Titelverteidiger Anand mit Heimvorteil
Selten hat in der vergangenen Dekade das Finale einer Schach-WM derart viel Aufmerksamkeit genossen wie der Titelkampf ab Samstag im indischen Chennai. Die Gründe dafür sind die beiden Protagonisten, die um die Schachkrone rittern: zum einen Magnus Carlsen, mit 22 Jahren die jüngste Nummer eins der Schachgeschichte, zum anderen „Local Hero“ Viswanathan Anand, der seit 2007 Weltmeister ist.
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Der Aufstieg Carlsens vom Wunderkind zum WM-Kandidaten war beispiellos: Schon als Achtjähriger ließ er Erwachsenen keine Chance, mit 13 wurde er Großmeister, und nun hat der Norweger den WM-Titel im Visier. Kein Wunder, dass er in seiner Heimat unzählige Beinamen erhielt, etwa „Norwegens Antwort auf David Beckham“, „Schach-Mozart“ und „Boa constrictor des Schachs“.
„Harte Prüfung“
Einen Selbstläufer erwartet der Weltranglistenerste gegen die Nummer acht der Welt allerdings nicht. „Es wird eine harte Prüfung“, sagte Carlsen vor dem auf zwölf Partien angesetzten Titelduell. Und Härte sei eigentlich nicht seine Stärke, gibt Carlsen zu: „Man kann auch mit der Einstellung Weltmeister werden, dass Schach Spaß macht“, lautet ein Standardsatz des Norwegers bei Interviews.

APA/AP/Arun Sankar K
Handshake gibt’s nur für die Fotografen: Anand (l.) und sein Gegner Carlsen
Spaß macht ihm Schach vor allem dann, wenn es gut läuft: „Ich genieße es, wenn ich sehe, dass mein Gegner leidet, weil er weiß, dass ich gewinnen werde“, sagte Carlsen gegenüber britischen Journalisten. Da ist es dann nicht mehr weit zu durchaus martialischen Vergleichen: „Wenn ich auch nur ein Spiel verliere, ist es wie Krieg: Ich will einfach nur Rache.“
Alle Gedanken kreisen um Schach
Eine Niederlage sei aber stets vor allem auf eigene Schwäche zurückzuführen, so der Mann aus Bärum, einer kleinen Stadt nahe Oslo. „Ich ärgere mich immer noch immens über alle meine Fehler. Aber das motiviert mich auch, immer besser zu werden“, sagte Carlsen in einem Gespräch mit dem norwegischen TV-Sender NRK.
In einem anderen Interview bekannte Carlsen seine Hingabe zum Schachspiel: „Egal, was ich mache, ich denke den ganzen Tag daran“, also auch während der Ausübung seiner Hobbys wie Fußball, Skifahren und Klettern. Kein Wunder, dass angesichts dieser unfassbaren Fokussierung Ex-Weltmeister Garri Kasparow voraussagt: „Wenn er diese Faszination beibehält, leben wir bald in der Carlsen-Epoche.“
„Hab’s nicht ganz begriffen“
Dabei hatte Carlsen anfangs wenig Freude mit Schach, als ihn sein Vater als Fünfjährigen vor das Brett setzte: „Ich hab’s nicht ganz begriffen“, erinnerte sich Carlsen, der damals aber schon die Namen aller Hauptstädte aufzählen konnte. Als er acht war, unternahm sein Vater einen neuen Anlauf - diesmal mit Erfolg.
Zuerst schlug Magnus seine große Schwester, dann seinen Vater, und mit 13 war er der damals jüngste Großmeister der Schachwelt. Mittlerweile ist Carlsen aber nicht nur im „königlichen Spiel“ ein Begriff: Das „Time Magazine“ nahm ihn im April in die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt auf.
Vorbild für Millionen
Anand entfachte spätestens bei seinem ersten Titelgewinn 2000 einen wahren Schachboom in Indien. „Er hat uns für den Sport interessiert, inspiriert, motiviert und auch berührt“, sagte Prateek Chatterjee vom indischen Bildungsunternehmen National Institute of Information Technology (NIIT), das weltweit 5.000 Mitarbeiter beschäftigt.
Dank der intensiven Zusammenarbeit des Großmeisters mit NIIT lernen heute rund 1,65 Millionen junge Inder an ihren Schulen Schach. „Früher waren das nur ein paar Querköpfe an der Uni, heute ist der Sport etwas für alle Kinder“, so Nandita Das Gupta, Rektorin der Global Indian International School in Delhi.
Zurück zu den Wurzeln
Anand sei nicht zuletzt wegen aufsehenerregender Aktionen überall im Land bekannt, unterstrich Gupta: Vor drei Jahren half er bei einem Weltrekord mit, als 20.480 Menschen gleichzeitig in der Millionenstadt Ahmedabad Schach spielten - an weißen und schwarzen Tischen, die in einem Sportstadion auf 64 Feldern angeordnet waren.
Indien ist im Sport nicht gerade erfolgsverwöhnt. Bei den Olympischen Spielen 2012 etwa holte das Land mit 1,2 Milliarden Einwohnern keine einzige Goldmedaille. Umso größer ist der Stolz der Nation, wenigstens im Denksport den Champion zu stellen. „Vishy hat Schach nach Hause gebracht, wo es hingehört“, sagte Chatterjee. Historiker nehmen an, dass eine Vorform von Schach im 6. Jahrhundert in Indien entstand.
Ein ganzer Subkontinent hofft
Anand selbst hält sich mit markigen Sprüchen zurück. „Es wird sehr schwierig, aber ich bin bereit für alles“, betonte der Lokalmatador, der in den vergangenen Jahren auch extrem viel Wert auf seine körperliche Fitness legte und somit das tropische Klima in seiner Heimatstadt durchaus als Pluspunkt gegenüber Carlsen betrachten darf.
Der Druck auf Anand ist freilich enorm, erwartet doch der ganze Subkontinent von ihm, dass er zum vierten Mal den Titel erfolgreich verteidigt. 2008 gegen den Russen Wladimir Kramnik hatte Anand noch überlegen gesiegt, 2010 gegen Weselin Topalow und 2012 gegen den Israeli Boris Gelfand hatte er allerdings viel Mühe - und diesmal wird es nicht einfacher werden.
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