„Besser kann man es nicht schreiben“
Eine der wohl größten Überraschungen der österreichischen Tennisgeschichte ist am Mittwoch Jürgen Melzer gelungen. Der nach einer Langzeitverletzung auf ATP-Rang 421 zurückgefallene Niederösterreicher bezwang beim Generali Open in Kitzbühel im Achtelfinale Topstar Dominic Thiem völlig unerwartet nach 77 Minuten mit 6:3 7:5. Nun kommt es am Donnerstag (zweites Match nach 14.00 Uhr, live in ORF Sport +) zum Brüderduell mit Gerald.
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5.800 Fans im erstmals seit vielen Jahren ausverkauften Stadion auf dem Center Court kamen aus dem Staunen nicht heraus. Nicht Thiem, der in Österreich in den vergangenen Monaten einen Tennishype ausgelöst hatte und dessentwegen ein Großteil der Fans gekommen war, sondern der 35-jährige Altstar Melzer zwang der Nummer neun der Welt sein Spiel auf.

GEPA/Andreas Pranter
Die neue Nummer eins von Österreich muss der alten neidlos gratulieren
Nach einem Break zum 5:3 holte Melzer den ersten Satz nach 33 Minuten, doch an die Sensation glaubte zu dem Zeitpunkt noch immer niemand. Thiem hatte zuvor im dritten Game drei Breakbälle gegen Melzer ausgelassen, er sollte dem 35-Jährigen auch im Rest des Spiels keinen Aufschlag abnehmen. Im Gegenteil: Mit Break zum 6:5 holte sich Melzer die Chance, auszuservieren - und tat es.
Harakiri-Return-Taktik und Lockerheit
„Ich glaube, mit einer perfekten Taktik und dem einen oder anderen Quäntchen Glück natürlich auch. Das gehört immer dazu, wenn man einen Top-Ten-Spieler schlagen will“, analysierte Melzer, dem nach zehn Monaten Pause, mit wenig Matchpraxis und als krasser Außenseiter der ganz große Coup gelungen war. „Viel hat nicht für mich gesprochen. Aber der Druck, den er hat, der hat schon für mich gesprochen. Ich glaube, dass ich es vom ersten bis zum letzten Ball einfach durchgezogen habe und mir viele Dinge aufgegangen sind.“
Melzer spielte mit einer aggressiven Return-Taktik („war ein bisschen Harakiri“) und einer Lockerheit, von der Thiem an diesem Tag weit entfernt war. Er habe versucht, die Punkte kurz zu halten, so Melzer. „Ich brauche mit ihm von hinten nicht Rallye spielen, da bin ich Zweiter, das weiß ich.“ Und so gelang Melzer eine Umkehr der Ereignisse: 2013 war er dem 17-jährigen Thiem in Kitzbühel mit 5:7 3:6 unterlegen gewesen - nach 76 Minuten, diesmal drehte Melzer den Spieß um.
Melzer freute sich über die tolle Stimmung im Stadion: „Unglaublich, aber ich weiß, dass die Leute nicht wegen mir da waren. Es wäre auch voll gewesen, wenn er gegen Taro (Daniel, sein Erstrundengegner, Anm.) gespielt hätte.“ Aus Sicht des Unterlegenen hörte sich das so an: „Hochachtung vor dem Jürgen, der hat eine super Leistung gebracht. Er war einfach stark, ich habe viel zu viele Fehler gemacht“, sagte Thiem noch im ORF-Interview, später sprach er auch von körperlicher Schwäche.
Thiem auch körperlich angeschlagen
„Ich habe mich körperlich nicht so wohlgefühlt, das gehört jetzt noch einmal abgeklärt in Wien, bevor ich nach Toronto fliege.“ Das solle aber auf keinen Fall Melzers Leistung schmälern, dieser habe verdient gewonnen. Erst nach über einer Stunde und einem langen Gespräch mit Coach Günter Bresnik erschien Thiem zur Pressekonferenz. „Sicher bin ich enttäuscht, aber das Turnier hat morgen Melzer/Melzer, plus ein Österreicher ist im Halbfinale. Für das Turnier ist es das geringste Problem“, glaubt Thiem, den es wurmte, dass das Stadion erstmals seit vielen Jahren ausverkauft war und er „sehr weit weg von meiner Bestform“ war.
Die hohe Erwartungshaltung habe keine Rolle gespielt, versicherte der siebenfache Turniersieger aus Lichtenwörth. Und um die große Gams zu holen habe er noch Zeit. „Ich bin 22 und habe hoffentlich noch, elf, zwölf Chancen auf die Gams - ich werde sie mir hoffentlich irgendwann holen.“ Sein Coach Bresnik sah die Entwicklung seit der Stirn- und Nebenhöheneiterung seines Schützlings ein bisschen so kommen.
Von Normalform noch weit entfernt
„Es ist zehn Tage her, dass Dominic erstmals wieder gespielt hat. Er hat in den zehn Tagen seit vergangenem Sonntag nicht einmal im Training gesagt, dass er sich körperlich wohlfühlt. Jürgen hat gut gespielt, aber Dominic ist für mich von seiner Normalform meilenweit entfernt, das war im Training schon so“, stellte Bresnik fest. Thiem spielt am Donnerstag noch Doppel mit Dennis Novak und will sich vor der Überseeserie in Wien noch durchchecken lassen. Eine Absage des Trips zum Masters-1000-Turnier nach Toronto steht laut Bresnik aber nicht zur Diskussion.
Für Jürgen Melzer geht es am Donnerstag in eine emotionales Brüderduell mit Gerald. „Ich habe dem Kleinen seinen ersten Schläger geschenkt, habe versucht, alles Wissen, was ich habe, ihm weiterzugeben. Ich freue mich für ihn, wenn er gewinnt, und wäre glücklich, wenn ich ins Semifinale komme.“ Papa Rudolf Melzer strahlte: Zerrissen werde er nicht sein. Im Gegenteil: „Mir geht es gut. Man kann bei jedem Ball klatschen. Wir können nur gewinnen.“
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