„Im Ring bist du alleine“
Mit ihrem Sieg über die Thailänderin Marasri Sriwilai hat Eva Voraberger im Juni dieses Jahres österreichische Sportgeschichte geschrieben. Als erste heimische Boxerin entschied die 24-Jährige einen Titelkampf für sich und sicherte sich einen WM-Gürtel. Am Samstag steht Voraberger nun vor ihrer ersten Titelverteidigung und verspricht, alles dafür zu tun, dass der Titel in Österreich bleibt.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Sitzt man dem 50 Kilogramm leichten Fliegengewicht gegenüber, kann man sich zunächst nicht vorstellen, dass man gerade in die Augen der amtierenden Boxweltmeisterin der Verbände WBF und WIBF schaut. Nett und galant plaudert die 24-Jährige drauflos. Dabei steht im Rahmen der „Fight Night“ im Admiral Dome (vormals Budocenter) in Wien ihre erste Titelverteidigung gegen die Ungarin Renata Domsodi an. Vollkommen entspannt beantwortet die gebürtige Grazerin die Fragen und stellt von Anfang an klar, dass sie ohne ihr Team nichts erreicht hätte.

ORF.at/Zita Köver
Die Verbundenheit mit ihrem Boxclub geht bei Voraberger auch unter die Haut
Die familiäre und freundliche Atmosphäre in ihrem Trainingscenter, dem Pro-Gym am Vikor-Adler-Markt, ist dabei von Anfang an zu spüren. Seit dem Punktesieg gegen Sriwilai geht die Verbundenheit mit ihrem Boxclub sprichwörtlich sogar unter die Haut. Auf ihrem rechten Oberarm prangt seit Sommer ein Tattoo mit dem Logo vom Box Team Vienna. „Das ist das Team, das dich zur WM gebracht hat und mit dir alle Höhen und Tiefen gegangen ist“, erklärt die Wahlwienerin, deren Körper auch noch zahlreiche andere Tätowierungen zieren. Und Unterstützung ist beim harten Training ständig gefragt.
Mehrere Wochen intensive Vorbereitung
Mehrere Wochen intensive Vorbereitung heißt mehrere Wochen Verzicht. „Es ist nicht immer alles cool im Training und es ist nicht immer alles lässig“, so Voraberger. „Du hast auch schlechte Tage, aber du weißt, du musst trainieren und immer 100 Prozent geben.“ Werde man im Training notfalls auch von seinen Betreuern zu Höchstleistungen gepusht, spätestes beim Kampf sei man auf sich alleine gestellt. „Wenn du zu Boden gehst, musst du dir selbst wieder aufhelfen – im Ring bist du alleine“, stellt sie klar. „Sobald du im Ring stehst, hast du einen Tunnelblick, alles um dich herum wird ausgeblendet.“
Umso wichtiger sei deshalb eine akribische Vorbereitung. „Wir stellen uns vor einem Kampf immer auf alle Situationen ein“, erzählt die 24-Jährige. In den Pausen könne die Ecke dann reagieren und auf Lücken in der Deckung der Gegnerin hinweisen. „Mein Trainer gibt mir dann zunächst ein Zuckerl in Form eines Lobs und danach Tipps für meine Strategie.“ Wasser werde erst danach gereicht, damit man sich ganz auf die Worte konzentriere. Grundvoraussetzung seien aber das Vertrauen in das Betreuerteam und die Ruhe. „Ich brauche das nicht, dass mich wer anschreit“, so Voraberger.
Beeindruckende Kampfbilanz
Vom Kampfstil her bevorzugt die 1,61 Meter kleine Boxerin den harten Stil. „Ich mag die harten und klaren Treffer", verrät die 24-jährige Steirerin. „Im Amateurbereich würde ich deshalb viele Kämpfe verlieren, da zählen die Punkte. Im Profibereich zählen aber die Wirkungstreffer, und das liegt mir.“ Die Krönung für einen Boxer sei dann natürlich ein K. o., das ist ihr bei ihren bisher 18 Siegen insgesamt bereits neunmal gelungen. „Das ist ein unbeschreibliches Gefühl“, so Voraberger, die den Ring nur dreimal als Verliererin verließ.

ORF.at/Zita Köver
Die beeindruckende Trophäensammlung der 24-Jährigen kann sich sehen lassen
Zögern oder gar Angst kann man sich dabei natürlich nicht leisten. Der Respekt vor Domsodi, die ihre Gegnerinnen bei fünf ihrer zwölf Siege ausgeknockt hat, ist aber groß. „Ich muss die Hände oben behalten“, weiß die 24-Jährige um die Gefährlichkeit ihrer um 15 Jahre älteren Kontrahentin. „Sie bevorzugt auch den harten Stil. Wer als erster hart trifft und seinen Stil umsetzen kann, wird gewinnen.“ Die Marschroute ist deshalb klar: „Ich werde von Anfang an Vollgas geben und alles geben.“ Da es für die 39-jährige Ungarin zudem ihre wohl letzte Chance auf einen WM-Titel ist, erwartet Voraberger einen harten Kampf. „Sie wird noch einem 50 Prozent mehr geben.“
Phil Collins sorgt für Entspannung
Herzklopfen hatte Voraberger in den Tagen vor dem Kampf deshalb aber nicht. „Zum ersten Mal steigt die Aufregung bei der Abwaage beim Face-to-Face“, erzählt das Fliegengewicht. „Eigentlich ist es aber keine Aufregung, sondern man denkt sich: Jetzt will ich in den Ring.“ Nervös werde sie erst unmittelbar vor dem Kampf. Und dabei hilft ihr dann ein Griff in die CD-Sammlung, um sich abzulenken. Neben dänischer Musik, auf die sie ihr Freund Kim Poulsen - selbst Boxer und Trainingspartner – gebracht hat, gehört „In the Air Tonight“ von Phil Collins zu Vorabergers absoluten Lieblingsstücken. „I’ve been waiting for this moment for all my life“ beschreibe ihre Gefühlslage dabei vor dem Kampf am besten.

ORF.at/Zita Köver
Bis in die Fingerspitzen ist das „Golden Baby“ für den WM-Kampf motiviert
Stolz präsentiert die wegen ihres Hangs zu glitzernder Aufmachung „Golden Baby“ genannte Boxerin dann ihre für den Kampf bereits fertig lackierten Fingernägel: wenig überraschend in goldener Farbe und mit dem Schriftzug ihres Spitznamens versehen. Auch ihr extra für den Kampf von einer Bekannten geschneiderter Kampfmantel und die entsprechend dem Reglement exakt 500 Gramm schweren Boxhandschuhe leuchten in der gleichen Farbe. Extra aus Mexiko zu einem Stückpreis von 180 Euro importiert und mit Rosshaar gefüllt, sollen diese eine größere Knock-out-Power garantieren.
Dass sich Österreich seit Ende Juni überhaupt über seine erste Boxweltmeisterin freuen darf, verdankt es – wie so oft – einem Zufall. Nach einer bis auf die Trennung ihrer Eltern normalen Kindheit drohte Voraberger im Teenageralter nur kurzfristig ein Abtriften in einen falschen Freundeskreis. Der erste Kontakt mit einem Thaiboxer und die Möglichkeit, ihre überschüssigen Energien loszuwerden, ebneten ihr den Weg zum Weltmeistertitel. „Ich habe in der Schule nie ruhig sitzen können“, so Voraberger. „Dann bin ich nach dem ersten Thaibox-Training heimgekommen und war total fertig.“ Von einem auf den anderen Tag stand plötzlich Boxen im Mittelpunkt.
Keine Skrupel, richtig hinzuhauen
Im Gegensatz zu anderen Frauen hatte sie auch nie Skrupel zuzuschlagen. „Das hatte ich nie“, sagt die 24-Jährige. „Ich habe mir immer vorgestellt, du stehst mir im Weg. Von Anfang an habe ich dann mit voller Wucht und voller Power zugeschlagen.“ Auch Schmerzen nimmt sie auf dem Weg nach oben in Kauf. „Wir werden hintrainiert, einem Schlag auszuweichen und ihn abzufangen“, so Voraberger. „Wenn dich ein Fußball mit voller Wucht auf dem Kopf trifft, ist das um einiges härter.“ Und sollte es doch zu einer schweren Verletzung kommen, hätten der Sportler bzw. das System versagt. Die medizinischen Untersuchungen sind so professionell, dass kaum etwas passieren kann.
Dass am Samstag gegen Domsodi nichts passieren kann, dafür sorgen auch Vorabergers Familie und die ihres dänischen Freundes Poulsen, der im Admiral Dome im Weltergewicht selbst in den Ring steigen und um den offenen österreichischen Titel kämpfen wird. Nicht dabei sein wird allerdings ihre Großmutter, die ihr unmittelbar vor ihrem letzten Kampf Weihwasser über den Kopf gegossen hatte. „Das hat sie diesmal meinem Vater mitgegeben“, so Voraberger, die sich nach den harten Trainingswochen mit vielen Entbehrungen nach dem Kampf vor allem auf eines besonders freut, nämlich auf die „Apfelnockerl von der Oma“.
Wolfgang Rieder, ORF.at
Links: