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„Wir sind noch meilenweit weg“

Wenn sich am Samstag im Tickenham Stadium von London Neuseeland und Australien den WM-Titel ausspielen, dann wird auch Österreichs Rugby-Gemeinschaft mit großem Interesse zusehen. Und sich vor allem viel abschauen können. Denn im Rugby ist Österreich noch ein Entwicklungsland. Obwohl es nicht wenige Vereine gibt, kämpft der körperbetonte Sport hierzulande vor allem mit einem: großen Vorurteilen.

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Dabei wurde Rugby in Österreich schon gespielt, als noch Kaiser Franz Josef I. im Schloss Schönbrunn wichtige Akten unterzeichnete. Die erste Aufzeichnung eines Spiels datiert vom 14. April 1912. An jenem Tag, als die Titanic in den eisigen Fluten des Nordatlantiks versank, standen sich zwei englische Teams auf der Hohen Warte gegenüber. So wirklich Fuß fassen konnte das Spiel hierzulande aber nicht. Die vor allem im Zweiten Weltkrieg geschürte Abneigung gegen alles Englische verwies Rugby ins Abseits.

Das Interesse wurde erst spät wiedergeweckt. Es dauerte bis 1978, bis mit dem Vienna Celtic Rugby Football Club der erste Verein gegründet wurde. Den Österreichischen Rugby Verband gibt es überhaupt erst seit 1990. Das erste Länderspiel der „Steinböcke“ wurde am 3. Mai 1992 gegen Ungarn absolviert und verloren. Dafür folgte im November des gleichen Jahres in Slowenien auch der erste Sieg. Seit 1992 wird auch eine Meisterschaft ausgetragen. Aktuell kämpfen dabei fünf Teams um den Titel: drei aus Wien, eines aus Innsbruck und ein slowenischer Vertreter aus Ljubljana.

Kampf den Klischees

Dass Rugby Union Donau Wien aktueller Meister ist, wissen aber hierzulande nur wenige. „Der Sport ist leider nicht so bekannt“, spricht Donau-Sportdirektor Stiig Gabriel im Gespräch mit ORF.at das große Dilemma des Spiels an, dessen Weltmeisterschaft mittlerweile nach Olympia und Fußball-WM das drittgrößte Sportereignis der Welt darstellt. „Es ist noch mehr ein Studentenjob und Hobby. Wir arbeiten zwar intensiv an der Entwicklung, aber es ist einfach noch viel Grundlagenarbeit zu leisten“, so Gabriel.

Österreichisches Rugbyteam auf dem Wiener Heldenplatz

GEPA/Christian Ort

Österreichs Team auf PR-Tour beim Tag des Sports auf dem Heldenplatz

Besonders viel Grundlagenarbeit bedarf es bei der Verbesserung des Images. Denn Rugby wird in Österreich noch immer mit Raufen gleichgesetzt. „Was wir in Schulen erleben, wenn wir Rugby vorstellen – und dieses Schicksal teilen wir wohl mit American Football –, ist das Vorurteil, dass es ein Raufsport ist“, so Gabriel, „Sprüchen wie ‚Meine armen Kinder, das will ich nicht‘ kommt man halt nicht aus. Aber man kann es niemanden vorwerfen. Woher sollen es die Leute wissen?“

Rugby fehlt der Showeffekt

Rugby teilt das Schicksal vieler Randsportarten. An Skifahren und Fußball kommt man in der medialen Berichterstattung nur schwer vorbei. „In Österreich kann jeder Ski fahren, weil man es im Fernsehen sieht und weil fast jeder in der Nähe eine Skipiste hat“, erklärt Gabriel, der sich selbst jahrelang für seinen Club und das Nationalteam in die „Schlacht“ warf, „in Österreich ist Handball das Äquivalent, was Rugby am nächsten kommt. Als Alternative für alle, für die Fußball nichts ist und die keine Scheu vor Körperkontakt haben.“

Dabei hat Rugby mehr zu bieten als nur harten Körpereinsatz. „Rugby legt sehr viel Wert auf Disziplin, Respekt und Teamgeist“, so Gabriel, „aber es ist ein Kontaktsport, das kann und will man ja nicht leugnen, und es gibt daher blaue Flecken.“ Aber vor allem lebhafte Schüler könnten dabei aufgestaute Energie sinnvoll loswerden. „Eine Turnlehrerin hat Schüler bewusst zum Rugby geschickt, und die waren dann in der Klasse richtige Lämmchen“, erzählt der Donau-Sportdirektor. Nachsatz: „Nur wie kommuniziert man das, wenn man nicht gehört wird?“

Wie man eine Randsportart populär macht, könnte sich Österreichs Rugby vom verwandten American Football abschauen. Dort pilgerten etwa zum EM-Finale 2014 in Wien fast 30.000 Zuschauer ins Ernst-Happel-Stadion. „Die American-Football-Community hat schon sehr früh sehr gute Arbeit geleistet. Das muss man neidlos zugeben“, so Gabriel. Allerdings hätte es Football auch etwas leichter gehabt: „Amerikanische Sportarten haben ein einfacheres Leben, weil sie mehr auf den Showeffekt aufbauen. Damit ist es leichter, Menschen anzusprechen.“

Keine finanzielle Perspektive

Obwohl das Feedback von Schulen laut Gabriel positiv ist, gelingt es nur schwer, Jugendliche von einer Karriere als Rugby-Spieler zu überzeugen. Denn es gibt keine Perspektive. Während etwa in England oder Frankreich Profis am Werk sind, sind österreichische Spieler reine Amateure. Die Vereine leben von den Mitgliedsbeiträgen und der Bereitschaft der Spieler, ihre Freizeit zu investieren. Will man beim aktuellen Meister in der Kampfmannschaft spielen, stehen dreimal die Woche Training und ein Spiel am Wochenende auf dem Programm. Individuelles Krafttraining kommt noch hinzu.

Spielszene Neuseeland gegen Südafrika bei der Rugby-WM

Reuters/Toby Melville

Auch bei Neuseeland und Südafrika sind ausschließlich Profis am Werk

„Wir haben mit Sebastian Freydell zwar auch einen Profi (Legionär in der vierten englischen Liga, Anm.), aber für Österreicher ist es kein Kriterium, mit Rugby Geld verdienen zu können“, so Gabriel. Daher kann auch die Entwicklung des österreichischen Rugby mit jener in Ländern wie Georgien oder Rumänien, die sich bei der WM mit den Besten messen durften, nicht mithalten. Denn dort stehen Spieler im Kader, die in Frankreich oder England in den Topligen Geld verdienen. „Wir sind noch meilenweit weg“, so Gabriel. Auch Sponsorengelder sind nur schwer aufzutreiben.

Duell mit Neuseeland sinnlos

Daher misst sich Österreichs Nationalteam auch nicht mit WM-Startern (Gabriel: „Das würde keinen Sinn machen, auch gesundheitlich“), sondern mit Ländern gleicher Leistungsstärke. Eine Situation, die vom internationalen Verband auch gefördert wird, um das Niveau und die Popularität weltweit langsam, aber sicher zu heben. „Würde Österreich gegen Neuseeland spielen, steht es nach 60 Minuten 100:0 für Neuseeland, und das interessiert keinen. Aber wenn Österreich gegen Norwegen spielt und es steht nach 80 Minuten 25:25, dann ist das interessant“, so Gabriel.

Weil Rugby ab 2016 in der Siebener-Version (Sevens) wieder olympisch ist, werden in Österreich auch in dieser Hinsicht die Bemühungen verstärkt. Aber nicht mit oberster Priorität, auch weil der ins Leben gerufene europäische Sevens Circuit für die österreichische Liga zu einem ungünstigen Zeitpunkt kommt, weil gleichzeitig mit dem Finale der heimischen Liga im 15er-Rugby stattfindet. „Es ist für uns schon wichtiger, das 15er-Rugby auf eine gute Basis zu stellen und daraus ein Sevens-Team zu bauen“, so Gabriel aus der Sicht des Vereinsvertreters.

WM als Antrieb

Eines ist jedenfalls sicher: Die aktuelle WM gibt auch dem heimischen Rugby wieder Aufschwung. „Wir merken am Feedback und am Interesse, am Training teilzunehmen, dass da sehr viel zurückkommt“, sagt Gabriel. Schon in der Vergangenheit hätten WM-Turniere zur Gründung neuer Vereine geführt. Für den Sportdirektor von Rugby Donau war die aktuelle Weltmeisterschaft die bisher beste Werbung für den Sport: „Die Underdogs haben sich deutlich der Weltspitze angenähert. Es gibt keine dreistelligen Ergebnisse, und damit hat man früher immer rechnen müssen.“

Ob jemals ein rot-weiß-roter „Underdog“ bei einer WM eine ähnliche Überraschung abliefern kann wie Japan mit seinem Sieg über Südafrika, steht in den Sternen. Die österreichische Rugby-Szene wächst jedenfalls. „Wir sind die erste Generation, die aktiv gespielt hat und wo jetzt Kinder nachkommen“, so Gabriel. Dann darf der Begriff Rugby-Familie zu Recht verwendet werden, auch wenn es schon jetzt familiär zugeht. Gabriel: „Weil wir ein Rand- bzw. Exotensport sind, besteht natürlich ein größerer Zusammenhalt, weil man ja zusammenhelfen muss, um überhaupt zu bestehen.“

Karl Huber, ORF.at

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