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„So etwas darf nie wieder passieren“

„Das ist ein riesengroßer Schlag gegen den Radsport“: So kommentierte Ex-Radprofi Gerhard Zadrobilek am Montag im ORF-Kurzsport die Affäre Armstrong. Knapp zwei Wochen nach dem verheerenden Bericht der US-Anti-Doping-Agentur (USADA) stempelte auch der Radsport-Weltverband (UCI) den Amerikaner endgültig als Doper ab und entzog ihm seine sieben Gesamtsiege bei der Frankreich-Rundfahrt.

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Die einmalige Tour-Ära Armstrongs wird aus den Radsportgeschichtsbüchern gelöscht. Diese müssen neu geschrieben werden, weil Armstrong jahrelang das Zentrum des größten systematischen Dopings im Radsport war. Der Radsport steht damit wieder einmal an einem Wendepunkt. Kommt er wieder in Schwung? „Nach dem Fall Kohl haben sich viele Sponsoren in Österreich vom Radsport distanziert. Wie es jetzt international weitergeht? Ich weiß es nicht“, sagte Zadrobilek ratlos.

Loslösung von alten Praktiken

Die USADA hatte am Montag mit Wohlwollen auf die Übernahme all ihrer Sanktionen gegen Armstrong durch den Radsport-Weltverband reagiert. Mehr als 1.000 Seiten Beweismaterial hatte die USADA am 10. Oktober präsentiert, darunter die Aussagen elf ehemaliger Teamkollegen Armstrongs als Kronzeugen: Letztlich hatte die UCI keine andere Wahl, als die lebenslange Sperre der US-Anti-Doping-Jäger gegen den Texaner und die Aberkennung aller Erfolge von 1998 an zu bestätigen.

USADA-Vorsitzender Travis Tygart sparte aber auch nicht mit Kritik am vorangegangen Kurs der UCI. Die Abrechnung mit Armstrong sei nur ein erster Schritt zur Säuberung des Radsports gewesen, bekräftigte Tygart. Denn die Bestätigung des Urteils an sich sorge weder für Sauberkeit noch stelle sie sicher, dass sich der Sport vollständig von der Vergangenheit, in der Doping mit EPO und Bluttransfusionen floriert habe, gelöst hat. „Es gibt noch viele verborgene Details des Dopings, viele Dopingärzte, viele korrupte Teammanager, und die Omerta (Gesetz des Schweigens der italienischen Mafia, Anm.) ist noch nicht vollständig gebrochen worden.“

„Es ist das System“

Um den Radsport wieder glaubwürdig zu machen, müsse unbedingt eine unabhängige Wahrheits- und Versöhnungskommission geschaffen werden, forderte Tygart. Der heutige historische Tag für einen sauberen Sport bedeute nämlich nicht, dass der Sport auch morgen sauber sein wird. Dafür müsse noch viel mehr getan werden. „Es ist das System, dem ich die Schuld geben“, sagte etwa auch Tour-de-France-Chef Christian Prudhomme.

Tour-de-France-Chef Christian Prudhomme

Reuters/Philippe Wojazer

Wird Christian Prudhomme irgendwann eine saubere Tour organisieren dürfen?

„Das ist ein mafiöses System, das über die Grenzen des Sports hinausgeht“, so Prudhomme. „Der Radsport von heute ist bereits anders als jener vor einigen Jahren, aber die UCI muss die Lehren aus dem Fall Armstrong ziehen und darauf achten, dass es nicht mehr so weit kommt.“ Eine Hoffnung hat Prudhomme jedenfalls: „Zumindest wissen die Fahrer jetzt, dass sie früher oder später erwischt werden. Aber es sollten nicht immer nur die Fahrer, die Sieger bestraft werden, sondern alle Leute, die damit zu tun haben.“

Welche Rolle spielt die UCI?

„So etwas darf nie wieder passieren“, unterstrich aus UCI-Präsident Pat McQuaid am Montag in Genf. Daran wollen Kritiker nicht so recht glauben. Nach Ansicht von Jean Regenwetter, dem Präsidenten des Luxemburger Radverbandes und zuletzt schärfsten Verbandskritiker, wird sich in der UCI trotz McQuaids deutlicher Worte wenig ändern. Am Freitag würden „genau dieselben Leute zusammensitzen, die dafür gesorgt haben, dass die Glaubwürdigkeit des Radsports in Zweifel gezogen wurde“, sagte Regenwetter der Nachrichtenagentur dpa.

Bei der UCI-Pressekonferenz in Genf wurde aus der Verkündung des Strafmaßes gegen Armstrong schnell eine Rechtfertigungsveranstaltung der UCI. „Natürlich kann man in der Rückschau immer sagen, man hätte mehr tun können“, sagte McQuaid. Die USADA hatte in ihrem Bericht angedeutet, Armstrong habe einen positiven Dopingtest einst mit Hilfe der Verbandsspitze verschleiert. Den Vorwurf wies McQuaid zurück und nahm auch seine umstrittenen Vorgänger und jetzigen Ehrenpräsidenten Hein Verbruggen in Schutz.

UCI-Präsident Pat McQuaid

Salvatore Di Nolfi

Dem großen Auftritt von Pat McQuaid sollten in der UCI auch Taten folgen

Armstrong 218-mal negativ getestet

Dass die Anti-Doping-Maßnahmen im Radsport lange ungenügend waren, räumte McQuaid ein. „Es tut mir leid, dass wir nicht jeden verdammten Sünder erwischen konnten“, sagte er. 218-mal sei Armstrong auf Doping getestet worden - ohne positiven Befund. Dass der Radsport irgendwann komplett vom Doping befreit werde, glaubt McQuaid nicht.

Armstrong war von der USADA jahrelanges und systematisches Doping nachgewiesen worden. Wie Zeugen unter Eid berichteten, hatte Armstrong EPO-, Testosteron-, Kortison- und Blutdoping betrieben. Zudem habe er Mannschaftskollegen zum Doping gezwungen und eingeschüchtert, als diese sich von ihm abgewandt hatten. Armstrong stritt die Vorwürfe ab. „Was ich im USADA-Bericht gelesen habe, macht mich krank“, so UCI-Boss McQuaid - so wie den Radsport.

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