„Geld oder Gesundheit“
Seit Gründung der nationalen Antidopingagentur (NADA) und Beschluss des neuen Antidopinggesetzes im Juli vor zwei Jahren ist der Dopingwald auch in Österreich gelichtet worden. Aktuelle und längst vergangene Vergehen wurden verfolgt und aufgeklärt, die Sportler sanktioniert. Für NADA-Geschäftsführer Andreas Schwab aber noch wichtiger sind präventive Maßnahmen. Im ORF.at-Interview zieht er Bilanz.
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ORF.at: Herr Schwab, zuletzt war die NADA intensiv mit „Altlasten“ beschäftigt. Ist dieser Prozess aus ihrer Sicht abgeschlossen?
Andreas Schwab: Von unserer Seite leider noch nicht. Es werden uns in der Zukunft sicher noch Namen von Sportlern aus den Erhebungsergebnissen der Kriminalpolizei, die ja weiter im Kampf gegen Doping tätig bleibt, bekanntgegeben werden. Erklärend muss ich aber dazusagen: Die NADA wurde nicht unbedingt mit dem Ziel und der Absicht der Aufarbeitung der Vergangenheit gegründet, sondern um, so wie in mehr als 100 anderen Ländern weltweit, einfach eine NADA in Österreich zu haben und verstärkt im Kampf gegen Doping aktiv zu wirken. Ein wesentlicher Bereich ist dabei selbstverständlich auch der neu eingerichtete Präventionsbereich, für mich ganz wichtig.
ORF.at: Die Vergangenheit hat Sie eingeholt.
Schwab: Die Aufarbeitung begann ja erst, nachdem die SOKO Doping mit Jahresbeginn 2009 gegründet wurde, wobei acht Kriminalbeamte Erhebungen durchführten und wir ab Sommer 2009 Akteneinsicht in deren Unterlagen bekamen. So wurden uns Namen und Antidopingvergehen im sportrechtlichen Sinn bekannt. Im Sinne der SOKO Doping, die ja wieder aufgelöst wurde, arbeiten nun vier Kriminalbeamte der BKA-Suchtgiftabteilung weiter.
ORF.at: Welche Absicht stand hinter der Sperre längst ausgedienter Sportler?
Schwab: Gar keine besondere, das sind aktuelle „alte Fälle“. Entsprechend dem Antidoping-Bundesgesetz und dem WADA-Code sind wir sogar verpflichtet, Verfahren gegen Sportler, selbst wenn sich nicht mehr aktiv sind, einzuleiten, sobald uns Verstöße gegen Antidoping-Bestimmungen bekanntwerden. Auch nur beim Verdacht eines Verstoßes müssen wir vor der Rechtskommission ein Verfahren einleiten, die dann über Schuld oder Unschuld zu entscheiden hat, nicht aber die NADA.
ORF.at: Wie auch bei Steffi Graf.
Schwab: Bei Frau Graf lag ein Verstoß gegen eine Antidopingbestimmung des internationalen Leichtathletikverbandes, die damals in Kraft war, vor. Sie wurde aufgrund dieser IAAF-Bestimmung von der Rechtskommission verurteilt. Wir sind nämlich auch zur Einleitung von Verfahren verpflichtet, wenn Antidoping-Bestimmungen verletzt wurden, die zu einem früheren Zeitpunkt in Kraft waren. Es war dies also absolut kein Willkürakt der NADA. Wir entsprechen dem ADBG und dem WADA-Code. Eine Verjährung sieht der WADA-Code erst nach Ablauf von acht Jahren vor. Würde wiederum die NADA in einem solchen Fall untätig bleiben, würden wir uns einer schweren Verfehlung schuldig machen.
ORF.at: Was wird die Zukunft in Österreich bringen?
Schwab: Hoffentlich Gutes, aber kein Land wird jemals ein dopingfreies Land werden.
ORF.at: Die Mittel und Methoden verändern sich.
Schwab: Es wurde bereits in der Antike gedopt, also vor Tausenden von Jahren. Und es wird weiter gedopt werden. Natürlich mit immer besser entwickelten Methoden. Wobei man sich aber auch die Verlockungen und Beweggründe der Sportler vor Augen führen sollte. Durch Erfolge erreichen Sie Anerkennung, Akzeptanz, Ruhm, Bekanntheit und Wohlstand. Viele Sportler kommen immer noch aus sozialen Schichten, in denen der Aufstieg mit sportlichen Erfolgen sehr, sehr verlockend ist. Um z. B. hohe Einkommensziele zu erreichen, riskieren viele Sportler alles, auch ihre Gesundheit, und unterliegen verschiedensten Verlockungen.
ORF.at: Was hat sich in den zwei Jahren Ihrer Tätigkeit in Österreich diesbezüglich verändert?
Schwab: Vor allem das Bewusstsein der Sportler im Umgang mit Doping. Und durch die Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen sollten immer mehr und mehr heranwachsende Leistungssportler erkennen, dass Doping nicht nur Betrug und Lüge, sondern vor allem langfristig mit enormen gesundheitlichen Spätschäden verbunden ist. Siehe nur die Todesfälle in bestimmten Sportarten von Sportlern im Alter von 35 bis 55 Jahren.
ORF.at: Erinnern Sie sich an Ihren traurigsten Moment als NADA-Geschäftsführer?
Schwab: Als mir das Ergebnis einer US-Studie bekannt wurde. 98 Prozent der damals befragten amerikanischen Olympiateilnehmer würden leistungssteigernde Mittel nehmen, wenn sie dadurch garantiert Olympiasieger werden und nicht erwischt würden. Die Frage, ob sie diese verbotenen, leistungssteigernden Mittel auch dann nehmen würden, wenn sie dadurch zwar in den nächsten fünf Jahren alle Wettkämpfe gewinnen, dann aber sterben würden, beantworteten immerhin noch 50 Prozent mit Ja. Dabei ist die gesundheitsschädigende Komponente des Dopings für mich die wesentlichste.
ORF.at: Ist es Ihrer Meinung nach legitim, Dopingsünder auch strafrechtlich zu belangen?
Schwab: Ja, sofern sie anderen Personen dadurch nachweislich großen Schaden zugefügt haben oder selbst mit verbotenen Substanzen Handel getrieben haben. Wie kommt ein Sportler dazu, sich quasi dopen zu müssen, weil er weiß, dass die Konkurrenz dopt und er ohne Doping keine Chance auf einen fairen Wettkampf und in Verbindung damit auch nicht auf Preisgelder und Ruhm hat? Die WADA, sämtliche internationale Fachverbände und das IOC stehen weltweit für einen fairen Sport und sehen sich als Schutzorgane nicht dopender Sportler. Welche Eltern würde ihr Kind andernfalls noch in den Leistungssport gehen lassen?
ORF.at: Wie greift die NADA derzeit präventiv ein?
Schwab: Durch Schulungen, Seminare, Infobroschüren, Ausbildung von Antidoping-Beauftragten in jedem österreichischen Sportfachverband und vieles mehr. Wir geben jährlich allein für Präventionsmaßnahmen 500.000 Euro aus. Das ist ungefähr ein Drittel unseres jährlichen Gesamtbudgets. Junge Sportler müssen aber in erster Linie von ihren Trainern, Ärzten und anderen Bezugspersonen zu selbstständigen Menschen erzogen werden, um sich sodann selbst richtig gegen Doping entscheiden zu können. Denn jede über einen längeren Zeitraum in hoher Dosis eingenommene Substanz hat gesundheitliche Schäden zur Folge.
ORF.at: Frühere Rufe nach Freigabe sind verstummt, wie denken Sie darüber?
Schwab: Doping zu legalisieren würde den Sport, vor allem aber bestimmte Sportarten gänzlich ruinieren. Bestimmte Bereiche sind ja bereits ausgestorben oder werden nur noch von einer sehr geringen Anzahl von Menschen betrieben. Verrückte, die eine Freigabe von Doping fordern, gibt es deshalb kaum noch irgendwo. Ich sehe auch kein einziges Argument, das dafür sprechen würde.
ORF.at: Wie verhielt es sich in Ihren aktiven Sportlerzeiten mit Doping?
Schwab: In meinem Heimatort, in Öblarn, gab es damals nur Fußball, Skifahren und Gewichtheben. Ich habe alle drei Sportarten betrieben. Beim Gewichtheben war der örtliche Pfarrer unser Trainer und Doping deshalb kein Thema. Wir waren auch nur eine Art Hobbymannschaft. Im Alter von 19 oder 20 gab ich das Gewichtheben dann trotzdem auf, weil ich merkte, wie gesundheitsschädigend es ist. Ich habe aber weiterhin vernünftiges Kraftraining betrieben, um als Sportler generell in Form zu bleiben, was mir später den Einstieg in den Bobsport ermöglichte. Dort war Doping sehr wohl ein Thema.
ORF.at: In welcher Hinsicht?
Schwab: Wir hörten immer wieder, vor allem über unsere osteuropäischen Gegner, dass sie gedopt gewesen sein sollen. Zwar gab es Dopingkontrollen, ich kann mich aber nicht erinnern, dass irgendwer jemals positiv getestet worden wäre. Der Beweis für die damaligen Gerüchte wurde also nie erbracht. Wobei ich anmerken muss: Viele der heute längst verbotenen Substanzen waren damals legal bzw. nicht auf einer Liste von verbotenen Substanzen des IOC oder des Internationalen Bobverbandes. Die WADA wurde überhaupt erst 1999, also mehr als 20 Jahre später, gegründet.
ORF.at: Haben Sie damals zu heute verbotenen Substanzen gegriffen?
Schwab: Ich habe versucht, mit Vitaminpräparaten, eiweißreicher Ernährung, Nahrungsergänzungsmitteln und konsequentem Training gut in Form zu kommen. Nach 1976 bin ich auch nur mehr fallweise Mitglied der Nationalmannschaft gewesen und habe wegen meines Studiums und meiner beruflichen Tätigkeit als Gendarmeriebeamter den Bobsport nur mehr nebenbei betrieben. Doping lehnte ich schon damals wegen der gesundheitlichen Foolgeschäden ab. Das Positive daran ist, dass ich heute, als 58-Jähriger, alle meine Sportarten immer noch problemlos und schmerzfrei betreiben kann.
Das Gespräch führte Michael Fruhmann, ORF.at
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