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„Eine mitleiderregende Sportmannschaft“

Vor etwas mehr als einem Jahr noch im WM-Halbfinale, steht die niederländische „Elftal“ seit Dienstag an einem Tiefpunkt ihrer Geschichte. Zum ersten Mal seit 32 Jahren wird eine Fußball-EM ohne die Niederlande stattfinden. Zwar hätte am Ende selbst ein Sieg gegen Tschechien nicht gereicht, die 2:3-Heimpleite in Amsterdam war aber bezeichnend für die Leistung des WM-Dritten in der Qualifikation für Frankreich 2016.

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Die Zeitungen gingen mit „Oranje“ hart ins Gericht. „Der niederländische Fußball ist eingestürzt“, meinte „De Telegraaf“. Und „De Vokskrant“ holte zum Rundumschlag aus: „In der Arena vollzog sich die definitive Demaskierung der niederländischen Elf als eine bittere Parodie auf Spitzenfußball, eine mitleiderregende Sportmannschaft, die nichts bei einer Endrunde zu suchen hat.“

„Mit Schamesröte im Gesicht hat die niederländische Elf stilgerecht von einer vollkommen missglückten EM-Qualifikation Abschied genommen“, urteilte die Zeitung „Trouw“. Das „Algemeen Dagblad“ sah in Amsterdam „Verzweiflung, Fehler, Ohnmacht“. „Oranje ist der Witz von Europa“ und „Bei Oranje ist alles kaputt“ lauteten am Mittwoch die Urteile einiger Kommentatoren. „Die Spieler sind mehr mit ihrer Frisur beschäftigt als mit dem Ball“, schrieb ein Fan auf dem Kurzmitteilungsdienst Twitter.

„Ohne Holland fahr’n wir zur EM“

Für Spott und Hohn war vor allem die internationale Presse zuständig. „Totaalvoetbal? Mehr ein Totalausfall“, meinte die britische „Daily Mail“. In Deutschland feierte das Spottlied der WM 2002 in der leicht abgewandelten Version „Ohne Holland fahr’n wir zur EM“ eine Renaissance. Auch über die nun wohl fehlenden Wohnwagenkolonnen im kommenden Sommer wurde gewitzelt.

Bleibt Blind Bondscoach?

In den Niederlanden wurden wenig überraschend personelle Konsequenzen gefordert. Doch Teamchef Danny Blind kündigte an, weitermachen zu wollen. Der 54-Jährige war erst Anfang Juli als Nachfolger des entlassenen Guus Hiddink vom Assistenztrainer zum Bondscoach aufgestiegen. Blind nahm nach dem kontinentalen Debakel den Neustart für die WM 2018 in Russland ins Visier.

Niederländischer Trainer Danny Blind

APA/EPA/Koen Van Weel

Danny Blind war einmal mehr machtlos, will aber Bondscoach bleiben

„Das ist eine Riesenenttäuschung. Das muss man runterschlucken und nach vorne schauen“, forderte der ehemalige Teamverteidiger und gab zu: „Ich habe es nicht geschafft, die Mannschaft zur EM zu bringen. Aber ich werfe mir nichts vor.“

Auch der Direktor des Fußballverbandes (KNVB), Bert van Oostveen, lehnte einen Trainerwechsel sowie seinen eigenen Rücktritt ab. „Wir müssen jetzt nicht weglaufen, sondern wir müssen jetzt neu aufbauen“, betonte Van Oostveen, der bereits Hiddink als Trainer durchgesetzt hatte. Einig waren sich die Kommentatoren dahingehend, dass der Weg beim Neuaufbau ein langer sein werde.

Van-Persie-Eigentor beendet Hoffnungsschimmer

Island und Tschechien waren in Gruppe A bereits vor dem Spiel qualifiziert. Die Tschechen trafen in Amsterdam in den ersten 36 Minuten dennoch zweimal, ehe die Niederländer nach einer Roten Karte für Marek Suchy (43.) wieder Hoffnung schöpften. Der nach dem 0:2 eingewechselte Robin van Persie traf in seinem 101. Länderspiel aber in der 66. Minute per Kopf ins eigene Tor. Treffer von Klaas-Jan Huntelaar (70.) und Van Persie (83.) waren zu wenig. „Wir mussten gewinnen, aber dann darf man nicht solche Fehler machen“, monierte Kapitän Wesley Sneijder nach dem Schlusspfiff.

Robin van Persie (Niederlande) trauert

APA/AFP/Emmanuel Dunand

Robin van Persie sorgte mit dem Eigentor für die endgültige Entscheidung

Isländische Schützenhilfe wäre ausgeblieben

Kein Trost war es auch, dass die Niederländer die Reise nach Frankreich selbst im Fall eines Sieges nicht geschafft hätten. Die Türkei holte durch einen Freistoßtreffer von Selcuk Inan in der 89. Minute zum 1:0 gegen Island als bester Gruppendritter sogar noch das direkte EM-Ticket.

Mit nur 13 Punkten und gleich fünf Niederlagen aus zehn Spielen hätten sich die Niederlande die Qualifikation ohnedies nicht verdient gehabt. Erfolge gab es nur gegen die Nachzügler Kasachstan und Lettland. Gegen Island und Tschechien gingen beide Partien verloren, gegen die Türkei schaute lediglich ein Punkt heraus. Die Farbe Orange wird nun bei der ersten EM mit 24 Teams fehlen: Die Niederlande waren 1988 Europameister und verpassten zuletzt vor 14 Jahren mit der WM-Endrunde 2002 ein großes internationales Turnier. Bei einer EM war man zuletzt 1984 nur Zuschauer.

Schwere WM-Qualifikation wartet

Ob die Probleme bis zur im September 2016 beginnenden Qualifikation für die WM 2018 gelöst sind, ist für viele Experten fraglich. Die Zweifel sind groß, dass die Niederlande in einer Gruppe mit Frankreich und Schweden ein WM-Ticket lösen können. „Bereitet euch darauf vor, dass Oranje erst 2020 wieder bei einem Endturnier dabei sein wird“, warnte das „Algemeen Dagblad“.

Es ist zweifelhaft, ob erfahrene Spieler wie der derzeit angeschlagene Bayern-München-Star Arjen Robben, Sneijder und Van Persie noch lange dabei sein werden. Huntelaar wich der Frage aber aus: „Ach, ich weiß nicht, ob das das Ende einer Generation ist“, sagte der Schalke-Stürmer in Amsterdam. Doch was kommt danach? Die vielen jungen Spieler, die Blind zuletzt aufstellte, waren dem Druck nicht gewachsen. Bereits am 17. November steht der geplagten „Elftal“ der nächste Test bevor: In Hannover geht es gegen den Erzrivalen und Weltmeister Deutschland.

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