Dem Angriff fehlt Strahlkraft
Im Gegensatz zu früheren Turnieren wird Italien vor der Fußball-EM 2016 in Frankreich nicht zum Favoritenkreis gezählt. Vor allem im Angriff geht der „Squadra Azzurra“ jegliche Strahlkraft ab. Noch dazu hat Trainer Antonio Conte ein Ablaufdatum - schmeißt er doch ab Anfang August bei Chelsea den Laden. Abschreiben sollte man die traditionell auf Defensive bedachten Italiener dennoch nicht.
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Die Qualifikation überstand Italien als Sieger der Gruppe H vor Kroatien, Norwegen, Bulgarien, Aserbaidschan und Malta ohne Niederlage. Herausragende Leistungen lieferte die Mannschaft in den zehn Spielen aber nicht ab, 16 Tore reichten zu sieben Siegen und drei Unentschieden. Die Freundschaftsspiele der Italiener zeigen den Qualitätsunterschied zu den Topteams fallweise schonungslos auf. Zuletzt überfuhr Weltmeister Deutschland die Conte-Auswahl in München mit 4:1 und löschte damit alle vorschnellen Träume vom großen Coup in Frankreich aus.
Steckbrief Italien
- Teamchef: Antonio Conte (seit 2014)
- Bekannteste Spieler: Gianluigi Buffon, Giorgio Chiellini, Leonardo Bonucci (alle Juventus Turin), Lorenzo Insigne (SSC Napoli), Thiago Motta (Paris St. Germain)
- FIFA-Weltrangliste: 12.
- EM-Teilnahmen: 9
- WM-Teilnahmen: 18
- Größte Erfolge: Weltmeister 1934, 1938, 1982 und 2006, Europameister 1968, WM-Zweiter 1970 und 1994, EM-Zweiter 2000 und 2012
Schleichender Verfall der Serie A
Das Grundübel des italienischen Fußballs, mit dem sich auch Conte herumschlagen muss, ist der seit Jahren schleichende Verfall der heimischen Liga. Die durch Wettskandale und Fangewalt ramponierte Serie A übt weder auf Zuschauer noch auf internationale Stars den Reiz früherer Tage aus. Die Besten spielen heute in England, Spanien und Deutschland. Dass sich heuer erstmals seit 15 Jahren kein italienischer Verein für ein Europacup-Viertelfinale qualifizieren konnte, spricht Bände.
Allerdings führt dieser Status quo nicht zu mehr Chancen für italienische Talente. Auch wenn die absoluten Großkaliber um den Stiefel einen weiten Bogen machen, setzen die meisten Clubs nach wie vor auf Legionäre - und holen vor allem Offensivkräfte. Mit Lorenzo Insigne (Napoli) und Eder (Inter Milan) findet man die besten Italiener in der Serie-A-Torschützenliste erst auf den hinteren Rängen.
Alternativen im Blickfeld von Conte sind Stephan El Shaarawy (AC Milan), Ciro Immobile (Torino) und Simone Zaza (Juventus Turin). Exzentriker Mario Balotteli (AC Milan) steht hingegen im Abseits und ist in Frankreich nicht dabei. Balotellis Vereinskollege Riccardo Montolivo wurde nach einer Wadenverletzung nicht mehr rechtzeitig fit und muss zu Hause bleiben.
Legionär Pelle größter Hoffnungsträger
Der Trainer behilft sich aber auch mit Akteuren, die das Land des vierfachen Weltmeisters bereits verlassen haben. Der größte Hoffnungsträger ist aktuell 1,94-Meter-Mann Graziano Pelle von Southampton, Stefano Okaka (Anderlecht) wurde von Teamchef Conte hingegen nicht berücksichtigt. Sebastian Giovinco (Toronto FC) wurde in der Vorsaison zum besten Spieler der nordamerikanischen MLS gekürt. Die liegt laut Conte aber weit unter dem europäischen Standard, weshalb auch der MLS-Legionär nicht bei der EM ist.

APA/AFP/Alberto Pizzoli
Legionär Pelle könnte bei der EM seinen Bekanntheitsgrad steigern
Dieser Standpunkt führte auch dazu, dass Andrea Pirlo die EM verpasst. Der Mittelfeld-Magier, der im Mai seinen 37. Geburtstag feierte, wird seine Karriere bei New York City FC gemächlich ausklingen lassen. „Es hat keine Enttäuschung gegeben“, sagte Pirlo zur Nichtnominierung. Ebenfalls nicht in Frankreich mit dabei ist Claudio Marchisio (Juventus Turin) aufgrund eines Kreuzbandrisses, Roma-Raubein Daniele de Rossi könnte dadurch noch ins Aufgebot rutschen. Pirlos Nachfolger Marco Verratti (Paris Saint-Germain) hat sich eben erst von einer Leistenverletzung erholt und ist ebenfalls nicht im Aufgebot.
Defensive als große Stärke
Die große Stärke der Italiener ist wie so oft ihre Defensive, die quasi kollektiv von Serienmeister Juventus Turin übernommen wird. Torhüter-Fossil Gianluigi Buffon zählt auch mit 38 noch zu den besten seines Fachs, vor dem Kapitän rühren Giorgio Chiellini, Leonardo Bonucci und Andrea Barzagli Beton an. Vom Fitnesslevel dieses Quartetts mit dem stolzen Durchschnittsalter von 33 Jahren wird in Frankreich viel abhängen, wo die „Azzurri“ mit Gruppe E - Gegner Belgien, Schweden und Irland - eine der schwersten der Gruppenphase erwischt haben.
„Wir haben vielleicht nicht Messi oder Cristiano Ronaldo in unserem Team, aber wir haben gute Spieler. Und wir bringen außerdem einen starken Teamgeist auf den Platz“, weiß Mittelfeldspieler Emanuele Giaccherini, dass Italien bei der Euro nur überraschen kann. Allerdings hatten auch nur wenige den WM-Titel 2006 und vor vier Jahren den Einzug ins EM-Finale vorhergesagt.
EM-Kader Italien
Tor: Gianluigi Buffon (Juventus Turin), Federico Marchetti (Lazio Rom), Salvatore Sirigu (Paris Saint-Germain/FRA)
Abwehr: Andrea Barzagli (Juventus Turin), Leonardo Bonucci (Juventus Turin), Giorgio Chiellini (Juventus Turin), Angelo Ogbonna (West Ham United/ENG), Matteo Darmian (Manchester United/ENG), Mattia De Sciglio (AC Milan)
Mittelfeld: Daniele De Rossi (AS Roma), Alessandro Florenzi (AS Roma), Emanuele Giaccherini (Bologna), Thiago Motta (Paris Saint-Germain/FRA), Marco Parolo (Lazio Rom), Stefano Sturaro (Juventus Turin), Antonio Candreva (Lazio Rom), Federico Bernardeschi (AC Fiorentina), Stephan El Shaarawy (AS Roma)
Angriff: Eder (Inter Mailand), Ciro Immobile (Torino), Lorenzo Insigne (SSC Napoli), Graziano Pelle (Southampton/ENG), Simone Zaza (Juventus Turin)
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