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„Stunde null absolut nicht nötig“

Das unsensible Vorgehen in der Causa Teamchef fliegt dem Österreichischen Fußballbund (ÖFB) dieser Tage mit voller Wucht um die Ohren. Nicht nur ist die Art und Weise, wie das Ende der Ära Marcel Koller beschlossen und publik wurde, zum Bumerang für ÖFB-Boss Leo Windtner und die in der sportlichen Krise wieder laut gewordenen Landespräsidenten geworden. Auch die Diskussionen um Sportdirektor Willi Ruttensteiner offenbaren diverse Indiskretionen und stören die Mannschaft.

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Diesbezüglich hielt am Donnerstag in der ÖFB-Pressekonferenz in Wien auch Teamkapitän Julian Baumgartlinger mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. „Freimachen kann man sich von diesen Themen nicht“, sprach der Leverkusen-Legionär Klartext. „Was der Verband und wir als Mannschaft jetzt brauchen, sind klare, schnelle Entscheidungen“, betonte Baumgartlinger im Hinblick auf die Nachfolge Kollers und die in diversen Medien verbreiteten Gerüchte, wonach auch Ruttensteiner vor der Ablöse steht und mit Peter Schöttel sogar schon ein Nachfolger feststehen soll.

ÖFB-Abschlusspressekonferenz aus Wien

Teamchef Marcel Koller und Teamkapitän Julian Baumgartlinger nehmen Stellung zu den letzten Entwicklungen rund um das Nationalteam.

Nach dem WM-Qualifikationsspiel gegen Serbien am Freitag (20.45 Uhr, live in ORF eins) müsse schnellstens gehandelt werden - und zwar im Sinne der Mannschaft und ihrer sportlichen Entwicklung. „Sonst sehe ich den Lehrgang im November und die Zukunft des Teams in Gefahr“, sagte Baumgartlinger. „Kluge Lösungen sind jetzt elementar“, fügte der 56-fache Internationale hinzu. Dass die Partie gegen die Serben bei all den öffentlichen Diskussionen fast zur Nebensache gerät, ist für Baumgartlinger „mehr als schade“.

Windtners Zugeständnisse an Ruttensteiners Feinde

Wie schon Marc Janko und Marko Arnautovic in den Tagen davor brachte auch der 29-jährige Mittelfeldabräumer klar zum Ausdruck, dass er mit Kollers Abschied und der im Raum stehenden Ablöse Ruttensteiners alles andere als glücklich ist. „Diese Stunde null, die jetzt offenbar bevorsteht, ist absolut nicht notwendig“, richtete Baumgartlinger den Entscheidungsträgern aus, welche Gremien das auch immer seien. Und da traf der Kapitän den Punkt: Denn offenbar ist man im ÖFB derzeit so weit gekommen, dass die Präsidenten der Landesverbände dem ÖFB-Präsidenten so einiges diktieren dürfen.

Willi Ruttensteiner und Marcel Koller

APA/Robert Jäger

Für Koller naht das Ende im ÖFB, für Ruttensteiner könnte es das ebenfalls

Spätestens seit der Wiederwahl Windtners, die dieser nur durch weitreichende Zugeständnisse an die „Landesfürsten“ durchbrachte, gärte und brodelte es in der Gerüchteküche. Immer wieder meldeten sich regionale Funktionäre öffentlich zu Wort, wie und mit welchem Trainer es im Team weiterzugehen habe. Und Ruttensteiner dürfte dem einen oder anderen auch ein Dorn im Auge sein. „Was hat Willi Ruttensteiner verbrochen?“, sagte Janko zu Recht über jenen Mann, der dem ÖFB in den letzten zehn Jahren ein erfolgreiches sportliches Konzept verpasste und zudem Erfolge in allen Altersgruppen bei Männern und Frauen vorzuweisen hat.

Indiskretionen machen es schwer

Dabei ist es offenbar das alte, längst schon überwunden geglaubte Thema gekränkter Eitelkeiten und persönlicher Befindlichkeiten: Die Tatsache, dass sich der eine oder andere Landespräsident bei der einen oder anderen Entscheidung Ruttensteiners übergangen gefühlt hat, holt den ÖFB jetzt wieder ein. Die Bestellung Kollers und damit die erfolgreiche Qualifikation für die EM 2016 war Ruttensteiners Verdienst. Er brachte den Schweizer gegen breite Opposition ins Teamchefamt. Im Erfolgsrun des Teams unter Koller schwiegen die Gegner. Nun kamen sie wieder aus der Versenkung.

Dank des Oberösterreichers habe es „in den letzten Jahren so viel Entwicklung wie noch nie“ gegeben. „Das kann man gar nicht schwer genug aufwiegen“, meinte Baumgartlinger über Ruttensteiner. „Und er hat mit Koller immer die richtigen Worte gefunden.“ Dabei zeigte der Teamkapitän durchaus Verständnis dafür, dass nach den jüngsten sportlichen Rückschlägen Personaldiskussionen geführt werden. „Das ist normal, aber die Indiskretionen machen es so schwierig“, sagte Baumgartlinger. Über diese Angelegenheit unterhielt er sich zuletzt auch mit ÖFB-Präsidenten Windtner. „Er weiß, was wir brauchen, um möglichst schnell wieder ohne Fragezeichen Fußball zu spielen.“

Team braucht Ruhe und Kompetenz für hohe Ziele

„Er hat viel für das Team und für den sportlichen Unterbau geleistet“, sagte Baumgartlinger noch über die Arbeit des offenbar angezählten ÖFB-Sportdirektors. „Seine Analysen waren top auf den Punkt“, betonte er bezüglich der auch auf Ruttensteiners Fachkenntnis aufgebauten Matchvorbereitungen von Teamchef Koller. Was geschehen ist, könne man nicht mehr ändern, so Baumgartlinger. „Aber jetzt muss wieder Ruhe einkehren, damit wir Erfolg haben können. Wir wollen gemeinsam etwas erreichen. Wir müssen alle an einem Strang ziehen, anders geht es nicht.“

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Die mögliche Aufstellung Österreichs gegen Serbien

Das erste Ziel der Mannschaft formulierte Baumgartlinger gleich für das Duell mit Gruppenleader Serbien: „Wir wollen drei Punkte holen, dieses Spiel gewinnen - um uns eine bessere Ausgangsposition für die Nations League nächstes Jahr zu verschaffen und um unsere Fans zu versöhnen“, so der Teamkapitän. Dass die Serben mit einem Erfolg in Wien schon das WM-Ticket lösen können, müsse kein Nachteil sein. „In ihren Köpfen wird sich einiges abspielen“, so Baumgartlinger. „Und wir werden topvorbereitet sein.“ Das Happel-Stadion wird ein Hexenkessel sein. 40.000 Karten waren bis Freitag verkauft, davon deutlich mehr an Serben.

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