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„Ein Mindestmaß an Weiterentwicklung“

Drei Wochen „Europhorie“ - am Ende mit rot-weiß-roter Enttäuschung und dem spanischen Triumph: Am Donnerstag, dem 7. Juni, jährt sich zum zehnten Mal der Tag der Eröffnung der EM 2008, die Österreich gemeinsam mit der Schweiz veranstaltete. 1,2 Millionen Zuschauer sahen die damals noch 31 Spiele (16 Teilnehmer) in acht Stadien - vier in Österreich. Was dem Land, den Menschen, dem österreichischen Fußball von der Heim-EM blieb, ist überschaubar. Der Blick zurück ist eher sentimental.

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Wenn man mit der Wiener U-Bahn-Linie 2 in Richtung Aspern fährt und beim Ernst-Happel-Stadion aussteigt, hat man die wesentliche infrastrukturelle Errungenschaft der Heim-Euro 2008 für die Bundeshauptstadt bereits abgehakt. Dort, wo vor zehn Jahren das österreichische Team seine Gruppenspiele gegen Kroatien (0:1), Polen (1:1) und Deutschland (0:1) bestritt und damit nach der Vorrunde ausschied, hat der Österreichische Fußballbund (ÖFB) nach wie vor seine Büroräume. Wo am 29. Juni 2008 Zehntausende spanische Fans den ersten Titel der Spanier seit der EM 1964 bejubelt hatten, traf sich ORF.at mit ÖFB-Funktionär Bernhard Neuhold.

Spanische Fans beim WM-Finale 2008 im Wiener Ernst-Happel-Stadion

APA/AFP/Joe Klamar

Jubelnde spanische Fans am 29. Juni 2008 im EM-adaptierten Ernst-Happel-Stadion nach dem Finalsieg über Deutschland

„Es waren historische Momente, dass so ein Turnier und das Finale in Österreich stattgefunden haben“, sagte der Geschäftsführer der ÖFB Wirtschaftsbetriebe GmbH, der 2016 nach der EM in Frankreich gemeinsam mit Jurist Thomas Hollerer das Erbe des langjährigen Generalsekretärs Alfred „Gigi“ Ludwig angetreten hat. „Es war beeindruckend, wie die UEFA das Turnier abgewickelt hat, wie sie das Happel-Stadion optisch umgewandelt hat. Gleichzeitig schwingt auch Wehmut mit bei den Erinnerungen, weil es damals gelungen ist, eine EM nach Österreich zu holen. Und weil das aller Voraussicht nach nie wieder möglich sein wird“, ergänzte Neuhold nachdenklich.

Große Chance verpasst

„Die Dimension dieser Veranstaltung war natürlich positiv für den Fußball in Österreich“, sagte der 42-Jährige, der im ÖFB den mit 1. Jänner 2017 ausgegliederten „gemeinnützigkeitsschädlichen“ Bereichen vorsteht: Dazu gehören vor allem A-Nationalmannschaft, U21-Team und der komplette Bereich der Vermarktung. „Wenn man den Standort Wien betrachtet, dann ist der Ausbau der U-Bahn geblieben, was für die Abwicklung der Länderspiele wichtig ist. Es ist im Vorfeld der EM aber leider nicht gelungen, ein neues Stadion zu bauen. Hier wäre die Euro 2008 eine Chance gewesen, Maßgebliches voranzutreiben“, so Neuhold.

ÖFB-Funktionär Bernhard Neuhold

GEPA/Christian Ort

Bernhard Neuhold hat von Alfred Ludwig die wirtschaftlichen Belange im ÖFB übernommen

Der Mistelbacher (Weinviertel/NÖ) selbst war damals im ÖFB noch in der Direktion Sport als Koordinator der Nachwuchs-Nationalmannschaften und Teammanager der U21 angesiedelt - während der Euro aber als Zuständiger für die „ÖFB-Botschaft“ am EM-Standort Innsbruck für die Servicierung von Sponsoren und Partnern verantwortlich. Zu den Österreich-Spielen fuhr Neuhold nach Wien. „Wir hatten als Underdog unsere Chancen gegen Kroatien und Polen. Das ‚Finale‘ gegen Deutschland war dann leider nicht erfolgreich“, sagte der Magister der Betriebswirtschaft. „Und es ist immer sehr schade, wenn ein Gastgeber einer Endrunde schon nach der Gruppenphase rausfliegt.“

Bleibendes in Salzburg, Klagenfurt und Innsbruck

Viel schwerer wiegt für Neuhold und den ÖFB im Nachhinein allerdings die verpasste Chance, im Zuge der Heim-Euro ein neues Nationalstadion zu bekommen. „Wenn man rund um Österreich schaut und die letzten zehn Jahre reflektiert, ist im Bereich der Infrastruktur in Europa flächendeckend wahnsinnig viel entstanden. Und da ist das Ernst-Happel-Stadion bei allem historischen Respekt definitiv kein modernes, zeitgemäßes Fußballstadion mehr. Das muss man nüchtern konstatieren“, lautet die Analyse des Ist-Zustandes zehn Jahre danach. Was die anderen drei EM-Standorte angeht, fällt diese positiver aus, weil Neues entstanden ist.

Österreichische Fans in der Fanzone Klagenfurt bei der Euro 2008

GEPA/Wolfgang Jannach

Im ganzen Land gab es unzählige Public-Viewing-Events zu den Österreich-Partien und allen anderen EM-Spielen

„In Klagenfurt ist mit dem Wörthersee-Stadion Infrastruktur dazugekommen, die nur leider nicht regelmäßig von einem Verein auf höchstem Level bespielt wird“, so Neuhold. „Es ist in Salzburg mit der Red Bull Arena Infrastruktur entstanden - auch in Innsbruck mit dem Tivoli Stadion, das dann wieder auf 15.000 Plätze reduziert wurde.“ Für Neuhold ist im Rückblick klar: „Es wäre mit Sicherheit mehr möglich gewesen, aber es hat ein Mindestmaß an Weiterentwicklung gegeben.“ Die Gründe dafür, dass maßgebliche Weiterentwicklung in Wien versäumt wurde, sieht der Absolvent der Bundesliga-Sportmanagementakademie sehr pragmatisch.

Finalzuschlag führte zu Kompromisslösung

„Mitgespielt könnte haben, dass Wien auch mit der bestehenden Infrastruktur das Finale bekommen hat. Damit bestand nicht unmittelbar Handlungsnotwendigkeit. Wäre die Vergabe der EM oder des Finales gekoppelt gewesen an die Neuerrichtung von Infrastruktur in Wien, gehe ich davon aus, dass das auch passiert wäre. Da dies nicht zwingend notwendig war, gab es wohl den Kompromiss, Dinge zu erneuern, zu modernisieren - aber ohne nachhaltig entsprechende Geldmittel in die Hand zu nehmen.“ Man müsse aus Sicht des ÖFB nun alles versuchen, damit dieser viel diskutierte Neubau in Wien entstehe - wenngleich man das Heft des Handelns, also die Finanzierung, nicht selbst in der Hand habe.

ÖFB-Präsident Leo Windtner sprach im Zuge der öffentlichen Diskussion von einem neuen Stadion im Bereich von 50.000 bis 60.000 Zuschauern. „Wir stellen keine unrealistischen Forderungen, was die Dimension betrifft“, sagte Neuhold. „Aber wir benötigen für die Finanzierung den Bund und die Stadt. Es ist unsere Pflicht, die Problematik zu transportieren, weil wir im internationalen Vergleich nicht mehr wettbewerbsfähig sind“, so Neuhold. „Für unsere weitere Entwicklung und den Komfort für die Zuschauer ist es tatsächlich notwendig, dass wir über neue Infrastruktur verfügen.“

Bund bereit - Stadt Wien prüft noch

Der vieldiskutierte Denkmalschutz des Happel-Stadions ist hier tatsächlich ein wesentlicher Faktor. „Und am Ende des Tages muss die Politik entscheiden, wie man vorgehen will“, sagte Neuhold - die entsprechenden Zusagen zur Finanzierung vorausgesetzt: Sollte der Denkmalschutz aufgehoben werden, könnte am selben Standort ein neues Stadion gebaut werden. Ansonsten wäre ein Neubau an einem anderen Standort in Wien eine Option. Alles so zu lassen, wie es ist, steht auch noch im Raum.

„Seitens des Bundes gibt es tendenziell die Bereitschaft, über dieses Thema intensiv zu diskutieren, bei einer Kofinanzierung die Mittel bereitzustellen“, sagte Neuhold. „Seitens der Stadt Wien - und das ist auch legitim - geht es um die Klärung sämtlicher Aspekte hinsichtlich des Ernst-Happel-Stadions, dessen Eigentümer die Stadt ist. Hier werden alle Realisierungsmöglichkeiten geprüft und abgewogen. Über eine mögliche Finanzierung wurde noch nicht gesprochen, weil noch nicht abschließend klar ist, wie man mit dem Standort Ernst-Happel-Stadion letztendlich umgehen kann und will.“

Wiederholung „unrealistisch“

Die Tatsache, dass man mit Klagenfurt, wo Österreich am Samstag gegen Deutschland spielte, und Innsbruck, wo davor das Testspiel gegen Russland stattgefunden hatte, zwei weitere, oft erprobte Länderspielorte zur Verfügung hat, macht die Verhandlungen für den ÖFB ein wenig leichter. Es geht schließlich auch um die Nutzungsbedingungen zwischen Verband und Stadt Wien - und damit um das liebe Geld. Zusätzlich gibt es die Red Bull Arena in Salzburg und die neue Generali Arena der Austria, wo Anfang September das ÖFB-Testspiel gegen Schweden stattfinden wird.

Dass in Österreich und Wien dagegen jemals wieder eine Fußball-EM stattfinden wird, erachtet Neuhold nach momentanem Stand als unrealistisch, aber nicht unmöglich. „Ich bin skeptisch, wäre aber froh, wenn ich mich täusche.“ Ein weiteres gesamtkontinentales Turnier wie die kommende EM 2020 wäre wohl die größte Chance gewesen, als Ausrichter mit einem Standort dabei zu sein. Die UEFA stellte aber bereits klar, dass es sich dabei um eine einmalige Sache handelt. Abzuwarten bleibt auch, wie sehr sich die Entwicklung zum Gigantismus und zur Erschließung neuer Märkte auch weiterhin in der Vergabe der Großveranstaltungen niederschlägt.

„Für mich war ein plakatives Beispiel, als Marcel Hirscher in Pyeongchang nach seinem Olympiasieg sinngemäß gesagt hat: ‚Und das soll der Höhepunkt meiner Karriere gewesen sein, dass ich da vor 40 Leuten ein Skirennen gewinne? Mir hat es viel mehr bedeutet, vor 50.000 in Schladming zu gewinnen.‘ Das sagt viel aus und macht nachdenklich“, so Neuhold über die Diskussionen um die WM-Vergabe 2022 an Katar. „Ich glaube, dass diese Entwicklung bei FIFA und IOC kritisch reflektiert wird. Und ich kann sagen, dass wir das Glück hatten, 2016 bei einer EM dabeigewesen zu sein in einem Land, wo der Fußball tatsächlich gelebt wird. Das merkt man.“

Genügend Visionen vorhanden

Was für Frankreich galt, hatte 2008 für Österreich und die Schweiz auch Gültigkeit. Obwohl beide Gastgeber in der Gruppenphase ausschieden, zeichnete sich die Euro durch Fußballbegeisterung bis zum letzten Match aus. Und auch wenn eine weitere EM in Österreich unwahrscheinlich ist, hat der ÖFB ausreichend Visionen, wie er in weiteren zehn Jahren dastehen will. „Eine Fünfjahresstrategie ist in Ausarbeitung. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es eine zeitgemäße Infrastruktur, die für uns in den Bereichen Spielabwicklung, Büro- und Trainingsmöglichkeiten ganz andere Dimensionen mit sich brächte“, sagte Neuhold.

Der Verband müsse sich im Bereich des Frauen-Fußballs an der Basis erheblich weiterentwickeln. Man müsse in der Breite mit Bundesliga und Landesverbänden die Kinder für den Fußball begeistern, so Neuhold. „Wir müssen dort, wo wir viel tun, auch mehr wahrgenommen werden“, fügte er hinzu. „In den Bereichen der Integration, Inklusion, Gesundheit oder Ehrenamtlichkeit erfüllt der ÖFB mit seinen Vereinen flächendeckend wesentliche Aufgaben der Gesellschaft. Schritt für Schritt wollen wir uns immer mehr als Dienstleister positionieren, weg vom verstaubten Verbandswesen.“ Und der größte Wunsch liegt auf der Hand: sich sowohl bei Frauen als auch bei Männern so oft wie möglich für Endrunden zu qualifizieren.

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