„Sehr mutiger Schritt“
Der frühere Teamspieler Thomas Hitzlsperger hat als erster prominenter deutscher Fußballer seine Homosexualität öffentlich gemacht. „Ich äußere mich zu meiner Homosexualität, weil ich die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen möchte“, sagte Hitzlsperger der Wochenzeitung „Die Zeit“.
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Der ehemalige Spieler des VfB Stuttgart und des VfL Wolfsburg habe das Gefühl, dass jetzt, nach dem Ende seiner Karriere, ein guter Moment dafür gekommen sei. Das Bewusstsein, homosexuell zu sein, sei „ein langwieriger und schwieriger Prozess“ gewesen, sagte der 31-Jährige, der zwischen 2004 und 2010 52 Spiele für die deutsche Nationalmannschaft absolvierte. „Erst in den letzten Jahren dämmerte mir, dass ich lieber mit einem Mann zusammenleben möchte“, sagte Hitzlsperger.
Homosexualität im Fußball „ignoriert“
Anfang September 2013 hatte er sein Karriereende bekanntgegeben. Zuletzt spielte Hitzlsperger beim FC Everton. Homosexualität werde im Fußball „schlicht ignoriert“, sagte er. Bis heute kenne er keinen Fußballer persönlich, der das zu seinem Thema gemacht habe. Dafür erntet Hitzlsperger, der in seiner Zeit in England bei Aston Villa wegen seines harten Schusses den Spitznamen „Hitz, the Hammer“ bekam, nach seinem Coming-out viel Respekt für seinen Schritt an die Öffentlichkeit. Frühere Mitspieler, Funktionäre und die Politik spenden Beifall.

Reuters/Darren Staples
Bei Aston Villa bekam Hitzlsperger den Spitznamen „Hitz, the Hammer“
Stuttgart-Sportvorstand Fredi Bobic zollte Hitzlsperger in der dpa „großen Respekt“ und sagte, dessen Coming-out sei ein „sehr mutiger Schritt. In der heutigen Zeit sollte es eigentlich zur Normalität werden, aber ich weiß, dass es jetzt vor allem in der Fußball-Community viele Diskussionen darüber geben wird.“ Hitzlsperger habe sich über diesen Schritt wohl sehr viele Gedanken gemacht, glaubt Bobic. „Es ist seine Entscheidung, und die gilt es zu respektieren.“ Eine Drohung, ihn zu outen, habe es nicht gegeben, so Hitzlsperger.
„Gruppenzwang kann enorm sein“
Dass der 31-Jährige diesen Schritt erst wenige Monate nach Ende seiner Profilaufbahn wagt, sagt dennoch einiges über die für Schwule schwierige Situation im teils immer noch homophoben Milieu der Proficlubs. Bei Gesprächen in der Umkleidekabine zum Thema Homosexualität sei es für ihn oft nicht leicht gewesen, die oft abfälligen Kommentare nicht zu beantworten. „Wer ein Gefühl für die Stimmung in einer Mannschaft hat, der weiß einfach, was angesagt ist. Der Gruppenzwang kann enorm sein. Und genauso ist das in der Verwandtschaft“, sagte er.
Ein Problem, das Deutschlands Ligapräsident Reinhard Rauball noch immer sieht. Die Reaktionen im Falle des Outings eines aktiven Profis mit Blick auf die enorme Öffentlichkeit seien im Profifußball weiterhin nur schwer kalkulierbar. „In dieser Hinsicht tragen die Clubs als Arbeitgeber eine außerordentliche Verantwortung“, meinte der Präsident des Bundesligisten Borussia Dortmund. Rauball würde vor diesem Hintergrund einem Betroffenen raten, „im ersten Schritt die Vereinsverantwortlichen wie Vorstand und Trainer sowie Mannschaftskollegen ins Vertrauen zu ziehen“.
Gegen die Mehrheit
Gerade dieser Schritt dürfte jedoch der schwierigste sein. Wie psychisch belastend seine Zeit beim VfB Stuttgart, Lazio Rom, dem VfL Wolfsburg und in England gewesen sein könnte, lässt auch Hitzlspergers Aussage zu einigen Sprüchen seiner damaligen Teamkollegen erahnen. „Überlegen Sie doch mal: Da sitzen zwanzig junge Männer an den Tischen und trinken. Da lässt man die Mehrheit gewähren, solange die Witze halbwegs witzig sind und das Gequatsche über Homosexuelle nicht massiv beleidigend wird“, beschreibt er rückblickend, wie er manche Äußerung der unwissenden Mitspieler ertrug.

APA/Helmut Fohringer
52-mal spielte Hitzlsperger, im Bild im Zweikampf mit Martin Harnik, im DFB-Team
Wie groß der Druck auf schwule Fußballprofis immer noch ist, lassen auch Reaktionen auf Twitter aus der Welt des Spitzensports erahnen. „Bin stolz auf dich. Gute Entscheidung und aus meiner Sicht richtiger Zeitpunkt“, schrieb der ehemalige Nationalspieler Arne Friedrich. Der frühere Handball-Nationalspieler Stefan Kretzschmar twitterte: „Respekt!!! Leider erst nach der Karriere.“
Trennung vor Hochzeit heizte Gerüchteküche an
Der aus der Jugend des FC Bayern stammende Hitzlsperger begann die Profikarriere beim englischen Erstligisten Aston Villa und beendete sie im vergangenen Jahr beim FC Everton. Nach dem Meistertitel mit dem VfB trennte er sich im Sommer 2007 kurz vor der geplanten Hochzeit von seiner langjährigen Freundin. Für sein Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus erhielt er 2011 den „Julius-Hirsch-Ehrenpreis“.
Besonders die Trennung von seiner Freundin kurz vor der Hochzeit sorgte für Aufsehen. „Sie blieb die einzige Frau für mich. Ich wollte nach ihr keine andere“, sagt der 31-Jährige heute dazu. Mit daraus folgenden Gerüchten über seine sexuelle Orientierung stand der gebürtige Münchner im deutschen Profifußball nicht alleine da. 2014 ist das Spekulieren vorbei. Hitzlspergers Schritt habe „hoffentlich eine positive Wirkung auf die Gesellschaft und den Profifußball der Männer“, sagte der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger in der „Zeit“ (Onlineausgabe).
Hoffnung auf Enttabuisierung
Hitzlsperger hatte nach eigener Aussage DFB-Teamchef Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff während seiner aktiven Laufbahn nicht über seine Homosexualität informiert. „Er hat sich erst nach seinem Karriereende an uns gewandt und uns darüber informiert“, bestätigte Bierhoff. „Dass er sich nun auch öffentlich bekennt, verdient Anerkennung und Respekt. Ich begrüße diesen Schritt.“ Für Hitzlsperger war es ein langer Weg zu seinem Coming-out.
Noch im September 2012 sagte er der „Zeit“ (Onlineausgabe) zu den möglichen Folgen, Homosexualität im Profifußball zu offenbaren: „Jedenfalls wäre der sportliche Worst Case möglich: das Karriereende.“ Eine Vorbildwirkung wünscht sich daher der ehemalige DFB-Präsident Zwanziger, für den es „ein Risiko für einen aktuellen Spieler bleibt, offen homosexuell zu leben. In einem Mannschaftsverband finden sich Spieler aus vielen Kulturkreisen, auch aus Kulturkreisen, die Homosexualität ablehnen. Aber ich bin zuversichtlich, dass sexuelle Neigungen im Fußball bald kein Thema mehr sind.“
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