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Der Mann, der die „Traummeile“ plante
Stampfl steht im Mittelpunkt der Buchneuerscheinung. „Franz Stampfl - Trainergenie und Weltbürger: Biografie eines Visionärs“. Darin erzählt wird von Autor Andreas Maier erstmals die dramatische Geschichte des legendären Coaches, der am 18. November 1913 geboren wurde. Mit seinen Athleten jubelte er über Weltrekorde, Olympiasiege und zahlreiche weitere Titel. Seine Biografie ist eine Abenteuerreise zu Glanzstunden der Leichtathletik, ein wildes Stück Zeitgeschichte und die Entdeckung einer Person, die ihrer Zeit in vielem voraus war.

SportImPuls
Begründet wurde Stampfls Ruf als genialer Coach durch die legendäre „Traummeile“ vom 6. Mai 1954 in Oxford, einen der eindrucksvollsten Sportmomente des 20. Jahrhunderts, als mit dem Briten Roger Bannister zum ersten Mal ein Mensch die klassische Meile (1.609,34 Meter) unter der lange von Mittelstreckenläufern attackierten „Schallmauer“ von vier Minuten lief.
Bahnbrechende Methoden
Viele von Stampfls Methoden waren bahnbrechend und sind heute noch modern. Er setzte auf Mentalarbeit, Intervalltraining, Teamwork, Projektplanung und die Verknüpfung von Körper und Seele, lange bevor Life Coaching und Sportpsychologie Berufe wurden.
Sein 1955 erschienenes Buch „On Running“ ist ein Klassiker der Sportliteratur, ein „bewundernswertes und packendes Buch über Training und Taktik“, wie die „Times“ in London schrieb. Stampfl führte und motivierte unzählige Athleten aus allen Kontinenten und brachte Freizeitsportler zum Laufen, als Stadtmarathons noch entfernte Zukunft waren.
Doch selbst das ist nur die halbe Geschichte. Stampfls Biografie am Kreuzungspunkt von Weltsport, Zeitgeschichte und privaten Schicksalsschlägen blieb ein volles Jahrhundert lang im Dunkeln. Man fragt sich, warum man nicht schon viel früher etwas über ihn erfahren hat.
Von Wien in die Welt
Stampfl wuchs in Wien-Ottakring in einfachen Verhältnissen auf, absolvierte eine kaufmännische Ausbildung und besuchte als Student der Malerei an die Kunstgewerbeschule. In der Leichtathletik brachte er es 1935 zum österreichischen Juniorenmeister im Speerwurf. Im Alter von 23 Jahren verließ er nach einer Sperre im Gefolge der Olympischen Spiele 1936 in Berlin aus Mangel an Perspektiven und Angst vor der politischen Entwicklung das Land in Richtung London.
Buchhinweis:
Andreas Maier: Franz Stampfl - Trainergenie und Weltbürger: Biografie eines Visionärs. SportImPuls, 192 Seiten, 19,90 Euro.
In Großbritannien wurde er als „Enemy Alien“ (feindlicher Ausländer) verhaftet und 1940 unter verheerenden Bedingungen nach Australien deportiert. Zwei Jahre musste er in Internierungslagern verbringen und leistete danach Dienst in der australischen Armee. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges legte er in Großbritannien den Grundstein für Welterfolge im Sport.
„Als ich seine Fähigkeiten erkannt habe, war Franz der Einzige, mit dem ich über Laufen und Training diskutieren wollte. Seine Persönlichkeit war überwältigend“, sagte der heute 84-jährige Rekordläufer Bannister über den Mann, der ihn bei der Vorbereitung zur „Traummeile“ betreute. Chris Chataway, 5.000-m-Weltrekordläufer und ehemaliger britischer Minister erinnert sich lebhaft: „Franz war ein brillanter Motivator und konnte alles mit Magie überziehen. Er wirkte auf uns, als wäre er aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt.“
Laufen als Kunst
Nachdem Stampfl 1955 als Trainer nach Australien gegangen war, feierte er mit seinen Athleten weitere Erfolge. Der größte davon war der 800-m-Olympiasieg 1968 in Mexiko City von Ralph Doubell. Seine Erfahrungen im Krieg transformierte Stampfl in den Sport: „Der Kern seiner Botschaft war immer: Lass dich nicht von den Umständen unterkriegen, lass dich nicht brechen!“, erklärte Doubell. Der ehemalige Kunststudent prägte auch einen Sager mit Potenzial zum Klassiker: „Running is an art, and every runner must be thought of as an artist“ (Laufen ist eine Kunst, und jeder Läufer muss auch als Künstler angesehen werden).
Fast bis zu seinem Tod am 19. März 1995 war Stampfl in Melbourne als Trainer tätig. Die letzten 14 Jahre seines Lebens wurde seine Widerstandskraft einmal mehr auf die Probe gestellt, denn nach einem Verkehrsunfall war er als Tetraplegiker fast ohne Bewegungen in Armen und Beinen. Er gab aber nicht auf und blieb vom Rollstuhl aus aktiv.
Mehrfach kam Stampfl nach Österreich zurück. Bei seinen Wien-Besuchen zwischen 1960 und 1980 nahm aber praktisch niemand von ihm Notiz. Keine Institution des Sports, der Kunst und der Wissenschaft konnte Informationen über ihn bereitstellen. Dank der ausführlichen weltweiten Recherchen von Maier, der für die Buchpräsentation Anton Stampfl, den in Sydney lebenden Sohn von Franz, nach Österreich kommen ließ, hat sich das nun geändert.
Rudolf Srb, ORF.at
Link:
- Franz Stampfl (englische Wikipedia)