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Prestigeduell mit langer Tradition

Erstmals überhaupt kämpfen im Finale der UEFA Champions League am Samstag (20.45 Uhr) zwei Teams aus derselben Stadt um den Titel. Beim „Derbi madrileno“ zwischen Real und Atletico kommt es dabei nicht nur zum Duell der sportlichen, sondern auch der historischen Gegensätze: einerseits das erfolgsverwöhnte glamouröse „Weiße Ballett“, andererseits der bodenständige Verein aus dem Süden der Stadt.

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Knapp sieben Kilometer Luftlinie liegen die Heimstätten der beiden Stadtrivalen voneinander entfernt. Mitten im südlichen Arbeitergebiet zwischen Hochhaussiedlungen erhebt sich das knapp 55.000 Zuschauer fassende Estadio Vicente Calderon, Atleticos Heimstätte. Demgegenüber thront das altehrwürdige Estadio Santiago Bernabeu von Real im wohlhabenderen Stadtbezirk Chamartin im Zentrum der spanischen Hauptstadt. 81.000 Menschen finden in dem legendären Fußballtempel Platz.

Real-Madrid-Spieler feiern den CL-Sieg 2002

Reuters/Sergio Perez

Real-Feiern steigen beim Cibeles-Brunnen, wie 2002 beim letzten CL-Triumph

Ebenso unterschiedlich wie die Standorte ihrer Spielstätten sind die Gründungsgeschichten der beiden Rivalen. Hier der Arbeiterverein, der 1903 von baskischen Studenten gegründet wurde und hinter dem sich auch viele Migranten aus Lateinamerika versammeln. Dort das „Weiße Ballett“, das als Repräsentant der Oberschicht gilt und dessen Wurzeln bis in das Jahr 1897 und in adeligen Kreise zurückreichen. Die Duelle waren demnach immer schon - vor allem vonseiten Atleticos - besonders leidenschaftlich geführt und stellen für viele sogar den „Clasico“ zwischen Real und Barcelona in den Schatten.

Real ist kein normaler Fußballverein

Der Real Madrid Club de Futbol war immer schon für das Spektakel geschaffen und dabei nie ein „normaler“ Fußballverein, vielmehr ein Mythos. Der 112-jährigen Geschichte, die von unzähligen Titeln und Triumphen gekennzeichnet ist, soll am Samstag ein neues glänzendes Kapitel hinzugefügt werden. Mit einem Erfolg im Estadio da Luz von Lissabon könnten die „Königlichen“ ihren zehnten Triumph in der Königsklasse einfahren. „Dieser Bewerb hat für Real eine ganz spezielle Bedeutung, man merkt, wie wichtig ‚La Decima‘ ist“, erklärte Trainer Carlo Ancelotti.

Atletico Madrid

Gegründet: 26. April 1903
Stadion: Estadio Vicente Calderon
Trainer: Diego Simeone
Marktwert: 282 Mio. Euro
CL-Titel: keiner
EL-Titel: zwei
Meistertitel: zehn
Copa del Rey: zehn

Atletico, das in der Hauptstadt immer im Schatten des großen Stadtrivalen stand, möchte einer außergewöhnlichen Saison mit dem Gewinn der spanischen Meisterschaft - der ersten seit 1996 - mit einem CL-Triumph indes die Krone aufsetzen. Die „Rojiblancos“ (die Rot-Weißen, Anm.) symbolisieren dabei für ihre Fans genau das, was Real eben nicht ist: bodenständig, hart arbeitend und vor allem volksverbunden. Und vor allem die einzigartige Möglichkeit, der Oberschicht einmal eins auszuwischen.

Schulden sind nicht gleich Schulden

Denn obwohl Real vor einem riesigen Schuldenberg steht - derzeit sollen es über 500 Mio. Euro bei verschiedenen Organisationen sein -, brauchen sich die „Königlichen“ um Geld keine Sorgen zu machen. Präsident Florentino Perez, einer der reichsten Menschen Spaniens, gleicht Defizite aus, wenn es einmal sein muss. Demgegenüber drückt Atletico seit Jahren der Schuh. Allein mit 150 Millionen Euro soll der Verein beim Finanzamt in der Kreide stehen, weshalb man in den vergangenen Spielzeiten wegen leerer Kassen Stars wie Fernando Torres, Sergio Agüero und Radamel Falcao ziehen lassen musste. Nach dieser Saison steht Stürmerstar Diego Costa vor dem Abgang.

Real Madrid

Gegründet: 6. März 1902
Stadion: Estadio Santiago Bernabeu
Trainer: Carlo Ancelotti
Marktwert: 571,4 Mio. Euro
CL-Titel: neun
EL-Titel: zwei
Meistertitel: 32
Copa del Rey: 19

Bei Real geben sich die Superstars indes aus anderen Gründen und nach Lust und Laune der Vereinsbosse die Türklinke in die Hand. Kaum ein großer Name, der nicht zumindest einmal mit dem „Weißen Ballett“ in Verbindung gebracht wurde oder für Real tatsächlich auf Torjagd ging. Die Liste der bekanntesten Spieler liest sich dann auch wie die „Hall of Fame“ des Weltfußballs: Alfredo Di Stefano, Ferenc Puskas, Raul, Figo, Zinedine Zidane, Ronaldo und David Beckham, um nur einige zu nennen. Aktuell stehen u. a. mit dem Portugiesen Cristiano Ronaldo der zurzeit wohl beste und mit dem Waliser Gareth Bale der teuerste Spieler der Welt auf Reals Gehaltsliste.

Jeder Verein hat seinen eigenen Brunnen

Investitionen allerdings, die sich auch in einer schier endlosen Erfolgsbilanz zu Buche schlagen. Insgesamt neunmal entschied Real den Europapokal der Landesmeister bzw. die Champions League für sich, 32-mal setzte sich das „Weiße Ballett“ die Krone des spanischen Meisters auf. Hinzu kommen unter anderem noch 19 Triumphe in der Copa del Rey und zwei im UEFA Cup. Vergleichsweise karg gefüllt ist da der Trophäenschrank von Atletico, das einen Triumph im Europapokal der Pokalsieger sowie zwei in der Europa League vorweisen kann. Ein einziges Mal standen die „Colchoneros“ (Matratzenmacher, Anm.) zudem im Endspiel der Königsklasse. Nach einem 1:1 im ersten Spiel setzte sich Bayern München 1974 im Wiederholungsspiel mit 4:0 durch.

Gabi (Atletico) feiert auf dem Neptun-Brunnen

APA/AP/Daniel Ochoa de Olza

Zuletzt machte Atletico-Kapitän Gabi den Neptunbrunnen in Madrid unsicher

Hinzu kommen noch zehn spanische Meistertitel. Der letzte wurde allerdings erst am vergangenen Wochenende im direkten Duell mit Barcelona gefeiert. Da hatte Real in der Liga bereits die Segel gestrichen. Während der Madrider Cibeles-Brunnen, die Kultstätte der Madridistas bei Titelgewinnen, deshalb verwaist blieb, machten die „Indios“ (Indianer, Anm.), wie die Anhänger Atleticos bezeichnet werden, den 500 Meter entfernten Neptunbrunnen unsicher. Traditionell werden Siege ihrer Mannschaft dort gefeiert. Und so soll es auch am Sonntag nach dem Schlusspfiff in der Champions League sein.

Erstes Duell vor 86 Jahren

Erstmals trafen die Stadtrivalen in der Saison 1928/29 im „Derbi madrileno“ aufeinander. Auch damals gab schon - wie so oft in den darauffolgenden Jahren - Real den Ton an und besiegte Atletico mit 2:1 bzw. 3:0. Insgesamt ging das „Weiße Ballett“ in 166 Vergleichen 91-mal als Sieger vom Feld. 41 Partien konnte Atletico für sich entscheiden. Eine der wenigen Statistiken, in denen die „Rojiblancos“ die Nase vorn haben, sind die Finalspiele der Copa del Rey. Viermal standen einander die Stadtrivalen im Endspiel in Reals Estadio Santiago Bernabeu gegenüber, viermal hatte Atletico das bessere Ende für sich.

Jenes denkwürdige Halbfinal-Duell im Europapokal der Landesmeister in der Saison 1958/59 entschied allerdings wiederum Real für sich. Das erste Stadtderby in der Geschichte des Europapokals musste nach einem 2:1-Erfolg der „Königlichen“ im Heimspiel und einer 0:1-Auswärtsniederlage in einem dritten Spiel auf neutralem Platz entschieden werden, da damals die Auswärtstorregel noch nicht galt. Real setzte sich mit 2:1 durch und zog zum vierten Mal in Folge in das Endspiel ein. In der abgelaufenen Saison hatte allerdings Atletico - zumindest in der Liga - die Nase vorn. Dem ersten Auswärtssieg seit 1999 (1:0) ließen die „Rojiblancos“ in der Liga im Heimspiel ein 2:2 folgen. Im Cup schied man allerdings mit einem Gesamtscore von 0:5 sang- und klanglos aus.

Wolfgang Rieder, ORF.at

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