„Skisport ist und war meine Liebe“
Seinen Entschluss hat er schon vor zwei Wochen getroffen. Die Emotionen legten sich derweil. Und so wirkte Benjamin Raich gefasst, als er am 10. September im Wiener Uniqa-Tower seinen Abschied vom Profisport verkündete. ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel saß mit Tränen in den Augen daneben.
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„Ich werde heute einen Schritt nach vorne machen und als Skifahrer zurücktreten.“ Mit diesem Satz zog Raich einen Schlussstrich unter seine schillernde Karriere vor Dutzenden Journalisten, der gesamten ÖSV-Spitze und auch vor seiner Ehefrau Marlies Raich, die im Herbst das erste gemeinsame Baby erwartet. „Ich spüre - und mein Gefühl hat mich selten getäuscht -, dass das ein wichtiger und richtiger Schritt ist“, erzählte Raich, „deshalb kann ich auch so sehr locker und ruhig hier sitzen.“

GEPA/Philipp Brem
Marlies und Benjamin Raich bei der Pressekonferenz in Wien
Ziele aus den Augen verloren
Dabei habe er im Sommer noch hart trainiert, Raich ist fit („Besser denn je zuvor“) und wäre für eine weitere Saison bereit. Allein die Motivation fehlte. Umso näher die Saison rückte, desto bewusster wurde ihm das. „Wenn ich an die Rennen, an Sölden dachte, wurde mit klar, dass mir die Ziele fehlen. Und damit auch die Bereitschaft, richtige Spannung aufzubauen, richtig aus mir herauszugehen, um zu explodieren“ - was für Erfolge im Skirennsport notwendig sei.
Und so verabschiedete sich Raich nach 19 Jahren ins Familienleben - Jahre, in denen er laut Recherche von Uniqa-Mathematikern rund 46.000 Tore passierte und 830 Kilometer in durchgehend 14 Tagen Rennposition absolvierte. Pro Rennen soll er im Schnitt 32 Weltcup-Punkte erobert haben. Das ist beeindruckend und zeugt von der Konstanz des 37-Jährigen, der 36 Weltcup-Siege, drei WM- und zwei Olympiagoldmedaillen holte. Einmal gewann er den Gesamtweltcup, ein weiteres Mal vergab er ihn im Duell gegen Aksel Lund Svindal um historische zwei Punkte.
Erfahrungen fürs Leben
Raichs letzter Weltcup-Sieg sollte auch sein erster und einziger in einem Speed-Rennen sein. Im Februar 2012 siegte Raich im Super-G von Crans Montana. Und so war auch diese Lücke geschlossen. Ergo fiel ihm der Abschied nicht schwer. „Ich muss zufrieden und dankbar sein für das, was ich erreicht und erlebt habe. Ich hatte viele Erfolge, aber auch Misserfolge, die wichtig waren, um später erfolgreich zu sein. Diese Erfahrungen waren wichtig für meine Entwicklung. Der Skisport ist und war meine Liebe“, so Raich, der sich allen voran bei seiner Familie und nicht zuletzt bei seinem Mentor Schröcksnadel für die langjährige Unterstützung bedankte.

APA/Georg Hochmuth
Raich verließ sich bei der Entscheidung wie immer auf sein Gefühl
„Es braucht immer einen, der vorausläuft und einem zeigt, wo es langgeht“, so Raich. Das war für ihn Schröcksnadel. Bei seiner Dankesrede überkamen Raich doch Emotionen, er stockte. Schröcknadel gab die lobenden Worte zurück. „Es tut mir irrsinnig leid, dass er aufhört. Ich habe ihn immer geschätzt, sportlich und charakterlich. Irgendwann kommt aber der Zeitpunkt.“ Für einen Umschwung war es zu spät, Raich ließ sich nicht umstimmen - auch nicht von Schröcksnadel, der es versucht hatte, dabei aber anders als vor zwei Jahren erfolglos geblieben war. „Und das ist gut so“, sagte Schröcksnadel, „was gibt es Schöneres als gesund zurückzutreten.“
„Es war uns eine große Freude“
Schröcksnadel wurde noch emotionaler: „Ich bin kein stolzer Mensch, aber auf Benni bin ich stolz - als Mensch und als Rennfahrer - und ich wünsche ihm für sein weiteres Leben alles Gute. 19 Jahre im Spitzensport schafft normal nur ein Fußballgoalie. Dass Raich das im Skisport geschafft hat, ist eine großartige Leistung. Wir sind sehr glücklich, dass wir ihn im Team gehabt haben. Es war uns eine große Freude. Dafür sind wir dankbar“, sagte Schröcksnadel und umarmte Raich fest.
Die Tore beim ÖSV stünden ihm jederzeit offen. Allerdings hat Raich für die Zeit nach dem Sport noch keine Pläne, nur Ideen, die er nicht präzisierte. Erst wolle er sich eine Auszeit gönnen, um seine Karriere zu reflektieren, um durch zu schnaufen - bis zur Geburt seines Kindes, dem er nun mehr Zeit schenken kann.
Michael Fruhmann, ORF.at
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