Seit 1. Jänner 2012 werden in der österreichischen Bundeshymne auch die großen Töchter gewürdigt. Vielleicht nicht die größte, aber die wohl stärkste Tochter des Landes heißt Sarah Fischer. Die 16-jährige Niederösterreicherin ist Gewichtheberin und allen Vorurteilen zum Trotz auf dem Weg zur Weltspitze. Anfang April schrieb Fischer bereits ein Kapitel rot-weiß-roter Sportgeschichte.
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Am 10. April katapultierte Fischer in der Klasse über 75 Kilogramm bei der U17-WM in der thailändischen Hauptstadt Bangkok 99 Kilo in die Höhe und krönte sich damit zur Weltmeisterin im Reißen. Eine WM-Goldene im Gewichtheben hatte es in der Geschichte des heimischen Sports noch nie gegeben. Weil im Stoßen und im Zweikampf nur die Russin Daria Riasanowa besser war, fuhr die aus Rohrendorf bei Krems stammende Niederösterreicherin zusätzlich mit zwei weiteren Silbermedaillen heim. Ende September hat Fischer in Pristina bei der U17-EM die Chance zur Revanche.
Erste Anfänge mit sieben
Der Coup in Bangkok war der vorläufige Höhepunkt einer Karriere, die schon im zarten Kindesalter begann. Denn den Fischers liegt Gewichtheben nicht nur im Blut, es ist fest in der DNA der Familie verankert. Opa Fischer ist Obmann des örtlichen Stemmervereins, Vater Ewald selbst mehrmaliger Staatsmeister und auch Sarahs Bruder David gehört zur heimischen Gewichtheberelite. „Ich war praktisch seit meiner Geburt bei jedem Wettkampf dabei. Ich bin damit aufgewachsen“, so Sarah Fischer im Gespräch mit ORF.at.
Weil es ihr bei den Jugend-Wettkämpfen des um zwei Jahre älteren Bruders auf Dauer fad geworden war, begann auch Sarah im Alter von sieben Jahren mit dem Stemmen. „Ich bin sonst zwei Stunden dort gesessen und habe nichts gemacht. Das war auch irgendwie fad“, so Fischer, die Gewichtheben zu Beginn neben Handball betrieb. Unter der Leitung ihres Vaters und des bulgarischen Trainers Boshidar Boschilow, den Fischer senior eigentlich für seinen Sohn engagiert hatte, schlug sich das in die Wiege gelegte Talent schnell in beachtlichen Leistungen nieder.
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Seit früher Kindheit ist das Trainingszentrum in der Sporthalle Krems Sarah Fischers zweites Wohnzimmer
Kritiker sind verstummt
Im Alter von zwölf Jahren absolvierte Fischer 2013 ihre erste U15-EM und belegte dabei gleich den vierten Platz. Mit 70 kg im Reißen, 82 kg im Stoßen und einer Zweikampfleistung von 152 kg brachte Fischer zwar die gleiche Leistung wie die Zweit- und Drittplatzierte, war jedoch im Vergleich um lächerliche fünf Gramm schwerer als ihre Konkurrentinnen. „Das war echt bitter, und ich habe mir gedacht, das darf mir nie wieder passieren“, erinnert sich die Schülerin. Im gleichen Jahr wurde Fischer auch offiziell zur stärksten Frau Österreichs gekürt.
Mit den wachsenden Erfolgen wurden auch die Kritiker immer leiser. Denn anfangs wurde Fischer, wie nicht anders zu erwarten, von Außenstehenden belächelt. Mädchen und Gewichtheben, das passte und passt in den Augen vieler nicht zusammen. „Ich finde es komisch. Es hat früher ja auch immer geheißen, Mädchen dürfen nicht Fußball spielen", sagt Fischer und kann über die Vorurteile nur den Kopf schütteln. Auch im Sportleistungszentrum St. Pölten, wo die 16-Jährige die Handelsschule absolviert, regierte man anfangs skeptisch auf die starke Rohrendorferin. „Es waren schon viele geschockt: Eine Gewichtheberin, wie geht denn das?“
Täglich dreimal zwei Stunden Training
Mittlerweile ist die Gewichtheberin aber eines der Aushängeschilder der Schule. Und die 16-Jährige setzt auch alles daran, dass sie für die vielen freien Tage, die sich zur Vorbereitung auf ihre Wettkämpfe nehmen kann, auch etwas zurückgibt. Das große Ziel heißt Olympia 2020 in Tokio. Dafür schwitzt Fischer in der Trainingshalle in Krems dreimal am Tag für je zwei Stunden – und das fünf Tage die Woche. „Aufwärmen, Reißen, Stoßen, Kniebeugen und Zug“, so das für Außenstehende eintönige Prozedere.
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Im Training wird in jeder Einheit mit Reißen und Stoßen praktisch eine Wettkampfsituation simuliert
Motivationsprobleme sind bei so einem Trainingsumfang, der sich aktuell in der Vorbereitung auf die U17-EM im September in Kosovo über gesamt 134 Tage zieht, ganz normal: „Es kann sein, dass es zwei Wochen lang super läuft, und dann fällt man aber in ein Loch, aus dem man nicht herauskommt. Es passiert schon ab und zu, dass du dich fragst: Muss das wirklich sein? Aber dann denkst du dir: Beim nächsten Wettkampf lachen dich alle aus, wenn du es nicht schaffst. Im Kopf spielt sich mehr ab als in den Muskeln.“
Weggehen geht nicht ab
Denn die Aussicht, es allen zu zeigen, ist es, die Fischer in ihrem Tun antreibt. „Es sind die Rekorde, dass du versuchst immer stärker zu werden“, beschreibt Fischer die Faszination Gewichtheben, „das Ziel, vielleicht irgendwann eine olympische Medaille zu erreichen, genügt als Motivation.“ Daher widersteht die 16-Jährige auch manchen Versuchungen des Teenagerlebens mit Bravour. „Es ist nicht schwer, darauf zu verzichten. Ich habe viele internationale Bekannte, und natürlich feiert man nach erfolgreichen Wettkämpfen. Aber ich mag es generell nicht, wenn Betrunkene in meiner Nähe sind, ich kann damit nicht umgehen. Daher geht es mir nicht ab.“
Lieber konzentriert sich Fischer auf ihren Sport und darauf, vor allem in der Teildisziplin Stoßen besser zu werden. Denn das liegt der 16-Jährigen noch nicht so wie das Reißen. Anders als ihr Bruder schaut sich Österreichs stärkste Frau aber wenig bei der Konkurrenz ab. Vorbilder hat sie neben ihrem Vater aber doch. „Ich habe zwei: Tatjana Kaschirina aus Russland und Swetlana Podobedowa, die von Russland nach Kasachstan gewechselt ist.“ Erstere ist Weltrekordlerin in Fischers Klasse, Zweitgenannte zweifache Weltmeisterin in der Klasse bis 75 kg.
Dopingkontrollen in den Morgenstunden
Doch gerade Kaschirina hatte in ihrer Jugend mit jenem Problem zu kämpfen, dass Gewichtheben immer wieder in die Schlagzeilen bringt: Doping. Besonders in den Ländern des ehemaligen Ostblocks tappen immer wieder Athleten in die Falle. Dass es gerade in Ländern wie Russland oder Kasachstan unter dem Schutzmantel mächtiger Politiker kaum Konsequenzen für die Sünder gibt, stört auch Fischer. „Es ist natürlich frustrierend, wenn du weißt, du stehst 13-mal die Woche da und schwitzt fast Blut. Dann fährst du zu einem Wettkampf und bist 27.“
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Dass in manchen Ländern des ehemaligen Ostblocks noch immer ungeniert gedopt wird, stimmt Fischer nachdenklich
Dabei sind die Kontrollen schärfer, als in anderen Sportarten – auch im Nachwuchsbereich. „Es wird international in allen Ländern, in denen es Fälle gegeben hat, schärfer kontrolliert“, so Fischer, „ich bin heuer bisher zwölfmal kontrolliert worden“, so die Niederösterreicherin. Darunter war auch ein Besuch der Kontrolleure am Sonntag um 6:30 Uhr in der Früh, wo zur Blut- und Urinprobe gebeten wurde.
Die unangekündigten Besuche stören Österreichs stärkste Frau allerdings nicht. Mehr schon, wenn alte Dopingproben zehn Jahre später geöffnet werden. „Es war natürlich den anderen gegenüber unfair, aber zu dem Zeitpunkt war der Test negativ. Warum muss man sich das jetzt noch einmal anschauen? Jemandem, der 2008 eine Medaille gewonnen hat, weil er bei der Dopingprobe negativ war, sie jetzt wegzunehmen, weil es bessere Testmethoden gibt, finde ich unfair.“
Familie als wichtiger Faktor
Für Fischer ist sowieso die Familie das wichtigste „Doping“ auf dem Weg zum Erfolg. „Ohne die Unterstützung meiner Familie wäre ich wohl maximal in Österreich gut. Seit wir internationale Erfolge haben, steht auch der Verband hinter uns. Davor waren wir irgendwas, da hat sich keiner um uns umgeschaut“, so Fischer.
Um sich ihren Traum von der Olympiamedaille zu erfüllen, wartet jedoch noch viel hartes Training auf die 16-Jährige. Bei den Spielen 2016 holte sich die Chinesin Meng Suping mit einer Zweikampfleistung von 307 kg Gold. Für Bronze benötigte die Amerikanerin Sarah Robles 286 kg – und schaffte damit um 68 Kilo mehr als Fischer in Bangkok.