Große Hoffnungen im Krisengebiet
Nach dem Zuschlag für die WM 2018 sorgt Russlands Fußball weiter für Schlagzeilen: Der tschetschenische Club Terek Grosny verpflichtete die niederländische Fußballikone Ruud Gullit als Trainer. Der Wechsel ins frühere Kriegsgebiet hat auch eine politische Dimension.
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Allerdings begann Anfang Februar das „Abenteuer Tschetschenien“ für Gullit vorerst in der Türkei. Dort bereitet sich seine neue Mannschaft auf die höchste russische Spielklasse vor. Nach seiner überraschenden Entscheidung für den Trainerjob im ehemaligen Kriegsgebiet wollte sich der 48-Jährige in Moskau der Presse vorstellen - doch das Visum traf nicht rechtzeitig ein.
Sowohl in Moskau als auch in Grosny erhofft man sich viel von der Verpflichtung Gullits, der 1988 mit den Niederlanden den EM-Titel holte und zweimal mit dem AC Milan den Landesmeister-Pokal (1989, 1990) gewann. Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow will nach dem Blutvergießen der Kriege das Negativimage der Unruheregion abschütteln - da kommt der einstige Weltfußballer und Europameister Gullit als Werbeträger gerade recht.
„Seltsame Fügungen“
„1988 wurde Gullit gegen die Sowjetunion Europameister, heute trainiert er Grosny. 1987 widmete er seinen Titel als Weltfußballer dem politischen Häftling Nelson Mandela, heute arbeitet er mit Ramsan Kadyrow“, kommentierte die russische Zeitung „Sport Express“ den Transfer. Es gebe im Leben „schon seltsame Fügungen“. Kadyrow ist nicht nur Präsident der tschetschenischen Teilrepublik, sondern auch von Gullits neuem Club Terek. Menschenrechtler werfen dem 34-Jährigen Staatsterror vor, doch für seine persönliche Beteiligung an Folter oder gar Mord fanden sich bisher keine Beweise.
Auch in Österreich ist Kadyrow kein Unbekannter. Im Wiener Mordfall des regierungskritischen Asylwerbers Umar Israilow bestritt Kadyrow jede Beteiligung. Berichte über seine angebliche Verwicklung in die Bluttat vom 13. Jänner 2009 seien „Unsinn und Lüge“, sagte Kadyrow am Montag in Russland der Agentur Interfax.
Die Latte liegt hoch
Für Gullit, der als Trainer kaum Erfolge vorzuweisen hat und dessen letzte Station 2008 bei Los Angeles Galaxy endete, liegt die Latte in dem Land, das noch immer an den Folgen des Krieges leidet, hoch: Die Vereinsspitze gab einen Europacup-Startplatz als Saisonziel aus. In der letzten Saison beendete Grosny die russische Meisterschaft als Zwölfter unter 16 Teams.
Terek darf erst seit 2008 seine Heimspiele wieder daheim austragen. Seit den Tschetschenien-Kriegen in den 90er Jahren musste der Club zum Teil in Stadien und Städte ausweichen, die Hunderte Kilometer entfernt lagen. Nach dem Gewinn des russischen Cups 2004 musste der Verein aus dem Nordkaukasus im Europacup sogar in die mehr als 1.000 Kilometer entfernte Hauptstadt Moskau ausweichen.
Unterstützung von Hiddink und Cruyff
„Ich war schon in Ländern, die weitaus gefährlicher und ärmer waren, wo Menschen im Müll gelebt haben. Und ich habe gesehen, wie der Fußball ihnen Stolz gegeben hat“, erklärte Gullit seine Beweggründe.
In seiner Heimat hat die Entscheidung Gullits, der zuletzt als Chef der niederländisch-belgischen EM-Bewerbung tätig war, teilweise Kopfschütteln und Unverständnis ausgelöst. Doch Unterstützung erhielt er von seinem Landsmann Guus Hiddink, von 2006 bis 2010 Trainer der russischen Nationalmannschaft.
Auch Johan Cruyff kann den Wechsel verstehen: „Das erinnert mich daran, als ich mich 1973 entschlossen habe, für den FC Barcelona zu spielen. Da warfen mir Kritiker vor, in einer Diktatur unter General Franco zu spielen“, so der 63-Jährige in der Tageszeitung "De Telegraaf. „Doch viele Leute unterschätzen die Macht des Sports, die manchmal auch die Kraft gibt, Dinge zu ändern“, so Cruyff weiter.
„Lebensfreude zurückbringen“
Gullit argumentierte in der niederländischen Tageszeitung „De Volkskrant“ ähnlich: Auch bei der WM 1978 in Argentinen habe es Diskussionen gegeben, da Argentinien seit 1976 unter der Herrschaft einer Militärdiktatur gestanden sei. „Das ist genau das Gleiche“, so Gullit. „Aber ich will mit Politik nichts zu tun haben. Ich konzentriere mich auf den Sport und will den Leuten ein kleines Stück Lebensfreude zurückbringen.“
„Da ist ein junger Spieler im Team, der noch nie gelacht hat. Betreuer erklärten mir, dass er wegen des Krieges zehn Jahre in einem Bunker gelebt hat. Ich habe ihn mit einem Kompliment zum Lächeln gebracht. Das ist schön - und die andere Seite der Geschichte“, erklärte Gullit weiter.
Mannschaft ohne Stars
Terek ist eine Mannschaft ohne Stars, aber das soll sich ändern. Zum Saisonstart gegen Meister Zenit St. Petersburg wird im März bereits ein neues Stadion für 30.000 Besucher eröffnet. Das Geld dafür - und auch indirekt Gullits Grundgehalt von angeblich 3,7 Millionen Euro - kommt aus Moskau: Rund 80 Prozent des Budgets bezieht Tschetschenien aus dem Staatshaushalt. Die russische Liga sei „stärker als die niederländische Liga“, meinte Gullit. Jedenfalls sei das Geld „nicht ausschlaggebend“ gewesen für seine Entscheidung.
Etwas anders klingt da der Kommentar seiner Ehefrau Estelle, die gegenüber dem niederländischen Magazin „Miljonair“ sagte: „Sicher bekommt Ruud viel Geld. Wie viel, kann ich nicht sagen. Aber es geht um Millionen“, sagte die Nichte von Cruyff. So ein Angebot könne man nicht ablehnen: „Die Alternative wäre ein 48-jähriger Mann, der auf der Couch herummlümmelt. Das will keiner“, meinte sie. Sie werde außerdem nicht nach Tschetschenien übersiedeln.
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