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„So schmerzfrei wie möglich“

Wieder ruft das Race Across America (RAAM). Nach seinem Rekordsieg im Vorjahr hat Christoph Strasser zum insgesamt fünften Mal den beschwerlichen Weg über 4.800 Kilometer und rund 51.000 Höhenmeter per Fahrrad von Oceanside (Kalifornien) nach Annapolis (Maryland) angetreten. Start war am Dienstag, die Zielankunft vermutlich weniger als acht Tage später. Im Interview mit ORF.at sprach Strasser vor dem Start über sein Abenteuer.

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ORF.at: Christoph Strasser, was stand in den letzten Tagen vor dem Start auf dem Programm? Was kann man jetzt noch tun?

Christoph Strasser: Es ging nur darum, die Form zu konservieren, besser wird sie jetzt nicht mehr. Was nicht heißt, dass ich nicht mehr hart trainiere. Ich fahre weiterhin Intervalle, zweimal in der Woche zweimal hintereinander auf einen Berg mit 1.000 Höhenmetern in der Wüste von Colorado Springs - als Kraftausdauertraining. Dazwischen stehen Ausfahrten zwischen zwei und vier Stunden auf dem Programm - ganz locker, um mich an die Hitze zu gewöhnen. Ansonsten heißt es viel schlafen, relaxen so gut es geht und im Kopf abzuschalten, was am schwierigsten ist, weil immer was los ist. Also: Handy aus, Computer aus.

ORF.at: Welche Erkenntnisse brachten die letzten Tests im Windkanal?

Strasser: Es ging um die Sitzposition und um Feinheiten wie: Wie tu ich, wenn ich das Trikot aufmache, wie positioniere ich die Trinkflasche, welcher Helm ist der Beste. Ein paar Kleinigkeiten kann man immer einsparen, allein durch kleine Modifikationen bis zu sechs Watt Leistung. Bei einer Durchschnittsleistung von 160 Watt ist das nicht zu verachten. Rein rechnerisch wären das 2,5 bis drei Stunden über das ganze Rennen - in der Theorie, ganz werde ich es nicht umsetzen können, aber auch ein oder zwei Stunden wären super. Man denke nur ans Vorjahr, da bin ich zwei Stunden unter der Achttagegrenze geblieben - wäre schade darum gewesen. Heuer sind sogar sieben Tage und 20 Stunden möglich.

Christoph Strasser

Alexander Karelly/lupispuma.com

Sieben Tage und 22 Stunden - geht es noch schneller?

ORF.at: Dominiert die Freude oder die Angst vor den Schmerzen?

Strasser: Es ist ein Mittelding. Aber ich bin kein Masochist, ich will das ganze so schmerzfrei und mit so wenig Strapazen wie möglich runterkurbeln. Ohne Schmerzen und gröbere Probleme ins Ziel zu kommen ist aber unrealistisch. Dafür freue ich mich auf die Herausforderung, das Erlebnis, die Aufgabe mit dem Team zu meistern. Angst habe ich eher vor unkalkulierbaren Dingen wie dem Wetter, Stürzen und Krankheiten. Weil ich es nicht beeinflussen kann. Alles andere werden wir meistern bzw. irgendwie improvisieren. Es wird schon gutgehen.

ORF.at: Was hat sich seit Ihrem RAAM-Debüt an Ihrer Herangehensweise verändert?

Strasser: Damals hatte ich noch Tausende Kleinigkeiten im Kopf, was man von anderen Fahrern hört, was man liest. Man glaubt, alles müsste perfekt bis ins kleinste Detail vorbereitet und die unmöglichsten Dinge müssten im Vorfeld überlegt sein. Später weiß man, dass viele Dinge einfach wurscht sind, die passieren sowieso oder auch nicht. Ich kann und muss nicht auf alles perfekt vorbereitet sein.

ORF.at: Kalkulierbar ist der Verlauf eines Rennens über 4.800 Kilometer und 51.000 Höhenmeter ohnehin nicht.

Strasser: Nicht alles, aber doch viel. Etwa wie es mir körperlich gehen wird. Ich weiß, dass ich, wenn ich 500 Kalorien pro Stunde zu mir nehme, meine Leistung konstant bringen und mit so und so viel Kraft aufs Pedal drücken kann. Eine rein physikalische Rechenaufgabe. Wie heiß es wird und wie man auf die Temperaturen reagieren wird, kann man nicht errechnen, auch nicht Infekte oder sonstiges Pech. Zu planen ist auch die genaue Marschroute, welche Zeitstation wir in welcher Zeit absolvieren wollen. Die Zeiten sind natürlich frei erfunden bzw. Erfahrungswerte aus den letzten Jahren. Zumindest weiß man, ob man vor oder hinter dem Plan liegt - eine mentale Stütze und Hilfe bei der Dosierung des Tempos und der Vorbereitung der nächsten Schlafpause.

Christoph Strasser

Alexander Karelly/lupispuma.com

Feinschliff bei brütender Hitze in Colorado Springs

ORF.at: Wovor haben Sie am meisten Respekt?

Strasser: Vor dem Verkehr, dagegen bin ich machtlos. Die Autofahrer sind unangenehm. Gerade in den mittleren Bundesstaaten Kansas und Missouri sind sie aggressiv und so extrem intolerant, dass man echt aufpassen muss, um nicht überfahren zu werden. Da ist das Betreuerteam hinter mir überlebenswichtig. Sie schirmen mich ab. Allein würde ich dort keinen Meter fahren, weil zu gefährlich. Man hofft aufs Beste, ist aber aufs Schlechteste vorbereitet.

ORF.at: Wer steuert Ihr Rennen im Hintergrund?

Strasser: Der Teamarzt, er ist ein Excel-Tabellen-Fan. Ernährung, Marschtabellen und Zeiten - alles genau aufgelistet. Er hat auch immer sofort den Vergleich zu den letzten Jahren parat, ob ich mich noch steigern kann, wie viel Zeit ich schon herausgefahren bin oder aufholen muss. Am wichtigsten ist, auf den eigenen Körper zu hören. Der Teamchef entscheidet nach Protokoll, ich nach Gefühl. Aber ich vertraue ihm bis ins letzte Detail - nur er hat den Überblick über Körper, seelische Verfassung, Wetter, Gelände und Renngeschehen. Ich deponiere meine Probleme, er entscheidet. Ich entscheide nur darüber, ob die Flüssignahrung nach Schoko oder Vanille schmeckt.

ORF.at: Ihre schlimmste Erinnerung an die vergangenen Starts?

Strasser: Als ich 2009 ausschied. Da hatte ich in den Rocky Mountains Lungenprobleme, versuchte es hinauszögern, in Kansas explodierte es dann. Binnen kürzester Zeit schwebte ich in Lebensgefahr, war drei Tage auf der Intensivstation. Jedes Mal, wenn ich den Streckenabschnitt geschafft habe, bin ich erleichtert, weil ich weiß: Der schlimmste Teil ist überstanden - die ersten beiden Tage in der Hitze, gefolgt von den kalten Rocky Mountains. Ein brutaler Kontrast. Wer gesund nach Kansas kommt, sollte es gesund ins Ziel schaffen.

ORF.at: Warum tun Sie sich die Qualen als zweifacher Sieger und Streckenrekordhalter noch an?

Strasser: Weil ich Profi bin und beim RAAM jedes Jahr meine beste Leistung bringen will. Für mich zählen neue Ziele, nicht erreichte Erfolge. Der eine Pokal ist im Keller in einer Kiste, der andere bei meiner Mama als Blumenvase. Gregor Schlierenzauer springt ja auch trotz der großen Erfolge weiter, warum hörte Hermann Maier nach der ersten Goldmedaille nicht auf? Warum also sollte ich nach zwei Siegen aufhören? Das RAAM ist mein Saisonhöhepunkt. Dass ich es schon gewonnen habe, heißt nicht, dass ich mich ins Bett lege und mein Leben lang nicht mehr Rad fahre. Es ist noch lange nicht vorbei. Das Jetzt zählt.

ORF.at: Das mediale Echo nach Ihrem Rekordsieg im vergangenen Jahr war enorm. Was ist seither anders geworden?

Strasser: Gott sei Dank nicht viel. Das ist mir wichtig. Ich bin mit meinem Leben zufrieden, werde mit diesem Sport zwar nie der große Verdiener sein, aber ich kann davon leben. Dank der Sponsoren und meiner Vorträge. So viel Geld wie ein WorldTour-Radstar werde ich nie verdienen, war mir auch nie wichtig. Wichtiger ist mir, dass mich ohne Radmontur niemand erkennt, dass ich mich mit Freunden treffen kann, ohne von anderen angequatscht zu werden. Als Radfahrer muss ich meiner Vorbildfunktion und Rolle gerecht werden. Privat soll aber privat bleiben. Für mein Ego brauche ich die Bekanntheit nicht.

ORF.at: Immer wieder wird gefragt, ob Sie auch bei der Tour de France Chancen hätten.

Strasser: Nein. Weil ich viel zu langsam und viel zu schwer bin. Ich kann lange Zeit schnell fahren, aber nicht so schnell, dass ich bei den Tour-Profis nur irgendwie eine Chance hätte. Höchstens bei einem flachen Einzelzeitfahren. Sobald es bergauf geht, bin ich mit meinen knapp 80 Kilogramm komplett weg vom Fenster. Reizen würde mich nur Paris - Roubaix, da sind kräftige Fahrer im Vorteil. Hätte ich früher als mit 20 mit dem Radsport begonnen, wer weiß, vielleicht wäre das mein Terrain geworden. Aber Faszination pur war für mich nur das RAAM.

ORF.at: Die USADA spielt eine Vorreiterrolle im Anti-Doping-Kampf, welche Rolle spielt Doping beim RAAM?

Strasser: Thema ist es nur medial. Ich glaube sogar, dass es ein komplett dopingfreier Sport ist. Nicht nur, weil bisher noch alle Kontrollen negativ waren. Die finanzielle Motivation ist gering: Der Sieger kriegt ein Holzbrett, der Finisher ein Leiberl. Ein ausgeklügeltes Dopingnetzwerk würde sich nicht rechnen. Geld kann ich beim RAAM nur verdienen, wenn ich ein Buch darüber schreibe oder Vorträge halte. Dafür muss ich nicht gewinnen. Auch der Letzte könnte die Wahnsinnsgeschichte schreiben, die Platzierung hat nichts mit der Vermarktung zu tun.

Außerdem fahre ich mit 160 Watt Durchschnittsleistung, mein Grundlagenausdauerbereich ist 200 bis 270. Ich fahre also rein regenerativ. Würde ich dopen, wäre ich im roten Bereich, ich würde den Motor überdrehen und nach zwei Tagen tot vom Rad fallen. Doping funktioniert bei ein paar Stunden Höchstleistung und danach viel Schlaf - nicht, wenn man 23 Stunden am Tag auf dem Rad sitzt. Von Nutzen wären da nur Antidepressiva. Durch den Schlafentzug leidet man an Paranoia, man halluziniert und hat grundlos Angst. Bestes Mittel dagegen ist aber ein Team, das dich in- und auswendig kennt und weiß, wie es dich motivieren und aufmuntern kann.

ORF.at: Wo liegen Ihre Grenzen?

Strasser: Ich weiß es nicht. Wie soll ich meine Grenzen kennen, wenn ich sie noch nicht überschritten habe? Ich kann nicht 120 Prozent geben. Mehr als einen Liter kriege ich aus einer Ein-Liter-Wasserflasche nicht raus, so sehr ich mich auch bemühe. Ich kann nur innerhalb meiner Grenzen mein Bestes geben und im Training versuchen, die Grenzen zu erweitern. Im Rennen bin ich den Grenzen bisher nur nahe gekommen. Alles darüber hinaus wäre lebensgefährlich. Die Grenzen zu überschreiten, das ist nur eine dumme Floskel.

ORF.at: Wie viel kostet das Abenteuer RAAM?

Strasser: Rund 50.000 Euro. Für Mietauto, Treibstoff, Flüge, Verpflegung, Unterkunft für das ganze Team und Ausrüstung, was zum Großteil mittlerweile aber von Sponsoren finanziert wird. Preisgeld gibt es keines. Einen Bonus bekomme ich für meine Leistung nur von meinen Sponsoren, das ist Verhandlungssache. Fahre ich schlecht, steige ich mit null aus - falls gut, ist ein kleiner Urlaub drin. Geld zum Leben muss ich mit Vorträgen und meinem Onlineshop verdienen.

Das Gespräch führte Michael Fruhmann, ORF.at

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