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15. November 1999 als Schicksalstag

Am Sonntag kommt es im University of Phoenix Stadium in Glendale zum großen Showdown zwischen den New England Patriots und den Seattle Seahawks. Die 49. Super Bowl ist aber nicht nur ein Duell der beiden besten NFL-Teams, sondern an der Seitenlinie auch ein Kräftemessen zwischen Bill Belichick und Pete Carroll - den aktuell erfolgreichsten Trainern in der National Football League (NFL).

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Der kauzige Belichick steht mit New England bereits zum sechsten Mal in der Super Bowl, womit er den legendären Don Shula überholte. Dreimal (2002, 2004, 2005) holten die Patriots die Vince Lombardi Trophy, zweimal (2008, 2012) mussten sie sich den New York Giants geschlagen geben. Der weitaus lockerere Carroll formte wiederum aus den durchschnittlichen Seahawks eine junge und kompetitive Truppe, die als erstes Team seit zehn Jahren den Titel verteidigen könnte.

Bill Belichick, Pete Carroll

AP/Elaine Thompson

Bill Belichick (l.) und Pete Carroll haben den größten Respekt voreinander

Ein Spiel verändert alles

So unterschiedlich die beiden Meistertrainer von ihrem Charakter her sind, ihre Laufbahn ist eng miteinander verknüpft. Keiner der beiden wäre heute dort, wo er ist, hätten sich ihre Wege nicht am 15. November 1999 schicksalhaft gekreuzt. Damals besiegten die New York Jets dank Defensivcoach Belichick die Patriots mit 12:7. Am Ende der Saison verpasste New England das Play-off. Carroll wurde als Headcoach entlassen, Belichick als sein Nachfolger engagiert, obwohl dieser bei den Jets bereits unterschrieben hatte.

Nur einen Tag danach sorgte Belichick für einen Eklat, indem er auf ein Papier seinen Rücktritt kritzelte und bei den Patriots andockte. Der heute 62-Jährige nutzte seine zweite Chance als Headcoach nach den Cleveland Browns (1991 bis 1995) auf beeindruckende Weise. Mit seinem Markenzeichen - einem abgerissenen Kapuzensweater - dirigierte er die Patriots mit genialen Strategien zu einer Erfolgsbilanz, die ihresgleichen sucht. Unter Belichick gewann das Team 66,3 Prozent seiner Spiel und 21 Play-off-Spiele - beides NFL-Rekorde.

Pete Carroll

Reuters/USA Today Sports

Seit 15 Jahren bilden Tom Brady und Bill Belichick ein kongeniales Duo

Imagedellen durch „Spygate“

Belichicks beeindruckende Karriere hat aber auch düstere Kapitel. 2007 sorgte er mit dem „Spygate“ für einen Skandal, als ein Assistent dabei erwischt wurde, wie er Defensivsignale der New York Jets aufzeichnen ließ. Belichick wurde von der NFL zur Höchststrafe von 500.000 Dollar verurteilt. Nach dem diesjährigen Viertelfinale warfen ihm die Baltimore Ravens bei der 31:35-Niederlage aufgrund unorthodoxer Offensivformationen Betrug vor, den die NFL zurückwies.

Während die Patriots-Fans der Meinung sind, dass ihr Trainer, der bereits als Zehnjähriger mit seinem Vater Spieler und Spielzüge analysierte, einfach cleverer als die anderen sei und im komplexen Regelbuch Lücken zu seinem Vorteil nutze, gibt es im aktuellsten Skandal keine Diskussionen. Bei der Ankunft in Phoenix und auch den Tagen danach waren die Patriots mit dem „Deflategate“ - den zu weichen Bällen beim 45:7-Sieg im AFC-Finale gegen die Indianapolis Colts - konfrontiert. Vor allem der vorbelastete Belichick, der um keinen Griff in die Trickkiste verlegen ist, geriet ins Visier.

Paradigmenwechsel bei Carroll

Während Belichick, der nach dem Finale eine Aufklärung versprach („In dieser Woche dreht sich bei mir alles um Seattle“), kann sich Carroll mit seinem Team in Ruhe auf sein Ex-Team vorbereiten. Für den 63-Jährigen erwies sich die damalige Trennung als Segen, brachte ihn doch der Rauswurf dazu, einen Paradigmenwechsel zu vollziehen. „Ich war zehn Monate lang Halbpensionist und hatte die Chance, mich hinzusetzen und in einen anderen Modus zu wechseln. In dieser Zeit ist der Wettkämpfer in mir erwacht“, erklärte Carroll.

Der zweifache Großvater übernahm im Dezember 2000 den Job als Headcoach der University of Southern California. Mit den „Trojans“ gewann er zweimal die Collegemeisterschaft (2003, 2004) und holte sich das Rüstzeug für die Arbeit mit jungen Spielern. 2010 ließ er sich von den Seahawks zu einer Rückkehr in die NFL bewegen und zog in Seattle seine Personalpolitik der Talente durch, die im Gewinn der letztjährigen Super Bowl gipfelte. Carroll wurde damit einer von nur drei Trainern, die sowohl den College- als auch den NFL-Titel gewannen.

Pete Carroll

Reuters/Lucy Nicholson

Bei den „Trojans“ entwickelte Pete Carroll ein Gespür für junge Spieler

Während der stets gut gelaunte und umgängliche Kalifornier im Gegensatz zum mürrischen Belichick nicht zur eher rauen Mentalität in New England passte, ist Carroll in Seattle der sprichwörtliche Topf auf dem Deckel. „Carroll ist kein schlechter Trainer gewesen, aber der falsche“, schrieb etwa der „Boston Globe“ über den Coach, unter dem die Patriots nach der Ära des ebenfalls spröden Bill Parcells ins Mittelmaß abgerutscht waren.

Zwei Meister im Teambuilding

Was beide Trainer aber auszeichnet, ist neben ihrer unbestrittenen Fachkenntnis ein exzellentes Teambuilding. Sowohl Carroll als auch Belichick sind Meister, wenn es darum geht, einen Haufen von Egomanen und Exzentrikern zu einer Einheit zu formen. So startete etwa Seattle mit drei Siegen und drei Niederlagen in die Saison. Nach zehn Spieltagen war die Play-off-Qualifikation mit einer 6:4-Bilanz in Gefahr, ehe sich Carroll und zehn Schlüsselspieler zu einem klärenden Gespräch zusammensetzten und Klartext sprachen.

Mit dem Schlendrian war es vorbei, die Seahawks gewannen acht Spiele in Serie und erarbeiteten sich die Chance auf eine erfolgreiche Titelverteidigung. „Wir hatten die Verbindung zu unseren Grundsätzen und dem Stil, den wir verkörpern wollen, verloren. So etwas passiert vielen Teams. Da gibt es einen Moment, wenn die Dinge in die eine oder andere Richtung laufen können. Wir konnten es zum Positiven wenden, wodurch wir als Team gewachsen und besser geworden sind“, erklärte der 63-jährige Carroll, wie er den Turnaround schaffte.

Pete Carroll

AP/Tom Hauck

Für die Kameras hat Pete Carroll meistens ein Lächeln auf den Lippen

„Stärke der Einheit“ und Respekt für Carroll

Belichick versteht es wiederum, jeden Spieler so anzupacken, wie dieser es braucht. So wurde etwa auch „Enfant terrible“ Randy Moss zu einem echten Teamplayer. „In einem Footballteam geht es nicht um die Stärke eines einzelnen Spielers, sondern um die Stärke der Einheit und wie sie als Ganzes funktioniert“, erklärte Belichick seine Philosophie. Die Spieler folgen ihrem Coach bedingungslos und akzeptieren das System ohne Widersprüche und Starallüren.

Welches System sich am Ende in der 49. Super Bowl durchsetzen wird, ist offen. Fix ist, dass beide Teams ohne ihren jeweiligen Trainer nicht so weit gekommen wären. Angesprochen auf Kollegen Carroll kam sogar der sonst zugeknöpfte und phrasendreschende Belichick ins Schwärmen: „Es gibt in dieser Liga keinen Coach, den ich mehr respektiere als Pete. Ich bewundere ihn dafür, wie er Grundlagen lehren kann und wie seine Teams spielen. Ich habe ihn über einen langen Zeitraum aus der Entfernung studiert. Ich denke, dass er mich zu einem besseren Coach gemacht hat.“

Christian Wagner, ORF.at

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