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Wenn ein Trainer „alles verändert“

Das Madrider Stadtderby im Champions-League-Finale von Lissabon wird am Samstag die spanische Metropole zur Gänze in ihren Bann ziehen. Im Mittelpunkt stehen dabei auch die beiden Trainer. Diego Simeone erreichte bei Atletico spätestens mit dem am Samstag eroberten Meistertitel Heldenstatus. Carlo Ancelotti soll Real endlich zum zehnten Triumph in Europas Königsklasse führen.

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Sowohl der Argentinier Simeone als auch der Italiener Ancelotti gelten als charismatisch, ehrgeizig und erfolgreich. „Für den ganzen Verein ist er wie ein Gott“, meinte etwa Atleticos Mittelfeldspieler Tiago euphorisch über seinen Coach. In der Art und Weise, wie sie ihre Ziele verfolgen, gibt es aber doch beträchtliche Unterschiede. Vor dem Spiel der Spiele für die fußballverrückte Stadt Madrid skizziert ORF.at die Protagonisten eines Trainerduells der Superlative.

Ancelotti

APA/EPA/Kiko Huesca

Simeone und Ancelotti kämpfen um die Krone im europäischen Clubfußball

Ancelottis Jagd nach „La Decima“

Seit 2002, als Real mit einem 2:1 über Bayer Leverkusen zum neunten Mal den Europacup der Meister, damals längst Champions League, holte, warten die „Königlichen“ sehnsüchtig auf „La Decima“. Neun Trainer hat der mächtige Präsident Florentino Perez seither verbraucht, ehe er mit Carlo Ancelotti im Vorjahr vielleicht den richtigen für die Mission vom zehnten Europacup-Triumph verpflichtete. Der 54-jährige Italiener, der mit dem AC Milan als Spieler und als Trainer jeweils zweimal die Champions League gewann, könnte am Samstag mit einem Sieg über Atletico jedenfalls Clubgeschichte schreiben.

„Um ehrlich zu sein, verfolge ich keinerlei persönliche Ambitionen“, betonte Ancelotti kürzlich. „Der Fußball hat mir schon so viel gegeben. Ich will nur eines: den Club, seine Spieler und seine Fans ganz nach oben bringen.“ Seine zwei Superstars folgen ihm dabei durch dick und dünn. Sowohl Torjäger Cristiano Ronaldo (16 CL-Treffer bisher in dieser Saison), der auf das wohl beste Spieljahr seiner Karriere zurückblickt, als auch 100-Millionen-Euro-Mann Gareth Bale, den Ancelotti perfekt integrierte, verehren den italienischen Coach.

„Er hat alles verändert“, schwärmt Ronaldo. „Unsere Mentalität, einfach alles.“ Auch bei den Clubverantwortlichen genießt der Trainer volles Vertrauen, vor allem weil er Boss Perez auf intelligente Art und Weise die Stirn bietet. Zu Beginn wollte der Präsident Ancelotti in vielen Belangen die Richtung vorgeben, auch welche Stars auf welchen Positionen zu spielen hätten. Der kluge Ancelotti verzichtete auf einen offenen Konflikt und begann langsam, aber sicher, seine Erfolgsformel im Team durchzusetzen. Diese basiert auf kompakter, italienischer Defensive und überfallsartigen, blitzschnellen Gegenangriffen über die „BBC“, also Bale, Benzema und Cristiano Ronaldo.

Gehypte „Supertrainer“ sehen anders aus

Bale installierte er am rechten Flügel, was sofort aufging. Der von Jose Mourinho „abgesägte“ Iker Casillas, eine lebende Clublegende, durfte zumindest im Cup und in der Champions League wieder im Tor stehen. Stürmer Karim Benzema fand zwischen Bale und Ronaldo zu längst vergessener Hochform zurück. Und mit dem Drei-Mann-Mittelfeld Xabi Alonso (im CL-Finale gesperrt), Luka Modric sowie Angel di Maria fand Ancelotti ebenfalls die perfekte „Partie“. Was noch viel wichtiger war: Der als begnadeter Witzeerzähler und lebenslustiger Genießer bekannte Italiener brachte die gute Laune in die Real-Kabine zurück.

Real-Madrid-Trainer Carlo Ancelotti

APA/EPA/J.J. Guillen

Der oft ernst wirkende Ancelotti brachte bei Real wieder gute Laune ins Spiel

„Equilibrista“, der Ausgleichende, wurde Ancelotti aufgrund all dieser Vorzüge einmal von einem Vorstandsmitglied genannt. Seither ist das sein Spitzname in den spanischen Medien. Der Bauernsohn aus der Emilia Romagna, der im Gegensatz zu den gnadenlos gehypten „Supertrainern“ wie Josep Guardiola, Jürgen Klopp und Jose Mourinho immer den bodenständigen Anstrich bewahrte, war aufgrund seiner Spielintelligenz schon als Aktiver eine Führungspersönlichkeit. „Er ist einfach genial“, bewundert ihn auch Herbert Prohaska, der mit Ancelotti 1983 mit der AS Roma die italienische Meisterschaft gewann.

Als Trainer begann Ancelotti 1994 bei der WM in den USA als Assistent des italienischen Teamchefs Arrigo Sacchi. Danach waren Parma, Juventus, Milan, Chelsea, Paris SG und eben Real seine ebenso erfolgreichen wie namhaften Stationen. Vor wichtigen Partie zündet sich der Feinschmecker genüsslich eine Zigarette an. Ehemalige Spieler berichteten auch davon, dass Ancelotti kurz vor dem Spiel in der Kabine seine besten Witze präsentierte und so die allgemeine Anspannung ein wenig lockerte. Wie gekonnt er mit Clubchef Perez umgeht, das schaffte er auch schon bei Milan mit Silvio Berlusconi oder bei Chelsea mit dem Oligarchen Roman Abramowitsch.

Simeone als ansteckende Kämpfernatur

Diego Simeone war 1996 Schlüsselspieler jener Atletico-Mannschaft, die mit Meistertitel und spanischem Pokal einen historischen Triumph feierte. Seither ist der von den Atletico-Fans mit dem Spitznamen „El Cholo“ (Der Mischling) gerufene Argentinier ihr Held, und mit dem am Samstag in Barcelona erkämpften Meistertitel 2014 bleibt er es wohl für immer. Als Mittelfeldmann war Simeone im Club und im Nationalteam für seine bedingungslose Spielweise und sein Kämpferherz berühmt wie berüchtigt. Seine Einstellung, niemals aufzugeben, dürfte sich nun auch auf seine Spieler übertragen haben.

Ob Torjäger Diego Costa, Spielmacher Koke, die Defensiven Miranda und Diego Godin oder auch Torhüter Thibaut Courtois: Simeone holt seit zweieinhalb Jahren aus nahezu allen Atletico-Spielern das Beste heraus, auch wenn sie davor noch keine sprichwörtlichen Bäume ausgerissen haben. In seiner Coachingzone gibt der 44-Jährige regelmäßig alles, legt nicht viel weniger Kilometer zurück als seine lauffreudige Mannschaft auf dem Spielfeld. Und was die Motivationsarbeit betrifft, greift Simeone ebenfalls zu höchst wirkungsvollen Methoden.

Erfolgsrezept mit vielen Zutaten

So lud der charismatische Südamerikaner unmittelbar vor dem Meisterschaftsspiel in Bilbao Ende März die 35-jährige Irene Villa ins Mannschaftsquartier ein. Sie hatte im Alter von zwölf Jahren beide Beine verloren, als unter dem Auto ihrer Mutter, einer spanischen Polizistin, eine Bombe der baskische Separatistengruppe ETA explodiert war. Villa führte den Atletico-Spielern in einem 40-minütigen Vortrag die Bedeutung von Kämpfen, niemals Aufgeben, Zuversicht und Selbstvertrauen vor Augen. Danach gewann Atletico gegen Athletic Bilbao mit 2:1, obwohl man früh mit 0:1 zurückgelegen war.

Diego Simeone, Trainer Atletico Madrid

APA/EPA/Aurelio Martin

Diego Simeone führte Atletico als Spieler und als Trainer an die Spitze

Über den Charakter seiner Schützlinge lässt Simeone generell nichts kommen. „Ich danke den Müttern meiner Spieler dafür, dass sie Burschen mit solchen Eiern auf die Welt gebracht haben“, sagte er nach dem CL-Finaleinzug an der Stamford Bridge in London in die Mikrofone. Dass Atletico in dieser Saison der Königsklasse die einzige noch ungeschlagene Mannschaft ist und dabei die wenigsten Treffer kassierte, spricht für Simeones defensive Grundausrichtung samt Disziplin, Leidenschaft und blitzschnellem Umschalten in den Angriff.

Seit Weihnachten 2011 schwingt Simeone das Zepter bei Atletico und verkörpert durchaus bewusst die Antithese zu Ex-Barca und nun Bayern-Coach Guardiola. „Ich habe lieber weniger den Ball und dafür mehr Torchancen“, artikuliert der Argentinier offen seine Abneigung gegenüber den powerplayartigen Passstafetten. Kolportiert wird auch immer wieder eine andere Eigenheit von Simeone. Bei Neuverpflichtungen achtet er genau auf das jeweilige Sternzeichen. Skorpione sollen bei ihm keinen leichten Stand haben.

Harald Hofstetter, ORF.at

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