es wirklich ernst mit mir meint und wer nur da ist, wenn ich ganz oben bin.
ORF.at: Im Hoch oder in Tiefs: Wie stehen Sie zu Mentaltraining?
Schlierenzauer: Das ist ein weiter Begriff. Einen richtigen Mentaltrainer habe ich nicht. Für mich ist wichtig, dass ich mit bestimmten Leuten über Gott und die Welt reden kann. Mein Onkel (Manager Markus Prock, Anm.) und natürlich meine Freundin sind da sehr wichtig. Sie gibt mir das Gefühl, dass Sport bei weitem nicht alles ist - und es tut gut, wenn man mit jemandem über alles reden kann. In Tiefs braucht man jemanden, der einen aufbaut. In Hochs braucht man jemanden, der einen nicht abheben lässt.
ORF.at: Während der Saison sind Sie aber die meiste Zeit mit Ihren Teamkollegen unterwegs. Wie funktioniert da das Zusammenleben - kracht es mitunter auch ordentlich im Adlerhorst?
Schlierenzauer: Das kommt schon vor und ist auch wichtig. Man muss sich hin und wieder miteinander anlegen und sich dabei in die Augen schauen. Ich sage schon oft meine Meinung, was mir nicht passt. Da habe ich dazugelernt. Früher habe ich zu viel in mich hineingefressen. Auf direktem Weg kommt man eher zu Zufriedenheit.
ORF.at: Die Arbeit mit Cheftrainer Alexander Pointner und Ihrem Stützpunkttrainer Markus Maurberger scheint für Sie das perfekte System zu sein.
Schlierenzauer: Es war mein großer Wunsch, zu Markus zurückzukehren, weil er mich von klein auf nach oben gebracht hat. Er kennt mich in- und auswendig, schaut mir in die Augen und weiß, was los ist. „Pointex“ arbeitet als Cheftrainer sehr gut und ist für mich ein Teammanager wie Alex Ferguson bei Manchester United, der alles im Griff hat. Aber mit sechs, sieben Siegspringern im Team brauche ich jemanden, mit dem ich Tag und Nacht telefonieren kann. Typen wie ich brauchen eine Vertrauensperson.
Das Gespräch führte Harald Hofstetter, ORF.at
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