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„Nicht nur 100, sondern 150 Prozent“

Wenn eine Frau in eine Männerdomäne einbricht, ist das selbst 2016 noch immer etwas Außergewöhnliches. In der Erste Bank Eishockey Liga (EBEL) ist es allerdings seit einem Jahr Usus, dass die Cracks auch nach der Pfeife einer Frau tanzen. Bettina Angerer sorgt als Lineswoman für Ordnung auf dem Eis. Die EBEL ist für die 25-Jährige ein weiterer Schritt zum großen Ziel: die Olympischen Spiele.

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Am 2. Oktober 2015 wurde in Graz ein Stück Eishockeygeschichte geschrieben. Angerer lief in ihrer Heimatstadt bei der Partie Graz 99ers gegen Olimpija Ljubljana als erste Schiedsrichterin auf das Eis und bereicherte damit ein Refereekorps, zu dem auch Schiedsrichter aus Kroatien, Slowenien, Italien, Ungarn und sogar Kanada gehören. Angerers Debüt stellte nicht nur für Österreich eine Premiere dar: Die damals 24-Jährige war die erste Frau überhaupt, die in einer obersten europäischen Spielklasse als Unparteiische im Einsatz war.

„Ich war den ganzen Tag über ziemlich nervös“, erinnert sich Angerer im Gespräch mit ORF.at an jenen Tag im Oktober zurück. Die Nervosität verflog aber spätestens mit dem ersten Bully. „Ich wurde von allen gut in Empfang genommen, und es hat kein Problem gegeben. Von meinem Gefühl her haben mich alle, Spieler und Trainer, sofort akzeptiert“, so die Steirerin. „Ich glaube, dass sich viele Länder nicht über diese Hürde drübertrauen, dass eine Frau bei den Männern pfeift. Ich hatte das Glück, dass man es in Österreich probiert hat.“

Olympische Spiele als Beweggrund

Eishockey spielt im Leben der jungen Grazerin schon von Kindesbeinen an eine große Rolle. Als Spielerin, zuerst mit den Buben, dann in Frauenteams, schaffte es die 25-Jährige sogar bis in nationale Auswahlen. Doch mit 18 entschied sich Angerer für einen Wechsel auf die andere, für viele Fans und Spieler „dunkle Seite“ der Eishockeywelt. „Ich habe schon, als ich jünger war, bei U8- und U10-Turnieren gepfiffen, und das hat mir getaugt“, so Angerer.

Schiedsrichterin Bettina Angerer

GEPA/Felix Roittner

Angerer gehört mittlerweile zum Stammpersonal der EBEL

Der Beweggrund für den Wechsel waren die olympischen Ringe. Denn von diesen war Österreichs Damenteam vor acht Jahren noch weit entfernt. „Olympia war so wie für jeden Sportler ein Traum von mir, und ich habe gesehen, dass es sich für mich im Eishockey nicht verwirklichen lässt. Daher habe ich mir gedacht, ich wechsle die Seite“, so Österreichs einzige EBEL-Schiedsrichterin. Ausreden wollte ihr diesen Schritt niemand: „Meine Familie und Freunde finden, dass es eine coole Sache ist.“

Angerer durchlief sämtliche Stationen der österreichischen Schiedsrichterausbildung. Im Herbst 2015 kam schließlich der Anruf von der EBEL. Mittlerweile pfeift die 25-Jährige in der obersten Männerliga ihre zweite Saison. Seit heuer hat die Grazerin mit der Slowenin Natasa Pagon sogar weibliche Unterstützung. Bei jedem Einsatz versucht Angerer, ihre Vorstellung vom perfekten Referee so gut es geht umzusetzen. Neben Regelkenntnis („Ohne Regeln wird man nicht überleben können“) ist es vor allem der Umgang mit den Spielern, der für Angerer in ihrem Job wichtig ist: „Man kann mit mir über Situationen reden.“

Emotionen gehören dazu

Und noch eines braucht ein Schiedsrichter, egal ob männlich oder weiblich: eine dicke Haut. Denn wenn Spieler ihrem Ärger über Entscheidungen freien Lauf lassen, dann hält man Kindern besser die Ohren zu. Angerer stört das nicht im Geringsten. „Wenn die Spieler der Meinung sind, dass es eine Fehlentscheidung war, dann schreien sie natürlich auch mit mir. Aber das sind die Emotionen, das nehme ich nicht persönlich. In einem Spiel gehören Emotionen dazu“, so die 25-Jährige.

Oft seien die emotionalen Ausbrüche der Spieler nur die Folge von Missverständnissen, so Angerer: „Wenn Spieler bei einer Entscheidung anderer Meinung sind, dann versuche ich, ihnen es zu erklären. Einerseits wie ich es gesehen habe, oder auch wie es die Regeln vorsehen. Es kommt vor, dass Spieler gewisse Regeln gar nicht kennen, und die sind dann froh, wenn man es ihnen erklärt. Differenzen gibt es immer wieder, und die gehören auch zu einem Spiel dazu. Damit muss man auch umgehen können, wenn man Schiedsrichter sein will.“

Schiedsrichterin Bettina Angerer zwischen zwei streitenden Spielern

GEPA/Michael Riedler

Wenn die Emotionen hochkochen, bewahrt Angerer (2. v. r.) einen kühlen Kopf

Dass manche Männer Entscheidungen einer Frau schwerer akzeptieren als die der männlichen Kollegen, verhehlt aber auch Angerer nicht. „Als Frau ist es sicher schwieriger, dass man sich den Respekt der Spieler verdient, das ist auch jetzt noch so“, so die Grazerin. Aber auch auf diesen Umstand war sie schon vor ihrem ersten Spiel vorbereitet: „Ich habe gewusst, ich muss nicht nur 100 Prozent, sondern 150 Prozent geben.“ Einschüchtern lässt sich Angerer aber nicht, auch bei Raufereien geht sie dazwischen: „Es ist immer ein Risiko, aber das ist es auch für die Männer.“

Lob vom Chef

Lob gibt es vom Chef. Gerhard Schiffauer, selbst jahrelang Schiedsrichter und jetzt Referee in Chief beim Österreichischen Eishockeyverband (ÖEHV), stellt Angerer ein gutes Zeugnis aus. Vor allem ihr schnelle Auffassungsgabe für die Situation ist für Schiffauer die größte Stärke seiner Kollegin. Angerer sei praktisch immer auf Augenhöhe mit dem Puck. „Sie kann das Spiel gut lesen und versteht die Situationen. Dadurch ist sie oft schon am Ort des Geschehens, bevor etwas passiert“, so der Schiedsrichterboss.

Trotzdem sieht Schiffauer, der im Brotberuf bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) für die Konzernsicherheit zuständig ist, auch bei Angerer noch Luft nach oben. Dem ehemaligen Referee ist die 25-Jährige in manchen Situationen noch zu ruhig, speziell beim Bully. „Bem Face-off darf sie ruhig noch energischer auftreten“, so Schiffauer im Gespräch mit ORF.at, „bei einigen störrischen Eseln kann sie sich manchmal nicht so durchsetzen.“

Kaum Platz für Freizeit

Um ihren Traum zu leben, investiert Angerer viel, vor allem Freizeit. Denn leben kann die 25-Jährige von ihrer Tätigkeit als Lineswoman nicht. 150 Euro plus Reisespesen gibt es als Trainee pro Einsatz. Anders als die Spieler sind die meisten Referees in Österreich keine Profis. Daher arbeitet Angerer in der Logistik eines Sportgeschäfts, auch um sich ihre Ausbildung zur medizinischen Masseurin und Heilmasseurin zu finanzieren. Während der EBEL-Saison bleibt da nicht viel Zeit, um ihrem Hobby - Eishockeyspielen bei den Devils Graz - nachzukommen.

„Ich glaube, dass es vielen Spielern gar nicht bewusst ist, was wir Schiedsrichter beruflich nebenbei machen. Es ist schon anstrengend, neben dem Beruf auch Schiedsrichterin zu sein. Aber man macht es gerne, dass man im Winter herumfährt und die Spiele leitet“, so Angerer, die laut eigener Aussage während einer EBEL-Saison locker auf 60 Arbeitsstunden pro Woche kommt: „Viele Spieler wissen sicher nicht, was wir alles leisten.“

Das Engagement der 25-Jährigen hat sich aber bereits bezahlt gemacht. Denn auch auf internationaler Ebene durfte sich Angerer bereits einen Namen machen. Neben der U18-WM im Vorjahr war die Grazerin auch bei der A-WM der Frauen 2016 im kanadischen Kamloops im Einsatz. Ihre wichtigste Dienstreise will Angerer in zwei Jahren zu Olympia in Pyeongchang antreten: „Mein Ziel ist es, 2018 in Südkorea als Lineswomen mit dabei zu sein“, so Angerer, die nicht der einzige österreichische Beitrag sein könnte. Auch das Damen-Nationalteam hofft bei der Qualifikation im Februar 2017 noch auf das Ticket, die Herren sind hingegen nur Zuschauer.

Karl Huber, ORF.at

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