Frage der Qualität und Quantität
Für den Präsidenten des Österreichischen Eishockey-Verbandes (ÖEHV), Dieter Kalt, ist er ehrfürchtig einfach nur „der Finne“. Für Österreichs Eishockey soll Alpo Suhonen die Weichen auf eine dauerhafte Zukunft in der A-Gruppe stellen. Seit Juli 2012 ist Suhonen als Sportdirektor beim ÖEHV tätig. Nach monatelanger Sichtung hat der Finne sein Konzept präsentiert: „Es geht alles über das Coaching.“
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Im Lebenslauf des 64-Jährigen dreht sich fast alles um Eishockey. Suhonen feierte als Trainer Meistertitel in Finnland und der Schweiz und wurde im Jahr 2000 bei den Chicago Blackhawks als erster Europäer zum Headcoach befördert. Daneben versuchte sich der Finne auch erfolgreich als Theaterproduzent und Manager des international bekannten Pori Jazz Festivals in seiner Heimat. Im ORF.at-Interview spricht Suhonen über die bisherige WM, seinen Plan mit Österreichs Nachwuchs und warum die NHL manchmal überbewertet wird.
ORF.at: Wie fällt Ihre Zwischenbilanz nach vier WM-Spielen aus?
Alpo Suhonen: Wir haben in jedem Spiel eine Entwicklung gemacht. Das beste Spiel war gegen Deutschland, in diesem Spiel hatten wir die beste Balance. Das Hauptproblem: Die notwendige Konstanz haben wir erst gegen Deutschland gehabt. Wir hätten alle vier Spiele gewinnen können, wenn alles geklappt hätte: individuelles Spiel, Zusammenspiel und der Tormann. Aber es sind viele positive Dinge dabei.

APA/Helmut Fohringer
Suhonen gibt dem österreichischen Eishockey die neue Richtung vor
ORF.at: Vor allem der Teamgeist scheint wieder zu stimmen ...
Suhonen: In der Mannschaft die hier ist, herrscht sehr gute Stimmung. Wie sie auf dem Eis auftreten, passt, sie geben das Beste, das sie können. Ich glaube wir sind jetzt ein großes Stück besser. Wenn ich lese, was im Umfeld alles nicht stimmt, wie wir anreisen oder was wir essen: Das ist nicht schuld, wenn es nicht geht. Das ist naiv und nicht die Realität. Ich habe jetzt sehr viele Spiele und Spieler auf allen Stufen gesehen – die Problematik ist ziemlich klar.
ORF.at: Was fehlt uns noch zur absoluten A-Reife?
Suhonen: Technisch sind wir ziemlich nahe am hohen Niveau, aber unser Zusammenspiel ist nicht dort. Wir haben individuell bessere Spieler, als wir als Team zusammenspielen. Im physischen Spiel sind wir schlechter als mehr oder weniger alle anderen Teams. Das heißt nicht, dass wir schlecht spielen, aber wir haben nicht die Power für 60 Minuten. Es fehlt die Erfahrung, konstant in der A-Gruppe zu spielen. Wenn man hier ein paar Jahre spielt, gewöhnt man sich an das Niveau. Dieses Auf und Ab bei Weltmeisterschaften ist ein Manko. Wir sind nicht weit weg, aber man sieht die problematischen Punkte.
ORF.at: Ist die körperliche Unterlegenheit das größte Problem?
Suhonen: Die physische Bereitschaft ist der einzige Weg, dass Deine technischen Fähigkeiten hoch bleiben. Was hilft Dir die Technik, wenn Du nach fünf Minuten fertig bist. Gegen Deutschland hat man gesehen, dass wenn Du unter Druck kommst und keine Kraft mehr hast, Du Deine technischen Fähigkeiten nicht ausspielen kannst. Das zweite Dilemma ist, dass unseren jungen Spielern die internationale Erfahrung fehlt. Dass die U18 in der C-Gruppe spielt, ist nicht genug. Jetzt wird alles hoffentlich besser, aber es war viele, viele Jahre schlecht.
ORF.at: Wo setzen Sie mit Ihrem Konzept für das heimische Eishockey an?
Suhonen: Die Ligastrukturen werden jetzt besser. Das große Bild mit U20 und U18 muss in Ordnung sein. Es kommt darauf an, wie die Spieler trainieren und wie sie gecoacht werden. Ich glaube, in den nächsten Jahren werden wir näher herankommen. Es geht alles über das Coaching. Das heißt nicht, dass die aktuellen Coaches schlecht sind, aber ich habe jetzt gesehen, dass der Trainingsumfang nicht reicht. In den großen Nationen sind junge Spieler jeden Tag auf dem Eis, in Österreich aber nicht.
ORF.at: Wie ist es zu schaffen, dass der Plan bis 2017 aufgeht?
Suhonen: Gute kurzfristige Arbeit ist die beste langfristige Arbeit. Die tägliche Arbeit im Training ist der Schlüssel zum Erfolg: Qualität und Quantität. Wir sind nicht weit weg, aber je höher du kommst, umso schwerer ist es, den nächsten Schritt zu setzen. Die Schweiz ist ein gutes Beispiel. Sie haben vor 15 Jahren mit der Arbeit begonnen, dann haben sie den ersten Schritt gesetzt und haben sich in der A-Gruppe etabliert. Jetzt haben sie noch eine Stufe genommen, aber darauf haben sie lange Jahre warten müssen. Wir müssen mit der U18, U20 und den Senioren immer in der A-Gruppe spielen, das ist das Ziel.

GEPA/Andreas Pranter
Auch die U20-Mannschaft soll in naher Zukunft A-Niveau erreichen
ORF.at: Viele Eltern scheuen die hohen Kosten des Eishockeysports, etwa für die Ausrüstung. Bleiben dadurch Talente auf der Strecke?
Suhonen: Eishockey ist leider ein teurer Sport. Drei Söhne, die alle Eishockey spielen wollen, sind für eine Familie schon schwer zu finanzieren. Und dann wird es nur in wenigen Ländern gespielt. Aber Österreich sollte für mich immer unter den besten zwölf Nationen der Welt sein und sogar ab und zu ins Viertelfinale kommen. Es ist möglich, aber die grundlegenden Sachen müssen stimmen. Man darf nicht auf einen 15-Jährigen warten, der nur ein paar hundert Stunden im Jahr trainiert, er wird nicht kommen. In Skandinavien trainieren die jungen Spieler sicher zwei, drei Stunden pro Tag und zwar das ganze Jahr hindurch.
ORF.at: Was sagen Sie Eltern, die bei so viel Training ihre Kinder überfordert sehen?
Suhonen: In Finnland und Schweden ist die Schulzeit nicht viel anders als in Österreich. Die Spieler trainieren nach der Schule und vor allem im Sommer. In Österreich sagen viele Eltern, mein Kind kann nicht zum Trainingslager kommen, denn es hat Ferien. Es ist keine Einstellungssache, sondern mehr eine Wissenssache. Eltern glauben, so ist es für ihre Kinder leichter. Aber wenn man in der Zeit zwischen 15 und 22 nicht täglich seine Technik und seinen Körper unter der Anleitung von guten Coaches entwickelt und auch seinen Charakter bildet, passiert nichts. Zu glauben, man hat ein Talent als Kind, ist gar nichts. Ein richtiges Talent ist, wer hart arbeitet.
ORF.at: Eishockey ist in Österreich nicht so populär wie etwa in Finnland. Ist es dadurch nicht schwieriger, Kinder zum Eishockey zu bewegen?
Suhonen: Wer glaubt, Eishockey ist in Österreich nicht populär, der liegt falsch. In Österreich hat man viel früher als etwa in Finnland gespielt. In den 60er und 70er Jahren hat sich das geändert, weil sich auch die Gesellschaft geändert hat. Die Leute hatten mehr Zeit für Freizeit und mehr Geld. In dieser Zeit hat Skandinavien aufgeholt, damals hatten wir 60 Eishallen, jetzt 250. Damals war Eishockey noch nicht, so wie jetzt, der populärste Sport in Finnland. In Österreich ist es gleich.
ORF.at: Wäre es sinnvoll, so wie etwa in den USA, schulische und sportliche Ausbildung zu verknüpfen?
Suhonen: In Finnland etwa spielt die Schule in dieser Sicht eine kleine Rolle. Es ist natürlich wichtig, in der Schule Sport zu betreiben, aber verantwortlich für den Erfolg sind die Coaches und Trainer. Wenn es Akademien und spezielle Schulen gibt, ist das natürlich gut. In Finnland versuchen wir die Eishallen dort zu bauen, wo die Spieler sind, und nicht die Spieler zu den Eishallen zu bringen.
ORF.at: Wie beurteilen Sie die derzeitige Infrastruktur in Sachen Eishallen?
Suhonen: Wien hat jetzt drei Eishallen, aber es müsste in allen Großstädten in Österreich diese Infrastruktur geben. Zum Vergleich: Alleine in Helsinki gibt es 20 Eishallen. Eishockey ist ein urbaner Sport. Es bringt nichts, eine moderne Halle in ein Dorf zu bauen, das ist vielleicht schön zum Eislaufen, aber das bringt das Eishockey nicht weiter. Man sollte in allen großen Städten Österreichs gleich mehrere Hallen bauen.
ORF.at: Verteidiger Thomas Pöck meinte, Österreich brauchte mehr NHL-Spieler, um auf Dauer in der A-Gruppe entspannter mitspielen zu können. Gibt es bei uns die Aussicht auf diese Idealvorstellung?
Suhonen: Nur weil jemand ein NHL-Spieler ist, heißt das nicht, dass er gut ist. Das ist eine Illusion. Es gibt so viele professionelle Ligen, dass heute in der NHL oder auch in der russischen Liga schon drittklassige Spieler spielen. Es gibt in vierten Linien Spieler, die nicht einmal Schlittschuh laufen können, weil man sie nur zum Raufen braucht. Auch allgemein kann man nicht sagen, nur weil er in der NHL spielt, gehört er auch zu den Besten. In Österreich und Deutschland glaubt man, nur weil ein Spieler aus Kanada oder den USA kommt, ist er besser. Aber man muss nur bei der WM schauen: Wie viele von diesen Spielern, die in der Liga spielen, sind hier?

Reuters
Suhonen schrieb als Cheftrainer der Chicago Blackhawks NHL-Geschichte
ORF.at: Das Ansehen von Österreichs Eishockey würde mit mehr NHL-Spielern aber sicher steigen. Der US-Coach verwechselte Österreich ja mit der Schweiz ...
Suhonen: Kanadier und Amerikaner sind sowieso arrogant, das ist die eine Seite. Aber Österreich hat sich einfach in den letzten Jahren nicht etabliert. Diese Wahrheit muss man akzeptieren und offen aussprechen: Wir haben uns auf diesem Nivau nicht etabliert, wir sind eine Nation, die aus dem Koffer lebt, weil sie dauernd umzieht. Das Problem ist nicht, dass es in der Liga zu viele Ausländer gibt. Die Frage ist, warum gibt es aus der Jugend heraus zu wenige bessere Spieler.
ORF.at: Stichwort Clubs: Sollte man nicht auch auf die Vereine in Sachen Legionäre einwirken, um Österreichern mehr Chancen zu eröffnen?
Suhonen: Ich bin nicht an der Personalpolitik der Clubs interessiert. Mir geht es darum, bessere österreichische Coaches und Spieler auszubilden. Zwischen 15 und 20 Jahren ist die entscheidende Zeit. Wenn man da nicht gut arbeitet, ist es vorbei. Im Leben gibt es keine Wiederholungen. Das ist unser Schlüssel zur Entwicklung. Wir wollen nicht darüber nachdenken, wie viele Legionäre gibt es in der Liga, sondern wir wollen unsere eigene Kultur aufbauen. Dafür gibt es jetzt auch Geld. Das Ziel, auf Dauer in der A-Gruppe zu bleiben, können wir nur auf diesem Weg erreichen.
ORF.at: Wie sehr stört Sie Widerstand gegen Ihren Plan?
Ich habe das Gefühl, das ist auch irgendwie ein bisschen ein österreichisches Hobby, immer alles ein bisschen schlechtzureden. Das kritische und negative Denken überrascht mich immer. Dabei haben es andere Nationen vorgezeigt. Es ist kein mystische Geheimnis, wie es geht. Man braucht junge Spieler, Proficoaches, Quantität und Qualität. Wenn das Grundgerüst, das wir jetzt haben, mit Ligastruktur, Coachingausbildung und Trainingslager passt, dann beginnt dieser Prozess.
Das Gespräch führte Karl Huber, ORF.at
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