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Das Evangelium nach Happel

Die Bilder von Ernst Happel, dessen Todestag sich am 14. November zum 20. Mal gejährt hat, sind auch heute noch präsent: Ein abgemagerter, ausgezehrter alter Mann mit „Kapperl“ sitzt auf der Trainerbank, die Miene grimmig verzerrt. Unter den buschigen Augenbrauen ein stierer, undurchschaubarer Blick, zwischen den nach unten gezogenen Mundwinkeln die obligatorische „Tschick“.

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In der Öffentlichkeit hat Happel das Image des „ewigen Grantlers“. „Ich bin ja Fußballtrainer und kein Schriftsteller, dass ich einen Roman erzähle“, rechtfertigte der Erfolgscoach seine Einsilbigkeit.

Ernst Happel

GEPA/Wilfried Witters

Happel, wie er leibte und lebte

Doch 20 Jahre nach Happels Tod lässt sich das Bild des „Grantlers“ nicht mehr aufrechterhalten. Vielmehr heben ehemalige Weggefährten seine menschlichen Qualitäten hervor und gestehen: „Ich habe ihn geliebt.“

„Innen weich wie Butter“

An vorderster Front räumt seine Enkelin Christina Happel, die ihren Großvater mit neun Jahren verloren hat, mit dem Eindruck des „Grantlers“ auf. „Das ist ein bisschen ein Mythos. Alle, die ihn besser gekannt haben, schwärmen von ihm“, sagte die Sportjournalistin. Theodor „Turl“ Wagner, der mit Happel 1954 im Nationalteam kickte, unterstützt sie im ORF-Interview: „Man hat ihm ja ein schlechtes Image angehängt, dass er arrogant sei. Das hat nicht gestimmt. Er war sehr feinfühlend. Er hat nur außen eine harte Haut gehabt, aber innen war er weich wie Butter.“

Günter Netzer, der Happel 1981 als Trainer zum Hamburger SV geholt hatte, lobt ebenfalls nur in höchsten Tönen: „Ich habe einen Menschen an meiner Seite gehabt, den ich zu jedem Zeitpunkt respektieren konnte, geschätzt habe, geliebt habe.“ Der Deutsche sprach aber auch die Schwierigkeiten Happels an: Dieser hätte seine menschlichen Qualitäten „nicht aussprechen“ können, hätte sie aber „gelebt“.

„Habe Happel geliebt“

Horst Hrubesch, unter Happel Spieler beim HSV, stößt in dieselbe Kerbe: „Er wurde ja immer als knurrender Hund hingestellt, aber er war genau das Gegenteil“, erzählte das „Kopfballungeheuer“ in einem Interview mit der „Welt“. „Happel hat uns Respekt beigebracht, und er hat ihn sich auch selbst verdient.“ Seine Beziehung zum „Wödmasta“ fasste Hrubesch kurz zusammen: „Ich habe diesen Mann verehrt. Ich habe ihn geliebt.“

Ernst Happel

GEPA/Wilfried Witters

Die „Tschick“ durfte bei Happel nie fehlen

Hrubesch räumt auch mit Happels Image als Kettenraucher auf: „Er hat in einem Spiel vielleicht fünf, sechs Zigaretten geraucht. Davon sind zwei verqualmt.“ Schuld sei die Zigarettenmarke Belga, deren Glimmstängel dermaßen hart sei, dass sie bis zu zwölf Minuten brennen würden. „Es sah also danach aus, als ob er eine nach der anderen durchziehen würde.“

Unbestreitbare Erfolge

Egal ob „Grantler“ oder nicht, ob Kettenraucher oder nur starker Raucher - über Happels Erfolge lässt sich jedenfalls nicht streiten. Als Jugendlicher kam der am 29. November 1925 in Wien-Penzing geborene Bub zu Rapid, während des Krieges rückte er 1942 in die Kampfmannschaft auf. Den Grün-Weißen, mit denen er sechsmal Meister wurde, sollte er mit Ausnahme eines Abstechers zum Racing Club Paris (1954 bis 1956) treu bleiben. Happel stach schon als Aktiver hervor, er spielte in der Verteidigung als „Stopper“. Das Publikum nannte seinen Liebling „Aschyl“ und „Zauberer“, seine Rapid-Kollegen riefen ihn später „Wödmasta“.

Dieser Titel blieb ihm offiziell aber immer verwehrt, als Teamchef der Niederlande reichte es „nur“ zum Vizeweltmeister, weil Rob Rensenbrink im Finale 1978 beim Stand von 1:1 gegen Argentinien in der letzten Minute nur die Stange traf. In der Verlängerung setzten sich letztlich die Südamerikaner 3:1 durch. Zu diesem Zeitpunkt war Happel schon eine Trainerlegende, die auf 20 Jahre Erfahrung zurückblicken konnte und den Fußball revolutionierte.

18 Titel als Clubtrainer

Doch der Reihe nach: Seine ersten Sporen als Trainer verdiente sich Happel von 1958 bis 1959 als Sektionsleiter von Rapid unter Coach Robert Körner. 1962, kurz nach Erhalt seiner Trainerlizenz, übernahm der Wiener den niederländischen Abstiegskandidaten Den Haag. Mit den Niederländern eroberte er 1968 den Cuptitel und wechselte sodann zum Spitzenclub Feyenoord Rotterdam, mit dem er zweimal Meister wurde und 1970 den Europacup der Meister (Vorläufer der Champions League) eroberte. In Belgien führte Happel Club Brügge zu drei Meistertiteln. „Der war Gott in Belgien“, berichtete Spieler Eduard Krieger über seinen damaligen Coach.

Nach dem Vizeweltmeistertitel mit den Niederlanden ging der „Wödmasta“ zu Standard Lüttich, ehe von 1981 bis 1987 seine große Zeit bei Hamburg begann. Die Norddeutschen verdanken dem Österreicher ihren Rekord von 36 ungeschlagenen Spielen in Folge, zwei Meistertitel und den Sieg im Meistercup. Auch mit dem FC Tirol holte Happel zwei Meistertitel, was ihn mit insgesamt 18 Titeln zu seinen Lebzeiten zum erfolgreichsten Clubtrainer der Welt machte.

Dietmar Constantini, Ernst Happel

GEPA/Franz Pammer

Als ÖFB-Teamchef war Happel schon stark von seinem Krebsleiden gezeichnet

1992 übernahm Happel die österreichische Nationalmannschaft, letztmals saß er beim 5:2 in der WM-Qualifikation am 28. Oktober 1992 gegen Israel auf der Bank. Vier Tage nach seinem Tod lag am 18. November beim 0:0 im Testspiel gegen Deutschland über 90 Minuten seine legendäre Kappe auf der Trainerbank.

Revolutionär des Fußballs

Seine großen Erfolge als Trainer verdankte Happel vor allem zwei Prinzipien: Taktik und eiserne Disziplin. „Ich glaube, meine große Stärke ist die Taktik“, sagte der Wiener. „Und der zweite große Punkt von meiner Seite: Ich glaube, ich kann die Spieler anpacken.“ „Kurier“-Journalist Wolfgang Winheim attestierte Happel: „Taktisch war er seiner Zeit voraus.“

Ernst Happel

GEPA/Wilfried Witters

Happel war ein ausgewiesener Taktikfuchs

Happel forcierte bei seinen Clubs das Pressing, der Gegner wurde zu seiner Verwunderung auch in der eigenen Hälfte attackiert. Mit Hamburg baute zu Zeiten des Traineridols erstmals in Deutschland eine Mannschaft eine Abseitsfalle auf. Für HSV-Manager Günter Netzer war klar, dass er genau ihn als Trainer wollte: „Wir in Deutschland hatten kaum die Raumdeckung eingeführt ... wer so etwas einer Mannschaft beibringen kann, der muss ein großer Trainer sein.“

Die Spieler bekamen die eiserne Disziplin Happels zu spüren: Wer sich nicht der Mannschaft unterordnete, der flog. Der Trainer konnte dabei auch gut mit Stars und „schlitzöhrigen“ (sic!) Spielern, diese zahlten es ihm mit Respekt, Verehrung und Erfolgen zurück. „Alles, was Happel sagt, ist für mich ein Evangelium“, sagte „Kaiser“ Franz Beckenbauer.

Erinnerung lebt fort

Die Verehrung bleibt. Rund 3.000 Menschen erwiesen Happel bei seinem Begräbnis, das live im ORF zu sehen war, die letzte Ehre. „Ich habe mir nur gedacht: Mein Opa ist tot, was wollt ihr alle da?“, sagte seine damals neunjährige Enkelin Christina Happel.

Ernst Happel sprach einst: „Ich habe gesagt: Ich will 75 Jahre alt werden und 150 gelebt haben.“ Gelebt hat er, der im 67. Lebensjahr den Kampf gegen Krebs verloren hat, auf jeden Fall 150 Jahre. In der Erinnerung sind es noch viele mehr. Horst Hrubesch: „Für mich lebt er immer noch. Weil ich so viele gute Erinnerungen an ihn habe, lasse ich ihn in meinen Erinnerungen weiter leben. Ich bin stolz darauf, dass ich ihn kennenlernen durfte.“

Oliver Mück, ORF.at

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