Verschworener Haufen „rockt“ Herning
Österreichs United Nations of Handball haben im sportlichen EM-Kampf in Dänemark überzeugende Argumente vorzuweisen: Teamgeist, eine funktionierende Hierarchie und viel Spaß. „Wir sind alle Freunde. Es gibt in der Mannschaft keinen, auf den das nicht zutrifft“, betont Flügelspieler Robert Weber immer wieder. Sechs Nationalitäten in einem Team sind für die ÖHB-Auswahl offensichtlich der richtige Erfolgsmix.
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Österreichische, serbische, dominikanische, litauische, ungarische und montenegrinische Wurzeln machen das Team zur funktionierenden Einheit, die den EM-Hauptort Herning laut Handballworld.com (EM-Website) „rockt“. Zusammengefasst und veredelt wird das Ganze vom isländischen Trainer Patrekur Johannesson, der neben nordischer Konsequenz über das Temperament eines aktiven Vulkans verfügt.
Der „Hexer“ aus Belgrad
Ein Eckpfeiler der Österreicher steht mit Routinier Nikola Marinovic im Tor. Der in Belgrad noch im damaligen Jugoslawien geborene Zwei-Meter-Mann war in Herning beim wichtigen Auftaktsieg gegen Tschechien (30:20) überragend. Was den 37-jährigen Familienvater, der in der deutschen Bundesliga bei Frisch Auf Göppingen noch bis 2015 unter Vertrag steht, in erster Linie auszeichnet: unglaubliche Reflexe gepaart mit einer fast stoischen, eigentlich ganz und gar nicht südländischen Coolness zwischen den Pfosten.
Bei West Wien und Bregenz fand Marinovic in Österreich zunächst sein sportliches Glück. Seit 2004 spielte der gebürtige Serbe 131 Partien für das ÖHB-Team. In Vorarlberg will er nach seiner aktiven Karriere sesshaft werden, ein Haus bauen und dem Handball erhalten bleiben. „Nicht als Trainer“, betonte Marinovic im Gespräch mit ORF.at. „Aber ich habe Sportmarketing fertig studiert, das kann ich mir gut vorstellen.“ Zum oftmaligen HLA-Meister Bregenz bestehen nach wie vor gute Kontakte.
Dominikanische Sprungfeder mit Goldhändchen
Als Raul Santos elf Jahre alt war, wanderte seine Mutter mit ihm aus der Dominikanischen Republik nach Leoben aus. Dort wurde er beim Kegeln für den steirischen HLA-Club Leoben entdeckt und mauserte sich im Lauf der Jahre zu einem Spitzenflügel. Sprunggewaltig und mit einem goldenen Händchen gesegnet, ging der 21-jährige Rohdiamant im vergangenen Sommer in die deutsche Bundesliga. Beim VfL Gummersbach wird Santos nun der Feinschliff verpasst.

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Raul Santos ist einer der spektakulärsten Spieler bei dieser EM
In seiner bewegten Jugend machte der Hobbyrapper (Videos auf YouTube) auch turbulente Zeiten durch. Der Schritt in die stärkste Liga der Welt machte aus dem pfeilschnellen Instinkthandballer aber endgültig einen Profi mit großer Zukunft. Typisch für Santos seine Anwort auf die Frage, was für ihn ein EM-Traum wäre: „Bei 13:13 in der entscheidenden Phase ein Eigentor zu werfen. Das wäre einmal was anderes.“ Seine Vorbilder im eigenen Team „erden“ den lebenslustigen Senkrechtstarter ohnehin. „Viktor Szilagyi oder Robert Weber - das sind Spieler, von denen ich in jeder Hinsicht viel lernen kann.“
Der „Henker“ aus Vilnius
Wo Vitas Ziura hinlangt, da wächst kein Gras mehr. Der 34-Jährige ist im ÖHB-Team der Mann für die speziellen Defensivaufgaben, hat gleichzeitig im Angriff aber auch unzählige Male seine herausragenden handballerischen Fähigkeiten bewiesen. Seit zehn Jahren spielt der in Vilnius geborene Rückraum-Mitte, mit 1,90 m und 93 kg ein kompakter „Henker“, für die Fivers aus Margareten - unterbrochen nur von einem kurzen Gastspiel in Dänemark bei Viborg (Saison 2009/10).

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Vitas Ziura - im Angriff schwer zu stoppen und in der Deckung eine Macht
Der gebürtige Litauer hat seit 2005 die österreichische Staatsbürgerschaft und hält nach dem Dänemark-Match bei 66 Länderspielen für den ÖHB. Sein Credo lautet: Für jeden Gegenspieler gibt es einen Weg, um ihn aufzuhalten. Ziura selbst ließ sich in seiner Karriere weder von schweren Sprunggelenks- und Knieverletzungen noch von einem Armbruch oder einem Bandscheibenvorfall endgültig aufhalten. Abseits des Handballparketts gilt er als zurückhaltend und als echter Gentleman. Ziura ist mit Hypo-NÖ-Handballerin Gorica Acimovic verheiratet. Nach der aktiven Karriere werden sie in Österreich bleiben.
Familie Bozovic: Wie die Mutter, so der Sohn
2,06 Meter groß, über 100 Kilogramm Schwungmasse und dazu auch noch Linkshänder. Von einem Spieler mit diesen Voraussetzungen träumt so mancher Handballtrainer. Der 28-jährige Janko Bozovic, geboren in Bar im damaligen Jugoslawien (heute Montenegro), erfüllt sie und ist auch deshalb der für Gegner unangenehme x-Faktor im ÖHB-Team. Als Backup im Rückraum hat Bozovic schon die eine oder andere Partie in eine positive Richtung gelenkt. Das letzte EM-Gruppenspiel gegen Mazedonien könnte wieder so ein Fall für den „Shooter“ werden.
Dass der bis zum 16. Lebensjahr auf Tennis fixierte Bozovic Handballprofi wurde, lag in erster Linie an seiner Mutter. Stanka Bozovic spielte bei fünf WM-, drei EM-Endrunden und bei zwei Olympischen Spielen für Österreich. Mit Hypo NÖ gewann sie mehrmals den Europacup der Meister und unzählige nationale Titel. Sohn Janko galt lange Zeit als Wandervogel (acht Clubs in sieben Ländern), war in seinen Leistungen unbeständig. Beim TV Emsdetten (seit 2011) scheint der rechte Rückraum in der deutschen Bundesliga zu Konstanz gefunden zu haben. In Dänemark bestreitet Bozovic seine erstes großes Turnier.
Führungsmann mit ungarischen Wurzeln
Über die Bedeutung von Viktor Szilagyi für den österreichischen Handball wurde eigentlich schon alles gesagt. Und dennoch kann nicht oft genug wiederholt werden, was der 35-jährige, in Budapest geborene Ausnahmesportler in seiner Karriere erreichte. Als einziger Handballer der Welt gewann der Rückraumregisseur alle drei Europacup-Bewerbe, unter anderem die Champions League mit dem THW Kiel. Insgesamt holte Szilagyi fünf Europacup-Titel und hält mittlerweile bei 178 Länderspielen für Österreich - auch dank seinem Vater Stefan Szilagyi.

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Szilagyi ist seit über einem Jahrzehnt Österreichs Handball-Aushängeschild
Dieser war lange Jahre aktiver Spitzenspieler in Ungarn, dann erfolgreicher Trainer in St. Pölten und zuletzt Krems. Der 1,95 Meter große Sohn wurde in der niederösterreichischen Hauptstadt St. Pölten von Szilagyi senior perfekt ausgebildet. Danach ging es für Viktor Szilagyi via Innsbruck in die deutsche Bundesliga, wo er seit 15 Jahren seinen Mann steht. Szilagyi, eine Kombination aus ungarischem Temperament und österreichischer Gelassenheit, ist der unbestrittene Anführer im ÖHB-Team. Was er sagt, gilt - im Match genauso wie abseits des Spielfelds.
Harald Hofstetter, ORF.at aus Herning
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