Beängstigend stark und jung
Jung, talentiert, erfolgreich: Die neuen französischen Weltmeister könnten den internationalen Fußball wie zuletzt Spanien über Jahre hinweg prägen. Orientieren sich Kylian Mbappe, Antoine Griezmann, Paul Pogba und Co. am ewig erfolgshungrigen Didier Deschamps, scheint alles möglich. Der Erfolgstrainer will weitermachen, sieht seine Mannschaft noch nicht im Zenit. In zwei oder vier Jahren (EM 2020, WM 2022) erreiche seine Equipe ihre ganze Stärke, betonte Deschamps bei der WM mehrfach.
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„Diese Mannschaft hat eine Zukunft für die nächste EM und die nächste WM“, pflichtete der Ex-Teamchef Raymond Domenech bei. Abgebrüht, fast listig agierten die Franzosen in entscheidenden Momenten, als es um alles ging. Dabei war es das mit im Schnitt 26 Jahren und 90 Tagen jüngste WM-Finalteam seit Argentinien 1978, das am Rasen die erfahreneren Kroaten im spektakulären Endspiel besiegte. Das Credo, das Deschamps dem Team einbläute: „Lasst nie nach, lasst nie die Zügel schleifen“, verriet Deschamps am Ende.

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Paul Pogba ist ein Exzentriker, ordnete sich unter Deschamps aber wie seine Kollegen dem Teamgedanken unter
Lange Liste von Topspielern mit Zukunft
Griezmann, neben Mbappe vielleicht das Gesicht dieser WM-Generation, ist 27 Jahre alt. Er ist damit einer der älteren im Team. Mbappe ist mit neunzehneinhalb Jahren der Jüngste, auch er traf im Endspiel. Und sagte danach: „Weltmeister zu sein ist schon eine Botschaft, aber ich will noch besser werden.“ Pogba, dem sein 105-Millionen-Euro-Preisschild bei Manchester United manchmal zu schwer wiegt, war einer der Väter des französischen Sommermärchens. Auch er ist erst 25 Jahre alt.
Abwehrchef Raphael Varane - für manche Frankreichs Bester in Russland - ist 25, Nebenmann Samuel Umtiti 24. Weitere Stützen: N’Golo Kante (27), Lucas Hernandez (22), Benjamin Pavard (22). Dahinter lauern Ousmane Dembele (21), Thomas Lemar (22) und Torhüter Alphonse Areola (25). Die Liste könnte fortgeführt werden. Deschamps hatte bei der Kadernominierung auf prominente Namen verzichtet - und alles richtig gemacht. „Individualisten machen den Unterschied, aber das Kollektiv ist wesentlich für den langfristigen Erfolg“, erklärte der Coach. „Talent ist nicht genug auf dieser Ebene. Es ist Mentalität, die ein Team Berge versetzen lässt.“

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Antoine Griezmann führt die „Equipe Tricolore“ gemeinsam mit Keeper und Kapitän Hugo Lloris an
Der 49-jährige Trainer ahnt, dass er mit der gefundenen Truppe länger erfolgreich sein kann. „Ich mache nicht alles wie Jacquet“, sagte er in der Nacht auf Montag. Der Trainer Aime Jaquet hatte nach dem WM-Erfolg 1998 nicht weitergemacht. Er stehe für Kontinuität und habe einen bis 2020 laufenden Vertrag, den er erfüllen wolle. „Es ist vorgesehen, dass ich bleibe, also bleibe ich.“ Ihre jugendliche Leichtigkeit zeigte die neue Goldgeneration beim Feiern des Triumphs. Singend und tanzend stürmte sie um Spaßvogel Pogba die Pressekonferenz ihres Trainers. Sie seien ein bisschen verrückt, meinte Deschamps grinsend. Fast schon väterlich verständnisvoll fügte er hinzu: „Sie sind jung und sie sind glücklich.“
Mbappe steigt in Liga der Superstars auf
Mbappe jedenfalls drückte der WM trotz seiner 19 Jahre den Stempel auf. Seine pfeilschnellen Antritte stellten die gegnerischen Abwehrspieler ein ums andere Mal vor unlösbare Probleme. Mit dem Doppelpack gegen Argentinien im Achtelfinale und seinem Finaltor gegen Kroatien trug er sich in die Geschichtsbücher ein. Erstmals seit Pele 1958 gelang es einem Teenager, sich bei einer WM derart in Szene zu setzen. Der mittlerweile 77-jährige Brasilianer überlegte via Twitter augenzwinkernd ein Comeback. „Wenn Kylian weiter meine Rekorde einstellt, muss ich vielleicht meine Stiefel entstauben.“

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Wie der sprichwörtliche geölte Blitz sprintete Kylian Mbappe auch bei der WM über den Platz
Vergleiche mit Pele wies Mbappe im Verlauf des Turniers höflich, aber bestimmt zurück. „Pele ist eine andere Kategorie, aber es ist schmeichelhaft, zu diesem Club zu gehören.“ Der Aufstieg des Angreifers von Paris St. Germain kommt nicht ganz überraschend. Bereits im vergangenen Sommer verpflichtete PSG den damals 18-Jährigen vom AS Monaco. Die Ablösesumme von 180 Millionen Euro wurde erst nach dieser Saison fällig, weil Paris nach dem Neymar-Transfer um 222 Millonen Euro die Financial-Fairplay-Regularien nicht umgehen wollte. Nun erfüllte der nunmehr jüngste französische Weltmeister bereits bei seinem ersten Großereignis die Hoffnungen.
Rasante Entwicklung nach oben
Nach 22 Länderspielen (acht Tore, fünf Assists) erklomm Mbappe den Thron. Er hat noch viel vor. Sinnbildlich für seinen rasanten Auftritt in Russland steht sein Sprint mit einer Spitzengeschwindigkeit von 32,4 km/h im Achtelfinale gegen Argentinien, mit dem er einen Elfmeter provozierte. Viele sehen eine Wachablöse eingeläutet. Mit Lionel Messi und Cristiano Ronaldo verabschiedeten sich die zwei Topstars des vergangenen Jahrzehnts im Achtelfinale voraussichtlich von der WM-Bühne. Auch Mbappes Clubkollege Neymar konnte das Viertelfinal-Aus seiner Brasilianer gegen Belgien nicht verhindern. Zusätzlich musste sich der teuerste Spieler aller Zeiten auch viel Spott wegen seiner schauspielerischen Einlagen gefallen lassen.
Mbappe wiederum stammt aus dem Pariser Vorort Bondy. Die Kommune gilt als eine der ärmsten in ganz Frankreich. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 19 Prozent (landesweit durchschnittlich 8,9). Dass nun einer der ihren so maßgeblich am zweiten Titel für die „Equipe Tricolore“ beteiligt gewesen ist, freute die Bewohner natürlich sehr. „Wir haben einen Weltmeister aus Bondy“, jubelte der Präsident des lokalen Fußballclubs, bei dem auch Mbappe seine ersten Bälle getreten hatte. „Es ist fünf Jahre her, dass er bei uns war. Danke Kylian“, freute sich Athmane Airouche.
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