Themenüberblick

„Kleine Details werden entscheidend sein“

Geht man nach dem Marktwert, den klingenden Namen und den bereits gewonnenen Europacup-Trophäen, dann geht Real Madrid am Samstag als Favorit in das mit Spannung erwartete Finale der Champions League. Der spanische Meister heißt allerdings Atletico Madrid, und nicht nur deshalb ist für das Endspiel im Estadio da Luz von Lissabon ein Duell auf Augenhöhe zu erwarten.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Während die „Königlichen“ mit herausragenden Individualisten wie Cristiano Ronaldo und Gareth Bale sowie einer brandgefährlichen Offensivabteilung anrücken, sind die größten Stärken des Stadtrivalen das Kollektiv und ein flexibles System. In die Topelf der Primera Division wurden mit Thibaut Courtois, Juanfran, Diego Godin, Filipe Luis, Gabi, Koke und Diego Costa nicht umsonst gleich sieben Atletico-Akteure gewählt, mit Ronaldo aber nur ein Real-Spieler.

Cristiano Ronaldo

AP/Andres Kudacki

Ronaldo würde im Finale nur zu gern sein 17. CL-Tor der Saison bejubeln

In den bisherigen Ligaduellen gab es einen 1:0-Auswärtssieg von Atletico im Bernabeu und im März ein 2:2. Im Cupsemifinale setzte sich Real im Februar mit dem Gesamtscore von 5:0 durch. In der Champions League sind die „Rojiblancos“ mit neun Siegen und drei Remis ungeschlagen. Real hält bei zehn Siegen, einem Remis und einer 0:2-Pleite im Viertelfinale in Dortmund. „Beide wollen gewinnen, die kleinen Details werden entscheidend sein“, so Ronaldo. Im Teamcheck beleuchtet ORF.at, welches Team wo Vorteile hat.

Jungstar Courtois gegen Routinier Casillas

Auf der Tormannposition kommt es zum Generationenduell zwischen Iker Casillas und Thibaut Courtois. Real-Goalie Casillas kann nach einem WM- und zwei EM-Titeln auf einen reichen Erfahrungsschatz aus wichtigen Endspielen zurückgreifen. In den Ligaspielen verlor der 33-jährige seinen Stammplatz an Diego Lopez. In der CL stellte er aber unter Beweis, dass seine Reaktionen noch immer glänzend sind. Wenn es notwendig ist, ist Casillas in der Lage, besondere Leistungen abzurufen. Einzig bei hohen Bällen zeigt er manchmal Schwäche.

Mit seinen 1,98 Metern sind hohe Bälle für Courtois kein Problem. Der Belgier zählt zu den größten Zukunftsaktien auf der Goalieposition und hat maßgeblichen Anteil an Atleticos Traumsaison. Obwohl erst 22, ist Courtois ein sicherer Rückhalt und ein kompletter Tormann, der trotz seiner Größe auch auf der Linie sehr stark ist. Im Semifinal-Rückspiel gegen seinen Stammclub Chelsea, der ihn seit drei Jahren an Atletico verliehen hat, brachte Courtois die „Blues“-Spieler zur Verzweiflung. „Er hat unglaublich gespielt“, lobte Chelsea-Goalie Mark Schwarzer.

Atletico-Goalie Thibaut Courtois

APA/AP/Paul White

Bei hohen Bällen ist Atletico-Goalie Thibaut Courtois eine Macht

Starke Defensive auf beiden Seiten

Atleticos Viererkette ist das Prunkstück der „Matratzenmacher“. Lediglich sechs Gegentore in zwölf CL-Spielen ließ Atletico zu. In der Meisterschaft waren es 26 in 38 Partien. Juanfran und Filipe Luis sorgen über die Flügel für Druck und sind auch in der Defensivarbeit sehr gefestigt. In der Innenverteidigung bilden der ruhige Miranda und der zweikampfstarke Diego Godin als charakterlicher Konterpart ein perfektes Duo. Bei Standards sind beide sehr gefährlich, so köpfelte etwa Godin Atletico mit dem Ausgleich gegen Barcelona zum Titel.

Defensiv muss sich Real aber ebenfalls nicht verstecken. Unter Carlo Ancelotti wurden das Team in puncto Defensivverhalten und Kompaktheit besser. Neun CL-Gegentore stellen das unter Beweis. Im Semifinale zerbrachen etwa die Bayern an der Real-Mauer und erzielten in Hin- und Rückspiel kein Tor. Abwehrchef Sergio Ramos bevorzugt eher das spielerische Element, Pepe ist der rustikale Innenverteidiger, der sein Temperament unter Kontrolle haben sollte. Rechts ist Dani Carvajal gesetzt. Links hat Ancelotti die Wahl zwischen dem offensivstarken Marcelo und dem defensiv verlässlicheren Fabio Coentrao.

Sergio Ramos (Real) gegen Bayern's Bastian Schweinsteiger

AP/Andres Kudacki

An einem Sergio Ramos in Bestform gibt es kaum ein Vorbeikommen

Unterschiedliche Systeme im Mittelfeld

Im Mittelfeld ist Atletico sehr flexibel. Coach Diego Simeone setzt nicht auf ein fixes System, dafür auf Druck und Aggressivität. Wie Atletico im Finale spielen wird, wird auch davon abhängig sein, ob Arda Turan fit ist oder nicht. Falls der Türke ausfällt, geht Atletico ein kreatives Element verloren. Kann Turan nicht spielen, könnte Raul Garcia als hängende Spitze ins Team rücken. Simeone wird wohl mit Gabi und Tiago oder Mario Suarez auf Kompaktheit und damit auf ein Übergewicht im Mittelfeld setzen. Koke soll für das Überraschungsmoment sorgen.

Real muss indes im defensiven Mittelfeld auf den gesperrten Xabi Alonso verzichten. Der Denker und Lenker wird für die „Königlichen“ nicht adäquat zu ersetzen sein. Da Sami Khedira noch kein Thema für die Startelf ist, wird wohl Asier Illarramendi zum Einsatz kommen. „Er ist in guter Verfassung, wirkt ruhig und hat viel Selbstvertrauen“, so Ancelotti über den Alonso-Ersatz. Mit dem technisch starken Luka Modric, der in dieser Saison zu einem Schlüsselspieler wurde, und dem agilen Angel di Maria hat Real spielerisch wohl die Oberhand.

Diego Costa und Koke, beide Atletico

APA/AP/Kirsty Wigglesworth

Koke ist einer der wichtigsten Assistgeber von Torjäger Diego Costa

37 CL-Tore sprechen für Real

Solostürmer, ein Stürmer und eine hängende Spitze oder sogar zwei Angreifer: Atletico ist in jedem Fall torgefährlich, gelang doch bisher in jedem Champions-League-Spiel in dieser Saison zumindest ein Treffer. Hauptverantwortlich dafür war Diego Costa, der acht der insgesamt 25 Tore erzielte. Der kraftvolle und laufstarke Sturmtank ist für das Finale allerdings wegen einer Oberschenkelverletzung wesentlich fraglicher als Turan. Sollte der 25-Jährige ausfallen, wären die Alternativen Adrian Lopez oder Routinier David Villa.

Über die Torgefahr von Real braucht man eigentlich kaum mehr Worte zu verlieren: 37 Tore in zwölf CL-Spielen sprechen für sich. Ronaldo hält in dieser CL-Saison bereits bei 16 Treffern und überbot damit die alte Bestmarke von Lionel Messi um zwei Tore. Bale fehlt noch die Konstanz, er hat aber bereits gezeigt, dass er mit seiner unglaublichen Schnelligkeit Spiele entscheiden kann. Atletico wird versuchen, die Räume für das Duo so eng wie möglich zu machen. Karim Benzema komplettiert das „Trio infernale“. Der Einsatz des Franzosen ist aber noch fraglich. Sein Ersatz wäre Alvaro Morata.

Christian Wagner, ORF.at

Links: