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Geheimfavorit mit magerer WM-Bilanz

Wer an Irland denkt, dem fallen spontan meist grüne Wiesen, Song-Contest-Siege, Riverdance und dunkles Bier ein. Irland steht aber auch für einen jahrzehntelangen Konflikt. Denn seit 1921 ist die grüne Insel politisch in die Republik Irland und das zu Großbritannien gehörende Nordirland geteilt. Nur auf dem Rugbyfeld spielen die Grenzen keine Rolle. Denn dort tritt Irland als Einheit auf.

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Anders als im Fußball, wo die Republik und Nordirland als eigener Verband an internationalen Wettbewerben teilnehmen, wird Rugby in Süd- und Nordirland von der Irish Rugby Football Union (IRFU) verwaltet. Bei der politischen Teilung der Insel entschied sich die 1879 aus dem Zusammenschluss der südlichen Irish Football Union und der nördlichen Northern Football Union of Ireland entstandene Organisation, die Einheit nicht aufzugeben und die sechs beim Vereinigten Königreich verbliebenen Provinzen der Grafschaft Ulster sportlich zu integrieren.

Eigene Hymne, eigene Flagge

Weil sich der noch immer schwelende Konflikt aber auch im Sport nicht ganz ausblenden lässt, kämpft auch Irlands Rugbyverband mit patriotischen Problemen. Das beginnt schon bei der Hymne. Denn sowohl „Amhran na bhFiann“, das Lied der Republik, als auch das in Nordirland übliche „God save the Queen“ sind für eingefleischte Patrioten auf beiden Seiten der inneririschen Grenze untragbar. Daher wird bei Spielen des irischen Teams seit 1995 die eigens dafür komponierte Hymne „Irelands Call“ eingespielt. Nur bei Heimspielen in Dublin - und nur dort - wird auch das Lied der Republik intoniert. Und von den Akteuren aus Ulster so gut es geht ignoriert.

Simon Zebo (Irland)

Reuters/Action Images/Peter Cziborra

Irlands Team (Mi. Simon Zebo) kennt seit jeher keine inneren Grenzen

Auch bei der offiziellen Flagge des irischen Rugbyteams ging der Verband einen Kompromiss ein. Neben dem Logo der IRFU sind die vier Wappen der historischen Provinzen Irlands - Ulster, Leinster, Munster und Connaught - auf grünem Grund zu sehen. Das Problem, dass bei großen Turnieren, wie eben einer WM die Flaggen der teilnehmenden Länder aufgezogen werden, löste man ebenfalls diplomatisch. Neben der Flagge der Republik ist auch die Flagge Ulsters zu sehen. Beim Spiel gegen Rumänien im Wembley-Stadion von London war die Fahne mit der „Red Hand“ zwischen jenen Irlands und Rumäniens zu sehen.

Aufschwung unter Neuseeländer

Die Spieler aus dem Süden stellen auch das Gros des Aufgebots. Im aktuellen 31-Mann-Kader bei der WM in England sind nur fünf Akteure in Nordirland aufgewachsen. Aber die sportliche Einheit zahlte sich bisher aus. Denn Irland gehört zu den besten Rugbyteams der Welt. Die Iren gehören neben England, Schottland und Wales zu den „Home Nations“ und sind damit fixer Bestandteil des alljährlichen Six-Nations-Turniers. Und nicht nur das: Die vergangenen beiden Jahre holte sich Irland auch den Titel bei der inoffiziellen EM.

Tommy Bowe (Irland)

Reuters/Action Images/Peter Cziborra

Tommy Bowe (l.) ist einer von fünf Nordiren bei den Mannen in Grün

Großen Anteil daran hat auch Teamchef Joe Schmidt. Der gebürtige Neuseeländer, der seit 2015 auch einen irischen Pass hat, ist der Vater der jüngsten Erfolge. Vor zwei Jahren übernahm Schmidt das irische Team und führte die Mannschaft zu neuen Höhenflügen und den Six-Nations-Titeln 2014 und 2015. Sogar an einem Sieg gegen seine alte Heimat Neuseeland - es wäre der erste im 28. Versuch gewesen - waren die Iren unter Schmidts Leitung knapp dran. Doch in der Verlängerung setzten sich die „All Blacks“ im November 2013 noch knapp mit 24:22 durch.

Im Viertelfinale war immer Schluss

Bei der WM 2015 zählen die Iren daher sogar zu den Geheimfavoriten. Gegen die Außenseiter Kanada und Rumänien ließ der Six-Nations-Sieger schon einmal nichts anbrennen. Und die weiteren Gruppengegner Italien und Frankreich konnte man bei den Six Nations heuer ebenfalls bereits in die Knie zwingen. Ein der drei Großen von der Südhalbkugel - Titelverteidiger Neuseeland, Australien oder Südafrika - blieb den Iren in der Gruppenphase diesmal erspart.

Die Motivation ist jedenfalls groß. „Die Weltmeisterschaften sind der Grund, warum wir spielen“, sagte Scrumhalf Conor Murray, „wir wollen jeder für jeden alles geben. Für unseren Trainerstab und für unser Land.“ Denn der Vierjahresrhythmus und die dank dem hohen Körpereinsatz beim Rugby großen Abnutzungserscheinungen des Körpers lassen nicht viele WM-Turniere als Spieler zu. „Daher muss man das Beste aus seiner Chance machen“, so Murray.

Jonathan Davies (Wales), 2011

Reuters/Marcos Brindicci

Bei der WM 2011 wurde Wales im Viertelfinale zum irischen Stolperstein

Vom möglichen Titel redet im irischen Team aber niemand. Das große Ziel beim Turnier in England ist das Semifinale. Denn obwohl Irland bei bisher allen Weltmeisterschaften dabei war und zur oberen Kategorie im Weltrugby gehört, war das Viertelfinale bisher das höchste der Gefühle. Zweimal war bereits nach der Gruppenphase Endstation. Selbst bei den WM-Turnieren 1991 und 1999, als Irland seine Spiele daheim in Dublin austragen konnte, kam man über die Runde der letzten acht nicht hinaus.

Irlands Fans sind überall

Heuer will man es erstmals zumindest unter die besten vier schaffen. „Irland hat heuer eine richtig gute Chance“, sagte auch der langjährige irische Teamspieler Reggie Corrigan. Die Euphorie bei den Fans ist jedenfalls groß. Dass die WM in England stattfindet, ermöglicht den Iren richtige Heimspiele. Denn allzu weit ist der Weg über die irische See nicht. Und dass die Fans von der grünen Insel, wenn es um ihre Mannschaften geht, reisefreudig sind, weiß man spätestens seit der Fußball-EM 2012.

Wie euphorisch die irischen Fans derzeit sind, konnte man am besten beim Spiel gegen Rumänien im Wembley-Stadion erleben. Schon fünf Stunden vor dem Anpfiff warteten die ersten grün gekleideten Anhänger auf Einlass. Beim Aufwärmen reichte ein kleiner Lauf zur Auflockerung, um die Zuschauer in Ekstase zu versetzen - ganz egal aus welcher Ecke Irlands sie angereist waren. Denn wenn die Männer in Grün dem ovalen Ball nachjagen, hat die Politik zumindest für 80 Minuten Pause.

Karl Huber, ORF.at, aus London

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