Eine Geste geht um die Welt
Dass sportliche Großereignisse von der Politik benutzt und sogar missbraucht werden, ist keine Seltenheit. Vor 20 Jahren gelang es Nelson Mandela, mit Hilfe des Sports Südafrika zu versöhnen. Der Moment, als der damalige Präsident am 24. Juni 1995 dem Kapitän des siegreichen Rugby-Teams den WM-Pokal überreichte, gilt vielen als Geburtsstunde der „Rainbow Nation“.
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Die Rugby-Weltmeisterschaft im eigenen Land war die Rückkehr Südafrikas auf die sportliche Weltbühne. Jahrelang war der Staat an der Südspitze Afrikas aufgrund seiner Apartheid-Politik und der strikten „Rassen“-Trennung von sportlichen Wettbewerben ausgeschlossen. Nach dem Ende der Apartheid durfte Südafrika die dritte Weltmeisterschaft austragen und holte sich dabei gleich den Titel. Eine Leistung, an der auch der 2013 verstorbene Friedensnobelpreisträger Mandela einen großen Anteil hatte.
AP/Ross Setford
Ein Stück Sportgeschichte: Mandela (l.) gratuliert Kapitän Pienaar zum Titel
Rugby als Vehikel zur Veränderung
Das Bild von der Siegerehrung im Ellis Park der südafrikanischen Metropole Johannesburg ging um die Welt und ist auch heute noch eines der bekanntesten Sportbilder. Mandela, 27 Jahre lang Gefangener des Apartheid-Systems und erst ein Jahr zuvor in den ersten freien Wahlen des Landes zum Präsidenten gewählt, präsentierte im Trikot der „Springboks“ Francois Pienaar den Webb Ellis Cup. Eine kleine Geste von unschätzbarem Wert. Mandela wurde von den 63.000 Zuschauern im Ellis Park - die überwiegende Mehrheit davon Weiße - mit „Nelson, Nelson“-Sprechchören gefeiert.
Denn gerade die „Springboks“ galten als das Symbol schlechthin für die Diskriminierung der Schwarzen. Bei Heimspielen des Teams feuerten die nicht weißen Südafrikaner das Auswärtsteam an. Kein Wunder, dass kurz nach den Wahlen 1994, die die weiße Vorherrschaft in Südafrika beendeten, auch das Ende des Namen „Springboks“ und der Trikotfarben Grün und Gold gefordert wurde. Doch Mandela wollte die Ängste der ehemaligen weißen Oberschicht nicht weiter schüren, sondern streckte die Hand zur Versöhnung aus.
„Der Präsident hat erkannt, dass er Rugby als Kraft, Gutes zu tun, und als Vehikel zur Veränderung benutzen kann“, erinnerte sich Joel Stransky, der im WM-Finale die entscheidenden Punkte zum 15:12-Sieg über Neuseeland erzielt hatte, anlässlich des Todes Mandelas vor zwei Jahren. „Vor der WM standen wir am Rande des Bürgerkriegs, aber die Euphorie des Finales hat uns geholfen, ein demokratisches Land zu werden“, so Stransky, „der WM-Sieg und Mandelas Rolle haben zum friedlichen Wechsel beigetragen.“
AP/John Parkin
Joel Stransky (mit Ball) wurde in der Verlängerung zum großen Helden
„Ein Team, eine Nation“
Obwohl der WM-Kader bis auf eine Ausnahme, Flügelspieler Chester Williams, ausschließlich aus Weißen bestand, forderte der Präsident sein Volk auf, das Heimteam bei der WM zu unterstützen. „Wir haben das Motto ‚Ein Team, eine Nation‘ ausgegeben, weil wir realisiert haben, was der Titel für alle Menschen in Südafrika bedeutet hätte. Wir haben aber unterschätzt, wie stolz ein Sieg Südafrika gemacht hat“, sagte der damalige Kapitän Pienaar, der sich nach dem Finale in einer legendären Wortspende für die Unterstützung aller 43 Mio. Südafrikaner bedankte.
Der heute 48-jährige Afrikaner, der, so wie die meisten anderen Nachkommen der unter dem Namen Buren bekannten niederländischen Siedler, Mandela in seiner Jugend nur mit dem Begriff „Terrorist“ verband, spielte im Plan des Präsidenten eine entscheidende Rolle. Der gemeinsame Weg zur Versöhnung der Volksgruppen gipfelte schließlich im Finale im Ellis Park, wo Mandela im Trikot mit Pienaars Nummer sechs und einer „Springbok“-Kappe seine Solidarität mit der Mannschaft bekundete.
„Als ich Mandela mit der Springbok-Kappe in der Kabine gesehen habe, war das unglaublich emotional für mich. Ich konnte vor lauter Emotionen nicht einmal die Hymne singen, so stolz war ich, ein Südafrikaner zu sein“, so Pienaar. Bei der Pokalübergabe konnte sich der Kapitän nur schwer zurückhalten. „Ich wollte ihn umarmen, als er mir den Pokal überreicht hat“, sagte Pienaar. Die Worte Mandelas klingen dem 48-Jährigen noch im Ohr. „Er sagte: ‚Danke, was Sie für Südafrika getan haben.‘ Und ich sagte zu ihm: ‚Nein Mr. President, Sie sehen das falsch, danke, was Sie getan haben.‘“
AP
Südafrikas Team wurde von der Euphorie des ganzen Landes getragen
Misstöne und Verschwörungstheorien
Dass Mandelas Coup aufging, lag an Pienaar und seinen Teamkollegen, die im Finale dem haushohen Favoriten Neuseeland rund um Superstar Jonah Lomu die Schneid abgekauft hatten. Vor allem Lomu, der im Semifinale England noch mit vier Tries für die „All Blacks“ fast im Alleingang versenkt hatte, machte gegen die „Springboks“ keinen Stich. Stransky und sein Gegenüber Andrew Mehrtens sorgten mit ihren Kicks für die einzigen Punkte im Spiel. Sieben Minuten vor Ende der Verlängerung gelang Stransky schließlich die Entscheidung.
Der Triumph der Südafrikaner war aber auch von Misstönen überschattet. Denn fast alle neuseeländischen Spieler lagen zwei Tage vor dem Endspiel nach einem Restaurantbesuch mit einer Lebensmittelvergiftung flach. Das Gerücht, das Team sei von einer Kellnerin namens „Suzie“ vergiftet worden, hält sich noch heute. Bewiesen wurde die Theorie aber nie. Dafür sorgte Südafrikas Rugby-Präsident Louis Luyt beim Abschlussdinner für einen Skandal, als er Südafrika als den ersten „echten Weltmeister“ bezeichnete. 1987 und 1991 waren die „Springboks“ noch ausgeschlossen gewesen. Die Neuseeländer verließen daraufhin erbost den Saal.
Oscarreifer Kinofilm
Heuer bietet sich für die „All Blacks“ die Chance zur Revanche. Denn im Herbst steigt in England die achte Weltmeisterschaft im Rugby, und Titelverteidiger Neuseeland und Südafrika nehmen in der aktuellen Weltrangliste die Plätze eins und zwei ein. Die Chancen, dass sich beide Teams im Finale am 31. Oktober im Twickenham-Stadion von London so wie 1995 den WM-Titel ausspielen, stehen daher von der Papierform her nicht schlecht.
Dass dem Finale von 2015 so wie jenem von vor 20 Jahren auch ein filmisches Denkmal gesetzt wird, ist hingegen unwahrscheinlich. Die Geschichte von Südafrikas WM-Titel 1995 wurde von Clint Eastwood als Regisseur unter dem Titel „Invictus“ mit den Oscarpreisträgern Morgan Freeman als Nelson Mandela und Matt Damon als Francois Pienaar im Jahr 2009 verfilmt. Ein Streifen, der auch für Nicht-Rugbyfans zu empfehlen ist.
Karl Huber, ORF.at
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