Themenüberblick

„With the first pick“

Zehn Jahre ist es her, dass Commissioner Rodger Goodell in der Radio City Music Hall in New York diese Worte sprach: „With the first pick of the 2007 NFL draft the Oakland Raiders select Quarterback JaMarcus Russell, LSU.“ Der dreifache Super-Bowl-Sieger erhoffte sich mit dem damals 21-Jährigen eine goldene Zukunft und eine Rückkehr zu alten Erfolgen. Doch es kam anders.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Russells Karriere in der National Football League (NFL) war nach drei Jahren schon wieder beendet. Er gilt als einer der größten Fehlgriffe der NFL-Historie. Irrtümer wie dieser sind in der mittlerweile 81-jährigen Geschichte des Drafts keine Seltenheit. Sie sollten allerdings tunlichst vermieden werden, denn neben der Free Agency und Trades ist er die einzige Möglichkeit, ein schlagkräftiges Team auf die Beine zu stellen, um im Kampf um die Super Bowl mitzumischen.

Der Draft ist so ausgelegt, dass eine Chancengleichheit zwischen den Clubs garantiert ist. Das schlechteste Team der letzten Saison darf den ersten und im Normalfall auch besten Spieler wählen. 2007 ging das im Fall der Raiders ordentlich daneben. In diesem Jahr haben die Cleveland Browns, die im Jahr 2014 mit Johnny Manziel ebenfalls vor Kurzem erst danebengegriffen haben, den ersten Pick und die Chance, es diesmal besser zu machen.

Drei Tage lang feilschen und pokern

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag geht es los: Die erste Runde des 82. Drafts findet erstmals seit 56 Jahren wieder in Philadelphia und erstmals unter freiem Himmel statt. Auf den durch den Film „Rocky“ berühmt gewordenen Stufen vor dem Philadelphia Museum of Art wurde ein Freilufttheater errichtet, in dem an insgesamt drei Tagen 32 Teams in sieben Runden 253 Picks um die Toptalente von Universitäten und Colleges tätigen werden.

Tribüne für den NFL-Draft vor der Rocky Statue

AP/Matt Rourke

Rocky Balboa hat ein Auge auf den Draft der National Football League 2017

An diesen drei Tagen wird gefeilscht, gepokert und gebuhlt. Die Draft-Reihenfolge wird durch Trades zwischen den Teams über den Haufen geworfen, und damit gleichzeitig auch die unzähligen Mock-Drafts (Vorhersagen, welches Team welchen Spieler holen wird, Anm.) der NFL-Experten. Die Protagonisten selbst werden im Vorfeld gewogen und vermessen, ihre charakterlichen sowie athletischen Eigenschaften auf Herz und Nieren geprüft. Ziel der Prozedur ist es, die besten Spieler zu finden und ja keinen Fehler zu begehen.

Von „JaBustus“ und einem Buffalo-Irrtum

Und trotzdem passieren sie immer wieder. Die Spitze des Eisberges an Fehlgriffen stellt für viele Experten „JaBustus“ Russell dar, der, ohne je einen Ball in der NFL geworfen zu haben, bei den Raiders nach einigem Feilschen einen Sechsjahresvertrag mit einem Volumen von 61 Mio. Doller erhielt. Sieben Siege und 18 Niederlagen später war die Karriere von Russell auch schon wieder vorbei. Die Raiders waren um viel Geld ärmer und eine bittere Erfahrung reicher.

Das Team aus Kalifornien hätte auch den späteren Star-Receiver Calvin „Megatron“ Johnson, der als Nummer zwei von den Detroit Lions ausgewählt wurde, nehmen können. Runningbacks, die in der Folge jahrelang die Liga dominierten, wie Adrian Peterson oder Marshawn Lynch wären damals ebenso zu haben gewesen.

JaMarcus Russel (Raiders), 2007

AP/Paul Sakuma

Nach 18 Touchdowns und 23 Interceptions kam das Aus für JaMarcus Russell

So wie Oakland wurden auch die Buffalo Bills von der Geschichte eines Besseren belehrt. Im Draft 2004 waren mit Eli Manning, Philip Rivers und Ben Roethlisberger drei vielversprechende Quarterbacks schon vergeben. Die Bills entschieden sich in der ersten Runde für Receiver Lee Evans, verkauften anschließend ihren Erstrundenpick für 2005 und wählten an der 22. Stelle Quarterback J. P. Losman, der sich danach als Flop erwies. Hätte Buffalo seinen Toppick für 2005 behalten, hätten sie die Chance auf Aaron Rodgers gehabt, der fünf Jahre später Green Bay zum Titel in der Super Bowl führte.

Nicht jeder hat das Zeug zum Star

Während Fehlgriffe im Draft oft Quarterbacks betreffen, haben die New Orleans Saints im Jahr 1979 mit ihrer Wahl von Russell Erxleben an Position elf für eine Anekdote gesorgt. Nur einmal zuvor (1966 Charlie Gogolak, Nummer sechs) und nie mehr danach wurde ein Kicker höher gedraftet. Erxleben hätte als Punter und Kicker spielen sollen, verwertete aber nur vier Field Goals. In seinem ersten Spiel konnte Erxleben den Snap nicht fangen, warf eine Interception und besiegelte damit die 34:40-Niederlage gegen Atlanta. Die restlichen fünf Jahre seiner Karriere verbrachte er als Punter.

Russell Erxleben

APA/AP/Jerry Lodriguss

Als Kicker konnte sich Russell Erxleben in der NFL nicht etablieren

Während Erxleben auf seiner Visitenkarte ein Field Goal aus 67 Yards für die Universität von Texas mit in den Draft brachte, ließen sich die Raiders 2007 von der Wurfstärke von JaMarcus Russell blenden. An die 80 Yards soll der Ex-Quarterback fähig gewesen sein zu werfen. Zu oft wird jedenfalls das Hauptaugenmerk auf körperliche Vorzüge gelegt. Die Kunst des Draftens besteht aber darin, Talente zu finden, die zu Stars werden.

Der größte „Steal“ aller Zeiten

Diese „Juwelen“ gibt es nicht selten auch erst in späteren Runden zu finden, oder sie werden überhaupt gänzlich im Draft übersehen. Wahre Meister im Ausgraben von Football-Rohdiamanten sind die Patriots, denen der berühmteste „Steal“ der Draft-Geschichte gelang.

Im Jahr 2000 wählte New England einen gewissen Thomas Edward Patrick Brady Jr. an der 199. Stelle und als insgesamt siebenten Quarterback dieser Draft-Klasse. Während Brady mit New England im Februar den fünften NFL-Titel holte, blieben Quarterbacks wie Giovanni Carmazzi, Chris Redman oder Tee Martin, die alle weit vor Brady ausgewählt wurden, nur eine Randnotiz in der NFL-Historie.

Tom Brady, 2000

AP/Carlos Osorio

Die große Karriere von Tom Brady war im Jahr 2000 noch nicht zu erahnen

An 232. Stelle entschieden sich die Patriots im Jahr 2009 für Julian Edelman, mittlerweile die verlässlichste Anspielstation für Brady. Aber auch die Seattle Seahawks bewiesen 2011 mit Cornerback Richard Sherman (154. Position) und Quarterback Russell Wilson (75.) ein gutes Händchen. Wilson wurde aufgrund seiner Körpergröße von nur 1,80 Metern von vielen Clubs gemieden und von Seattle auch nur nach Intervention des Teambesitzers gedraftet. Auch Antonio Brown, aktuell wohl bester Receiver der NFL, wurde 2010 nur an der 195. Stelle von Pittsburgh ausgewählt.

Über die Hintertür in die NFL

Während diese Spieler schon im Draft zumindest den Sprung in die NFL schafften, betraten andere die Liga still und leise durch die Hintertür. Dass sich darunter auch zukünftige Topstars, Super-Bowl-Sieger und Hall-of-Fame-Spieler befinden, hat die Geschichte schon mehrmals bewiesen. So kam etwa Larry Little 1967 ungedraftet zu den Miami Dolphins und wurde später zu einem Schlüsselspieler in jenem Team, das 1972 die perfekte Saison gelang.

Für Warren Moon, der als Afroamerikaner nicht dem klassischen Quarterback entsprach, interessierte sich 1978 kein Team. Moon kam über den Umweg der Canadian Football League, in der er fünf Titel gewann, erst sechs Jahre später in die NFL. Die Houston Oilers führte er siebenmal ins Play-off, warf 1990 und 1991 die meisten Yards aller Quarterbacks und wurde neunmal in Pro Bowl gewählt. Erst im Jahr 2000 beendete Moon seine Karriere bei den Kansas City Chiefs.

Warren Moon (Oilers), 1990

AP/David Scarbrough

Warren Moon glänzte von 1984 bis 1993 im Dress der Houston Oilers

Romo und Warner wollte keiner haben

Die Patriots holten 1996 Adam Vinatieri aus Amsterdam. Dreimal holte der Kicker in der Folge die Super Bowl und erzielte dabei zweimal das entscheidende Field Goal. Runningback Priest Holmes wollte 1997 im Draft ebenso kein Team haben wie Linebacker-Ikone James Harrison, der später mit Pittsburgh zweimal die Vince Lombardi Trophy stemmte. Auch für Quarterback Tony Romo, der vor wenigen Wochen nach 14 Jahren bei den Dallas Cowboys seine Karriere beendet hat, sowie Tightend-Legende Antonio Gates interessierte sich in den Drafts 2003 und 2004 kein Team.

Und dann gibt es auch noch Kurt Warner, dessen Werdegang wohl die größte Aschenputtel-Story der NFL-Geschichte ist. 1994 von den Packers nicht unter Vertrag genommen, arbeitete Warner danach in einem Supermarkt, spielte für die Iowa Barnstormer in der Arena Football League und für die Amsterdam Admirals in der NFL Europa. 1998 kam er zu den St. Louis Rams. Eine Verletzung von Trent Green machte ihn zum Starter. Was folgte, waren zwei MVP-Titel, der Super-Bowl-Triumph im Februar 2000, mehrere Rekorde und als Krönung die Aufnahme in die Hall of Fame 2017. Erfolge, von denen JaMarcus Russell nur träumen darf.

Link: