Verrücktes 4:4 wirft Licht und Schatten
Sport ist Show und Fußball als wichtigste Nebensache der Welt in erster Linie Unterhaltung. Insofern haben die Teams von Belgien und Österreich ihren Auftrag mehr als erfüllt. Über dieses 4:4 wird man noch lange nach der laufenden EM-Quali reden. „Da sitze ich längst nicht mehr hier“, sagte Dietmar Constantini, der die Analyse irgendwo zwischen Freude, Erleichterung und realistischer Einschätzung anlegte.
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Das erste Qualifikationsspiel Österreichs mit vier erzielten Toren seit dem 4:1 über San Marino 1998 war für den ÖFB-Teamchef „eine schöne Geschichte“, drei Punkte wären ihm aber lieber gewesen. „Ich bin stolz auf meine Mannschaft“, lobte Constantini deren Kampfgeist, Einstellung und Moral, zweimal und am Ende sogar in Unterzahl einen Rückstand wegzustecken. Mängel in der Defensivarbeit und den „Schnittstellen“ blieben dem Tiroler bei vier Gegentreffern und zahlreichen Großchancen der Belgier aber nicht verborgen.
Constantini: „Alles junge Burschen“
„Schwächen hat jede Mannschaft in jedem Spiel“, betonte Constantini. „Aber über den Charakter des Teams hat dieses Spiel alles ausgesagt.“ Den mentalen Kraftakt bei einem Spielverlauf aus ÖFB-Sicht von 0:1, 1:1, 2:1, 2:2, 3:2, 3:3, 3:4 und 4:4 fand er „sensationell“. Andere Mannschaften würden das gar nicht „packen“. Nur eine kurze Phase habe es am denkwürdigen Dienstagabend in Brüssel gegeben, in der er auf seine Spieler „ang’fressen“ war. „Nach dem 3:4, da habe ich mir gedacht: Es ist doch immer dasselbe.“

APA/Herbert Neubauer
Teamchef Dietmar Constantini inmitten einer Mannschaft, „die zusammenrückt“.
Für Abhilfe hatte Constantini da aber mit der Einwechslung von Martin Harnik schon selbst gesorgt. Dessen Tor in der 93. Minute verwandelte des Teamchefs Frust in Sekundenschnelle in „wahnsinnige Freude“. Harnik untermauerte damit auch seinen Ruf als sensationeller Joker, für den VfB Stuttgart hat er in der laufenden Europa League schon dreimal als Einwechselspieler die Partie in den letzten Minuten entschieden.
Nicht nur bei ihm selbst sei enormer Druck abgefallen, gab Constantini danach zu. „Auch bei den Spielern. Man darf nicht vergessen, dass das alles junge Burschen sind.“ Und seinen Schützlingen will der Teamchef auch weiterhin den einen oder anderen Schnitzer verzeihen.
Selbstkritik vorhanden
Abstimmungsprobleme in der Innenverteidigung wie auch in der Viererkette insgesamt, technische Mängel und taktisches Fehlverhalten in der Rückwärtsbewegung wurden von Constantini noch nicht aufgearbeitet. Am Tag nach der Fahrt in der Hochschaubahn der Gefühle wollte er das Positive herausstreichen. „Aber wir werden intern auch über die Mängel in den Schnittstellen reden“, kündigte Constantini an. „Wir wissen schon, was wir falsch gemacht haben. Die Spieler hinterfragen sich selbst viel mehr, als manche glauben.“
Der Wille zum Sieg und die offensive Grundausrichtung hätten eben auch eine gehörige Portion Risiko mit sich gebracht. „Wir wollten uns nicht hinten reinstellen“, so Constantini. „Das habe ich mit den Wechseln unterstrichen. Wir wollten gewinnen. In einigen Fällen hat dann die Zuordnung nicht gepasst, wir haben zu viele Chancen des Gegners zugelassen.“ Von perfektem Spiel („wie Brasilien“) könne man also noch lange nicht reden, zumindest aber jeden Gegner ärgern.
Die härtesten Brocken kommen erst
„Derweil sind wir noch nirgends“, dachte Constantini schon an die Schlager gegen Belgien (25. März in Wien), in der Türkei (29. März) und gegen Deutschland (3. Juni in Wien). „Die anderen Ergebnisse (0:1 der Türkei in Aserbaidschan, Anm.) und der zweite Tabellenplatz sind noch nicht interessant“, sagte der ÖFB-Cheftrainer. „Abgerechnet wird zum Schluss. Gegen Kasachstan und Aserbaidschan haben wir sechs Pflichtpunkte geholt, und mit dem in Belgien können wir gut leben.“
Weniger gut leben lässt es sich eigentlich mit der unnötigen Aktion von Paul Scharner, die dem Premier-League-erfahrenen ÖFB-Mittelfeldmann bei 3:2 knapp 20 Minuten vor Schluss die Rote Karte eingebracht hatte. Doch auch die dumme Tätlichkeit schien Constantini an diesem Tag nicht sonderlich aufzuregen. „Klar darf es nicht passieren, aber in der Emotion hat es schon blödere Aktionen gegeben.“ Eine Aussprache habe es noch nicht gegeben, man rechne mit einer Sperre von zwei Pflichtspielen, also gegen Belgien und die Türkei.
Extralob für Maierhofer
„Die Mannschaft rückt zusammen“, war dem Teamchef viel wichtiger. „Die Harmonie passt, aber wir müssen besser Fußball spielen.“ Marko Arnautovic sei einer, der gezeigt hat, dass er es kann. „Auch wenn Christian Fuchs hinter ihm oft mit zwei Gegnern konfrontiert war“, bemerkte Constantini über den Offensivfreigeist, der beim 2:1 seine herausragenden Fähigkeiten demonstrierte. Mehr an seinen Kollegen Stefan Maierhofer hätte Arnautovic aber eine Viertelstunde vor Schluss denken müssen, als er den freistehenden „Langen“ im Konter ignorierte und selbst knapp verzog.
„Es ist okay, wir haben darüber gesprochen“, verzieh ihm Maierhofer. „Er ist ein junger Bursch, der viel will.“ Maierhofer wurde von Constantini übrigens wieder explizit gelobt, bei seinem Kampfgeist würde jedem Zuschauer das Herz aufgehen. Ob der Duisburg-Sturmhüne dem verletzten Mark Janko bei dessen Rückkehr den Platz streitig machen kann, wird sich der Teamchef bis zum Test gegen Griechenland am 17. November in Wien überlegen.
Harald Hofstetter, ORF.at
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