„Relativ glücklicher Sieg“
Nur einen „relativ glücklichen Sieg“ hat Deutschland nach den Worten von Bundestrainer Joachim Löw am Mittwoch gegen Chile erzielt. Beim 1:0 (1:0) in Stuttgart profitierte die DFB-Elf entscheidend von der Abschlussschwäche der spielstarken und überlegenen Chilenen. Ein lautes Pfeifkonzert der Zuschauer irritierte die deutschen Weltmeisterschaftskandidaten dennoch extrem.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Seit Jahren hat kein Sieg der deutschen Nationalmannschaft eine ähnliche Reaktion der Fans ausgelöst. „Das ist eine Frechheit, das geht gar nicht. Man kann nicht immer glänzen“, erregte sich Verteidiger Jerome Boateng. „Die Hauptsache in diesem Sport ist zu gewinnen. Mental ist das gut“, sagte Abwehrchef Per Mertesacker.

APA/EPA/Patrick Seeger
Löw: „Dass wir noch Arbeit vor uns haben bis zur WM, ist doch klar"
„Keine Dominanz ausgestrahlt“
Die 54.449 Zuschauer in der Stuttgarter Arena beschlich in den schwachen 90 Minuten des Löw-Teams das Gefühl, dass ihre Mannschaft auf dem Weg zum angestrebten Titelgewinn im Sommer in Brasilien derzeit dem Plan hinterherhinkt. „Man hat gesehen, dass wir in der Lage sein müssen, uns zu verbessern. Die Spieler, die das betrifft, sind informiert“, bemerkte Löw, der keine Lösungen gegen den unkonventionell spielenden Weltranglisten-14. aus Südamerika fand.
„Wir waren nicht in der Lage, Dominanz auszustrahlen“, resümierte Löw, was nach den positiven Eindrücken der jüngsten Länderspiele in Italien (1:1) und England (1:0) besonders überraschte. Nicht Mesut Özil, Toni Kroos und Co. präsentierten ein ideenreiches und druckvolles Offensivspiel, sondern Chile. Und die hohe eigene Fehlerquote stürzte die Defensive immer wieder in höchste Gefahr.
„Matt und müde“
„Es gab viele Unstimmigkeiten. Es gibt Verbesserungspotenzial“, sagte Mertesacker. „Wir wirkten in der zweiten Halbzeit matt und müde“, konstatierte Teammanager Oliver Bierhoff. Löw sah sich durch den Auftritt des Teams in seinem Weckruf bestätigt. Die Langzeitausfälle (Khedira, Gündogan, Sven Bender), fehlender Rhythmus und mangelnde Form (Hummels, Reus, Draxler, Höwedes, Gomez, Kruse, Adler) sowie kurzfristige Ausfälle (Müller, Westermann, Lars Bender) können die spielerische Armut gegen Chile nur bedingt entschuldigen.

APA/EPA/dpa/Andreas Gebert
Götze bewahrte Deutschland vor einem verpatzten Test gegen Chile
Allein Torschütze Götze (16. Minute) erinnerte mit seiner Spielweise an die „neue deutsche Welle“, die unter Löw so oft begeistern konnte. Oldie Miroslav Klose, erneut von einer Verletzung gehandicapt, wirkte nicht wirklich torgefährlich. Kapitän Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger hatten oft Probleme, gegen die flink rochierenden Chilenen die Räume zu schließen. Die Neulinge spielten keine Rolle, nur der Freiburger Matthias Ginter kam kurz vor Schluss zu seinem Debüt.
Chile fühlt sich als Sieger
Entsprechend fühlten sich die Verlierer zu Recht als Sieger. „Ich bin zufrieden, weil wir sehr gut gespielt haben“, resümierte der chilenische Mittelfeldstar Arturo Vidal. „Unser Auftritt gibt uns Zuversicht für Brasilien.“ Nationaltrainer Jorge Sampaoli lobte seine Schützlinge für die couragierte und leidenschaftliche Vorstellung. „Bis auf das Resultat war alles positiv. Wir haben das Spiel zu 80 Prozent dominiert. Wenn wir bei der WM so spielen, haben wir gute Chancen aufs Achtelfinale.“
„Wir haben gezeigt, dass wir mit den besten Mannschaften der Welt mithalten können“, so Sampaoli. Schließlich hatte Chile zuvor schon gegen England (2:0), Spanien (2:2) und Brasilien (1:2) eindrucksvoll bewiesen, dass es Topniveau hat. In Brasilien bekommt es Chile in der wohl am stärksten besetzten Gruppe B mit den beiden WM-Finalisten Spanien und Niederlande sowie Australien zu tun. „Die Leistung gegen einen der Mitfavoriten stimmt uns für die WM optimistisch“, sagte Kapitän und Abwehrchef Gary Medel.
Es gab schon schlimmere Probeläufe
Grund zur Panik besteht aber auch für die Löw-Truppe dennoch nicht. Vor anderen Turnieren hatte es im Frühjahr schlimmere Probeläufe gegeben. So setzte es vor der Heim-WM 2006 ein 1:4 gegen Italien, das dem damaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann fast den Job gekostet hätte. 2010 war das Löw-Team in München beim 0:1 gegen Argentinien chancenlos geblieben. Beide Male wurde Deutschland danach WM-Dritter.
Die deutschen Fußballer können anscheinend nur unter Wettbewerbsdruck auf Weltklasse hochschalten. „Es ist immer ganz gut, wenn man sieht, dass es nicht nur in Deutschland gute Fußballer gibt“, resümierte Löw. „Dass wir noch Arbeit vor uns haben bis zur WM, ist doch klar“, ergänzte Lahm. Das Schlusswort sprach Mertesacker: „Es war eine gute Lehrstunde. Jeder muss sich in eine Topverfassung bringen.“
Links: