Versöhnung in Schladming
Die „Einfädler“-Affäre hat im Jänner 2012 viel Staub rund um Senkrechtstarter Marcel Hirscher aufgewirbelt. Eine SMS an die „Kronen Zeitung“, wonach Hirscher des Öfteren im Slalom - von den Torrichtern unbemerkt - einfädle und dennoch weiterfahre, hatte eine riesige Diskussion ausgelöst
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Im Konkreten ging es um seine Siege in Zagreb und Adelboden. Tagelange Diskussionen rund um Hirscher in Kitzbühel und Schladming waren die Folge. Zudem hatte Ivica Kostelic mit Sticheleien in Kitzbühel zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Hirscher selbst gestand, dass ihn die Sache logischerweise nicht kalt lasse. „Lieber wäre es mir natürlich, wenn es diese Sache nicht geben würde. Man sieht, dass das bei meinem Fahrstil sehr knapp zugeht. Aber der Schuh ist auf der richtigen Seite, das ist der Indikator.“
„Wenn ich in Zagreb wirklich eingefädelt habe, dann muss man sich im Sinne der Sportlichkeit etwas einfallen lassen.“ Für ihn selbst sei es während des Rennens einfach unmöglich, jeden Schlag und jede Berührung genau zu deuten. „Als Athlet ist man so am Limit. Dann ist die Piste schlecht, du kriegst eine Stange an den Kopf, hast Adrenalin im Körper“, sagte Hirscher.
Kostelic stichelt
Der kroatische Verbandspräsident Vedran Pavlek hatte angekündigt, einen Protest gegen das Zagreb-Ergebnis einlegen zu wollen. Denn neben Hirscher sei auch beim zweitplatzierten Deutschen Felix Neureuther ein Einfädler nachzuweisen gewesen. Bei einer eventuellen Disqualifikation wäre dann der Kroate Ivica Kostelic nachträglich vom dritten Platz auf Rang eins vorgerückt.
Dann, nach dem Abschluss des Hahnenkamm-Slaloms in Kitzbühel, bei dem Hirscher tatsächlich einfädelte und ausfiel, verschärfte Kostelic die Gangart: „Wer weiß, vielleicht hat Hirscher ja öfters und auch in anderen Rennen eingefädelt. Das ist kein sauberes Bild“, stichelte er.

GEPA/Hans Simonlehner
Die Differenzen zwischen Hirscher, Kostelic und Neureuther sind ausgeräumt
Publikumswirksame Versöhnung
Zwei Tage später folgte in Schladming aber die publikumswirksame Versöhnung von Hirscher, Neureuther und Kostelic. Der Österreicher, der Deutsche und der Kroate zogen mit einem Handschlag bei der offiziellen Startnummernauslosung im Zentrum von Schladming einen Schlussstrich unter die Affäre.
Zudem hatte der kroatische Skiverband nach gemeinsamem und detailliertem Videostudium das Ergebnis des Weltcup-Slaloms am 5. Jänner in Zagreb als regulär bezeichnet und anerkannt.
Ausführliche Aussprache
Die Protagonisten hatten zuvor ein rund halbstündiges Gespräch geführt. „Wir haben uns ausgesprochen. Wir verstehen und akzeptieren die Meinungen und Ansichten des anderen“, sagte Hirscher danach. Wichtig war den Athleten, Verbänden und dem Weltverband (FIS), den Zündstoff vor dem Nachtslalom in Schladming, wo Hirscher dann auch seinen ersten Sieg auf österreichischem Boden feiern durfte, zu entschärfen.
Auch dem gemeinsamen Kopfsponsor von Hirscher und Kostelic dürften die Ereignisse nicht sonderlich gefallen haben. Deshalb hob Kostelic auch ganz besonders die spezielle Verbindung zu Hirscher hervor. „Marcel und ich haben eine lange Freundschaft, und wir wollen Freunde bleiben. Marcel ist ein ehrlicher Mann und ein fairer Sportler“, sagte Kostelic.
Einfädler für Hirscher schwer zu erkennen
Die Attacken Richtung Hirscher hatten zuvor noch ganz anders geklungen, Kostelic erklärte sie aber mit dem „Adrenalin nach dem Rennen“. Zudem hatte Kostelic zu diesem Zeitpunkt offenbar noch gar nicht persönlich die Bilder von den angeblichen Zagreb-Einfädlern gesehen. Im persönlichen Gespräch erklärte Hirscher Kostelic nun offensichtlich glaubhaft, warum er aufgrund seines Fahrstils Probleme beim genauen Erkennen eines Einfädlers habe.
„Für Ivica war das anscheinend nicht nachvollziehbar. Er hat es unsportlich gefunden“, sagte Hirscher. Der 22-Jährige hat Kostelic versprochen, dieses Thema in Zukunft sensibler zu behandeln. „Sobald ich mir zu 90 Prozent sicher bin, werde ich stehenbleiben“, sagte Hirscher. „Marcel hat mir erklärt, dass es für ihn schwer ist, einen Einfädler zu erkennen. Er hat aber eingesehen, dass er ein bisschen anders denken muss“, sagte der 33-Jährige.
Auch Neureuther zeigte sich erleichtert, dass es zur Aussprache und öffentlichen Versöhnung kam. „Die letzten Tage waren sehr schwer, vor allem für Marcel und mich. Ich hoffe, dass das jetzt ein für alle Mal erledigt ist. Wir sollten unsere Rivalität nur auf der Piste austragen“, sagte der Deutsche.
Einfädeln als Abseits des Skisports
Die Basis für den Frieden hatte FIS-Renndirektor Günter Hujara gelegt. „Selbst wenn ich direkt neben dem Tor stehe, sehe ich zwar, dass da etwas gewesen sein könnte, ich kann aber nicht beurteilen, ob er eingefädelt hat oder nicht“, berichtete Hujara vom Alltag auf dem Slalom-Hang. In diesen Fällen wird Alarm geschlagen, danach werden die TV-Bilder unter die Lupe genommen. Aber auch diese bringen nicht immer hundertprozentige Sicherheit. „Manchmal staubt der Schnee so auf, dass man nicht mehr sehen kann, wo die Skispitze ist“, sagte Hujara.
Er hatte mit allen Trainern die strittigen Videos noch einmal genau unter die Lupe genommen und gezeigt, mit welch hochwertiger Technik bei den Analysen gearbeitet wird. Nur x-fach herangezoomte HD-Bilder der Zagreb-Fahrten von Hirscher und Neureuther machten es möglich, halbwegs wasserdichte Schlüsse zu ziehen. Ein korrektes Urteil mit dem freien Auge eines Torrichters scheint in derartigen Fällen völlig unmöglich, Vergleiche mit strittigen Abseitsentscheidungen im Fußball drängen sich fast auf.
Die Bilder überzeugten dann aber auch Kroatiens Alpindirektor Pavlek. „Neureuther hat zu 100 und Hirscher zu 90 Prozent nicht eingefädelt“, merkte Pavlek an. Die fehlenden zehn Prozent dürften genau jene Grauzone sein, die man aktuell im Slalom zu tolerieren hat. „Wenn auch die genauesten Bilder keinen Aufschluss bringen, dann wird im Zweifel zugunsten des Angeklagten entschieden“, sagte Hujara.
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