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„Sie haben ihre Qualitäten, wir unsere“

„In Spanien spielen sie viel besser als in Italien, dafür verteidigen sie aber auch um einiges schlechter“, hat Juventus-Verteidiger Giorgio Chiellini die Ausgangslage vor dem Finale der UEFA Champions League eigentlich schon auf den Punkt gebracht. Am Samstag trifft im Olympiastadion von Berlin mit Barcelona Europas wohl beste Offensive auf Juventus. Ein Team, das als Kollektiv beeindruckt.

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Wie schwer es gegen die „Bianconeri“ werden kann, davon weiß bereits Barcelonas Erzrivale Real Madrid ein Lied zu singen. Die „Königlichen“ bissen sich im Semifinale an der Juve-Verteidigung, die allerdings im Endspiel auf den verletzten Abwehrchef Chiellini verzichten muss, über weite Strecken die Zähne aus. Auf dem Weg ins Finale kassierte Juve nur sieben Tore. Offensiv reicht daher der eine oder andere Nadelstich. „Sie haben ihre Qualitäten aber wir haben auch unsere“, sagte Juve-Coach Massimillano Allegri.

Giorgio Chiellini (Juve)

Reuters/Giorgio Perottino

Der Ausfall des kompromisslosen Abwehrchefs Chiellini ist für Juve ein Problem

Über Barcelonas Stärken braucht man nicht lange zu diskutieren. 110 Tore in 38 Ligaspielen und 28 Treffer in der Champions League sprechen eine eindeutige Sprache. Das magische Trio Lionel Messi, Neymar und Luis Suarez versetzt die Fans regelmäßig in Ekstase. Die Offensivkünstler profitierten dabei von einer Systemumstellung von Coach Luis Enrique, der statt viel Ballgeschiebe einen wesentlich direkteren Spielstil etablierte. „Vorsicht, wir sind nicht unschlagbar“, warnte aber Javier Mascherano vor ausufernder Euphorie.

Buffons letztes großes Ziel

Im Tor vertraut Juve voll und ganz auf die Routine einer Legende. Gianluigi Buffon, der 2001 für 56 Millionen Euro zur „Alten Dame“ wechselte, ist auch mit 37 Jahren noch ein Meister seines Faches. Ein Titel fehlt Buffon aber noch. Ausgerechnet in jenem Stadion, in dem er sich 2006 mit Italien zum Weltmeister krönte, kann er seine Sammlung mit dem CL-Titel komplettieren. „Das ist eine exzellente Chance, es zu schaffen. Aber leider steht uns die größte Aufgabe noch bevor“, sagte der vierfache Welttorhüter.

Gianluigi Buffon (Juventus)

GEPA/Cordon Press/Miguel Lopez

Tormannlegende Buffon will wie bei der WM 2006 wieder in Berlin jubeln

Mit der Routine von Buffon kann Barcelona-Goalie Marc-Andre ter Stegen nicht mithalten. Als der Italiener sein Profidebüt gab, war der Deutsche gerade einmal drei Jahre alt. Dafür könnte der 23-Jährige seine Unbekümmertheit in die Waagschale werfen. „Ob ich nervös bin? Nein, ganz im Gegenteil ich bin glücklich“, so Ter Stegen, der im Cup und in der CL spielt, dafür in der Liga gegenüber dem Chilenen Claudio Bravo das Nachsehen hat. Ter Stegen interpretiert das Tormannspiel moderner als Buffon. Dafür bewegt sich der Italiener mental und von seiner Präsenz her in anderen Sphären.

Juventus mit mehr Defensivdisziplin

Auch in der Abwehr hat Juve eine sehr routinierte Viererkette, die allerdings einen herben Ausfall zu verkraften hat. Chiellini fällt mit einer Zerrung in der linken Wade aus. Für Italiens dreifachen Abwehrspieler des Jahres kommt entweder Andrea Barzagli oder Angelo Ogbonna zum Einsatz. Noch mehr gefordert sind damit auch Leonardo Bonucci, Patrice Evra (34) und Stephan Lichtsteiner. Nur wenn die Italiener das Trio Messi/Neymar/Suarez in den Griff bekommen, haben sie eine Chance. „Mann gegen Mann sind sie nicht zu stoppen. Wir können es nur als Team schaffen“, gab Chiellini seinem Team noch einen Rat für das Finale.

Auch Barcelona kann auf eine eingespielte Viererkette zurückgreifen. Gerard Pique und der kompromisslose Javier Mascherano bilden die Innenverteidigung. Über die Seiten können die Katalanen mit Dani Alves und Jordi Alba allerdings mehr Offensivkraft entwickeln als Juventus. Dieser Umstand macht Barcelona aber auch anfälliger. Durch das eher bescheidene Defensivverhalten der Offensivstars ist Barcelona nicht so kompakt wie Juventus. Im Rückspiel gegen die Bayern kassierte der spanische Meister drei Tore.

Staraufgebot im Mittelfeld

Neben der Defensive wird auch Juves Mittelfeld ein perfektes Spiel abliefern müssen. Die Qualität dazu ist vorhanden. Eigenbauspieler Claudio Marchisio und „Krieger“ Arturo Vidal bringen die Kampfkraft mit. Jungstar Paul Pogba und Routinier Andrea Pirlo sollen für das spielerische Element sorgen. Der 36-jährige Pirlo ist ein echter Ästhet und wird wegen seiner Spielmacherqualitäten von seinen Kollegen auch als „Architekt“ bezeichnet. Fehlende Athletik macht er durch blitzschnelle Entscheidungen wett. „Wir müssen aufpassen, dass er nicht zu oft am Ball ist“, erklärte Barcelona-Spieler Andres Iniesta.

Andrea Pirlo (Juventus)

Reuters/Giorgio Perottino

Juves Pirlo zählt zu den gefürchtetsten Freistoßschützen im Fußballgeschäft

Iniesta ist selbst ein Spieler, der die hohe Mittelfeldkunst beherrscht. Durch die schnellere Spielverlagerung hat der 31-Jährige weniger Druck und kann seine Spielintelligenz gezielter einbringen. „Es ist ein Segen, hinter diesen drei Stürmern zu spielen“, lobte Iniesta Barcelonas Offensivtrio, dem durch Sergio Busquets und Ivan Rakitic der Rücken freigehalten wird. Busquets spielt wenig spektakulär, erobert aber wichtig Bälle und ist im Spielaufbau bombensicher. Mit dem lauffreudigen Rakitic, der Xavi aus dem Team verdrängte, bildet Busquets die vertikale Achse, über die sich Barcelonas Spiel aufbaut.

„MSN“ überstrahlen alles

Dieser Aufbau mündet in Messi, Neymar und Suarez. 120 Treffer gingen in dieser Saison bereits auf das Konto von „MSN“, womit auch der Rekord des Real-Trios Cristiano Ronaldo, Karim Benzema und Gonzalo Higuain aus der Saison 2011/12 um zwei Tore überboten wurde. Vor allem Messi agiert in Hochform, wobei Chiellini dem Argentinier zusätzlich Motivation gab. „Es war ein großartiges Tor, aber ich glaube nicht, dass es ihm in Italien gelungen wäre, wo wesentlich besser verteidigt wird“, sagte der Juve-Spieler in Bezug auf Messis Solo beim Führungstreffer im Cupfinale gegen Bilbao.

Neymar (Barcelona)

Reuters/Paul Hanna

Neymar bei der Arbeit: Ein kurzer Haken, und der Gegner fährt ins Leere

Juventus liefert indes das Kontrastprogramm in der Offensive, wo viel auf Carlos Tevez ausgerichtet ist. Der Argentinier ist Juves Topscorer, erzielte 20 Tore in der Meisterschaft und sieben in der Champions League. In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte im Semifinale aber Sturmkollege Alvaro Morata. Der 22-Jährige schoss mit zwei Toren Real Madrid aus dem Bewerb und vermasselte seinen Ex-Club die erfolgreiche Titelverteidigung. „Natürlich ist es ein zusätzlicher Anreiz, Barcelona als Gegner zu haben. Das Gegenteil zu behaupten wäre eine Lüge“, gab der Ex-Real-Spieler zu.

Christian Wagner, ORF.at

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