„Es kann alles passieren“
Beim Wort „Bogen“ schießen einem zuerst die - vor allem dank Hollywood eingepflanzten - Namen Robin Hood oder Legolas („Herr der Ringe“) in den Kopf. Bogenschießen ist aber vor allem olympischer Spitzensport. Mit Laurence Baldauff poliert heuer eine Schützin die Abordnung des Österreichischen Olympischen Comites (ÖOC) in Rio de Janeiro auf. Dort zählt die 41-Jährige zu den Außenseitern, aber: „Es kann alles passieren.“
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Obwohl ohne Pfeil und Bogen die Menschheitsgeschichte wohl ein klein wenig anders ausgesehen hätte, hatte der Bogensport bei Olympia kein leichtes Leben. Nach den Spielen in Antwerpen 1920 war Olympia 52 Jahre lang pfeilfreie Zone. Erst seit München 1972 gehört Bogenschießen wieder zum Programm von Sommerspielen. Österreicher waren nicht oft vertreten. Eine Frau überhaupt erst einmal: 1984 in Los Angeles belegte Ursula Valenta den 32. Platz.
Überraschende Qualifikation
Umso überraschender war die Nachricht von Anfang 2015, dass mit Baldauff eine österreichische Schützin das Ticket für Olympia 2016 gelöst hatte. Bei der WM in Kopenhagen landete die gebürtige Luxemburgerin mit ihrem Recurve-Bogen auf Rang 17 und holte damit einen Quotenplatz, nach zwei Siegen beim folgenden Qualifikationsturnier saß Baldauff endgültig im Flugzeug nach Rio de Janeiro. „Ich habe schon darauf hingearbeitet“, so Baldauff im Gespräch mit ORF.at, „2014 sind wir in einer nicht olympischen Disziplin mit dem Damen-Team Weltmeister geworden. Da habe ich mir gedacht, ich könnte es schaffen.“
ORF.at/Thomas Hangweyrer
Laurence Baldauff erfüllte sich in Kopenhagen ihren großen Traum
Die Qualifikation kam aber auch für die 41-Jährige selbst unerwartet - zumindest zum damaligen Zeitpunkt. „Eine Woche vor der WM ist es auf einmal gar nicht mehr gegangen. Daher habe ich mir nicht zu viel erwartet, aber immer daran geglaubt“, so Baldauff. „Es war davor sehr heiß, und ich war mir nicht sicher, ob nicht die Hitze dem Material zu schaffen macht. In Kopenhagen war es dann kalt und eklig, und da habe ich gedacht, das ist das Beste, was mir passieren kann, und so war es auch.“
Zwei entscheidende Zufälle
Dass die gebürtige Luxemburgerin überhaupt eine exzellente Bogenschützin wurde und noch dazu für Österreich an den Start geht, ist zwei Zufällen zu verdanken. Erst mit 16 Jahren hatte Baldauff ihren ersten Bogen in der Hand. „Ich war in einem Sportcamp reiten und war einmal zu langsam. Ich bin einfach nicht in die Reitstiefel reingekommen. Also musste mich eine der Aufsichtspersonen zum Stall fahren“, erinnert sich Baldauff. „Wir sind aber zuerst bei den Bogenschützen stehen geblieben. Dort konnte ich es mal probieren, und es hat mir gleich sehr gut gefallen.“
Was Baldauff am Bogenschießen fasziniert? „Es gibt viele verschiedene Aspekte, die sich auch dauernd ändern können. Es spielt sich sehr viel im Kopf ab, man muss mental stark sein. Dann benötigt man gute Technik und muss körperlich auch gut drauf sein. Auch das Material muss perfekt eingestellt sein. Man kann dauernd an sich arbeiten“, so die Olympiastarterin, „wenn man einen Aspekt vernachlässigt, dann kippt ein anderer auch.“
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Um den innersten Kreis punktgenau zu treffen, muss viel zusammenpassen
Der Liebe zum olympischen Recurve-Bogen - benannt nach den gebogenen Enden - folgte später die Liebe zu einem Wiener. Baldauff zog nach Wien um und schoss sich mit ihren Leistungen bei Turnieren in den Fokus des heimischen Bogenschießverbandes (ÖBSV). Mittlerweile darf Baldauff alleine schon wegen der erfolgreichen Olympiaqualifikation als Aushängeschild bezeichnet werden. Seit März 2016 hat Baldauff auch den österreichischen Reisepass in der Tasche.
„Nicht wie Halma-Spielen“
Nach der Qualifikation ordnete Baldauff mit Hilfe ihrer Familie („Sie hat mich sehr unterstützt“) und des Rio-Projekts des ÖBSV unter Trainer Samo Medved ihr Leben der Vorbereitung auf die Spiele im August unter. Fünfmal die Woche steht sie entweder in der Wiener Freudenau oder bei ihrem Verein BSV Stötterau auf dem Trainingsplatz und schießt dort 300 bis 400 Pfeile pro Tag in ihr 70 Meter entferntes Ziel. Pausen sind besonders wichtig, um psychisch frisch zu bleiben. Baldauff: „Es spielen sich sicher 70 oder 80 Prozent im Kopf ab.“
Einen Bogenschützen zu belächeln könnte zum falschen Zeitpunkt nicht nur gefährlich für die Gesundheit sein, sondern ist auch fehl am Platz. Für jeden, der sie als Sportlerin nicht ernst nimmt, hat Baldauff nur eine Antwort: „Komm mal probieren! Die meisten merken dann sehr schnell, dass Bogenschießen nicht Halma-Spielen ist. Man muss schon kräftig sein, und die Technik ist auch sehr wichtig.“ Im Winter stand daher dreimal die Woche Krafttraining auf dem Programm. Wer einmal versucht hat, einen Bogen zu spannen, weiß, warum.
Hightech-Gerät mit stolzem Preis
Auch der Recurve-Bogen hat mit den Modellen der Hollywood-Filme nichts gemein. Rund 3.500 Euro muss man für einen aus mehreren Teilen bestehenden Hightech-Bogen hinlegen. Karbon und Aluminium sind die bevorzugten, weil leichten, Materialien. Um bei Olympia das optimale Material zu haben, verfügt Baldauff gleich über zwei Arbeitsgeräte. Die Hightech-Pfeile, die von jedem Athleten auf die eigene Armspannweite hin „geschnitzt“ sprich abgesägt werden, sind auch nichts für die schmale Brieftasche. 50 Euro kostet ein Stück.
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Baldauffs Recurve- (l.) und der nicht olympische Compound-Bogen
Daher kann Baldauff über Vergleiche mit Robin Hood oder dem treffsicheren Elfen Legolas nur schmunzeln: „Es ist lustig, wenn Leute glauben, dass so etwas möglich ist.“ Nur eines gehört nicht ins Reich der Legende: Wie Robin Hood einen Pfeil in den anderen zu schießen, das kommt durchaus vor. Baldauff selbst ist es schon mehrfach passiert. In einem Bewerb ist das aber kein Drama. Beide Pfeile haben in der Endabrechnung den gleichen Wert.
Gedanklich schon in Rio
Eine gewisse Nervosität verhehlt sie nicht. Bei den Spielen unter dem Zuckerhut wird im berühmten Sambodromo, wo zur Karnevalszeit der Samba dominiert, um Gold, Silber und Bronze geschossen. „Im Training stelle ich mir oft die Tribünen voller Leute vor“, so Baldauff, die beim Testevent im vergangenen Herbst die Stimmung erstmals genießen durfte.
Ihr Ziel für Olympia steckt sich die aktuelle Nummer 105 der Weltrangliste realistisch: „Ich bin bei der Weltmeisterschaft 17. geworden und möchte versuchen, diese Platzierung zu verbessern. Aber es wird sehr, sehr schwer werden. Bei Olympia sind die Allerbesten am Start.“ Die Allerbesten kommen im Bogensport aus Südkorea. „Es ist dort so wie bei uns Skifahren“, so Österreichs Schützin, „es wird auch in der Schule unterrichtet. Sie sind auch extrem diszipliniert.“
Aber auch den Südkoreanern geht nicht immer alles auf. „Beim Bogenschießen ist es selten, dass ein Schütze immer ganz vorne ist. Es hängt sehr viel von der Tagesverfassung ab“, erklärt Baldauff. Daher darf sie zumindest von einem filmreifen Happy End im Schatten des Zuckerhutes träumen. „Fünfter wär schon super, eine Medaille natürlich genial“, so Baldauff mit einem breiten Grinsen. Es kann schließlich alles passieren. Auch dass eine in Luxemburg geborene Österreicherin zur Herrin der Ringe wird.
Karl Huber, ORF.at
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