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Der letzte Gladiator

226 Tore - und alle für AS Roma. Francesco Totti ist einer jener wenigen Profis, die ihr Leben lang einem Club treu blieben. Vor 20 Jahren gab er als 16-Jähriger aus dem Süden in der „ewigen Stadt“ sein Debüt für AS Roma. Heute ist Totti Weltmeister, Rekordtorschütze und mit 36 Jahren noch immer Hoffnungsträger einer ganzen Stadt.

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Die Überraschung war präzise geplant: Sämtliche Mitarbeiter des Vereins sollten den Weg ins Trainingszentrum säumen, um den Kapitän in Empfang zu nehmen. Ihren Kapitän Totti. Beim Eintreffen wurde „Il Capitano“ mit Applaus, Jubel und Transparenten begrüßt. Drei Tage zuvor hatte er mit seinem 224. Tor in der italienischen Serie A den Siegestreffer gegen Juventus Turin erzielt und die Hoffnungen einer ganzen Stadt beflügelt: Hoffnungen, wieder im Konzert der ganz großen mitspielen zu können, Träume von Titeln, Triumphen und - auch davon wird in Rom fantasiert - Tragödien.

Francesco Totti steht sinnbildlich für alle drei dieser Sehnsüchte. Kein anderer Fußballer wird in der „ewigen Stadt“ so verehrt wie er, kaum ein anderer Fußballer polarisiert außerhalb Italiens mehr als „Er Pupone“, das „Große Baby“. Bei seinem ersten Spiel für die Roma war er sogar noch beinahe eines. Am 28. März 1993 wurde Totti als 16-Jähriger in Brescia vier Minuten vor Schluss eingewechselt. Drei weitere Einsätze folgten in seiner ersten Saison, für sein erstes Tor musste er aber noch knapp eineinhalb Jahre warten.

Toptorschützen der Serie A

Silvio Piola (Lazio/274 Tore)
Francesco Totti (Roma/226)
Gunnar Nordahl (AC Milan/225)
Giuseppe Meazza (Inter/216)
Jose Altafini (Milan/216)
Alessandro Del Piero (Juventus/208)Roberto Baggio (Juventus/205)
Kurt Hamrin (Fiorentina/190)
Giuseppe Signori (Lazio/188)
Gabriel Batistuta (Fiorentina/184)

226 Tore für einen Club

Seit vorvergangener Woche ist der nunmehr 36-Jährige der beste aktive Torschütze der Serie A. Nach dem Sieg gegen Juventus gelang ein 3:1-Erfolg gegen Nachzügler Genoa. Totti traf. Danach besiegte Roma Parma mit 2:0 - Totti besorgte das zweite Tor. Es war sein 226. Treffer in der Liga, und er erzielte sie alle für seinen geliebten Club.

Dass Totti sein Erstligadebüt überhaupt in Rom gab, ist der Legende nach seiner Mutter Fiorella zu verdanken. Sie soll im Jahr 1989 Scouts des reichen AC Milan aus der Familienwohnung verscheucht haben. Für ihren Sohn komme nur ein Club in Frage - die „Giallorossi“, die Gelb-Roten.

Gabriel Batistuta (Roma), Michael Konsel, Francesco Totti (Roma)

GEPA/Phillip Graf

Michael Konsel 2001 mit seinen Ex-Kollegen Totti (r.) und Gabriel Batistuta (l.)

Nach seinen ersten Gehversuchen in der Serie A mauserte sich Totti schnell zu einer fixen Größe im Kader. In der Saison 1998/99 brachte er es auf vier Tore. Einer seiner damaligen Mannschaftskollegen war Michael Konsel. Der 43-fache ÖFB-Teamtorhüter war 1997 von Rapid zu den Römern gewechselt und erlebte Totti in seiner jungen Blüte. „Ich war beeindruckt, wie er das weggesteckt hat. Man muss sich vorstellen, dass er sich inmitten von Fußballgrößen wie Aldair oder Cafu durchgesetzt hat“, erinnert sich Konsel im Gespräch mit ORF.at.

„Ein einfacher Römer aus einfachen Verhältnissen“

Seit seinem Karriereende organisiert Konsel unter anderem Fanreisen nach Rom, nutzt freundschaftliche Bande zum Club, um Österreichern das Erlebnis des italienischen Fußballs nahezubringen. Noch immer genießt Konsel große Wertschätzung in Rom. „La pantera“, der Panther, wird er dort genannt. Konsel kann nachvollziehen, was es heißt, ein Topspieler in Rom zu sein: Kein Schritt bleibt unbeobachtet, jede Handlung wird genauestens beäugt, und sportlich herrscht Druck wie sonst selten in Italien.

Ein Erlebnis, das für junge Spieler mitunter zerstörerisch enden kann: „In Rom alleine erscheinen sieben Fußballzeitungen. Ich bin als erfahrener Spieler hingekommen und konnte damit umgehen. Aber viele Junge sind da zerbrochen. Totti ist sich treu geblieben. Ein einfacher Römer aus einfachen Verhältnissen - keine Allüren“, erzählt Konsel.

Tottis Karriere nahm nach Konsels Abschied 1999 erst richtig Fahrt auf: In der folgenden Saison erzielte Totti sieben Tore, wurde Nationalspieler - und stieß mit der „Squadra Azzurra“ prompt ins Finale der Europameisterschaft 2000 ein. Im Endspiel im Rotterdamer De Kuip unterlag Italien Frankreich nach Verlängerung. Doch mit Totti war ein neuer Stern aufgegangen.

Francesco Totti mit Cup-Pokal

Reuters

2001: Totti holte mit Roma Titel, Cup und danach den Supercup

Tottis erstes Meisterstück im Jahr 2001

Das erste Meisterstück gelang Totti in der Saison danach: 13 Tore trug er, mittlerweile zum „Trequartista“, dem zentralen Spielmacher der Mannschaft aufgerückt, zur Meisterschaft 2001 bei. Es war erst der dritte Titel der „Giallorossi“ nach 1942 und 1983 - und Totti hatte seinen Platz als römische Gottheit fixiert. In der darauf folgenden Spielzeit wäre der „Assoziazione Sportiva“ beinahe der zweite Streich in Folge gelungen - am Ende fehlte nur ein Punkt auf Juventus.

Bei der Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea setzte es den ersten Tiefschlag für Totti: Er flog in der Verlängerung des Achtelfinales gegen Südkorea mit einer umstrittenen Gelb-Roten Karte vom Platz, Italien schied wenige Minuten später aus - wie im Finale der EM 2000 nach einem Golden Goal. Eine Enttäuschung. Der Tag der großen Schande sollte für Totti aber erst kommen.

Tag der Schande : Das „italienische Lama“

Bei der EM 2004 in Portugal trennte sich Italien im ersten Gruppenspiel 1:1 von Dänemark. TV-Kameras hatten Totti aber während des Spiels dabei gefilmt, wie er dem Dänen Christian Poulsen ins Gesicht spuckte. Dreimal. Totti wurde für drei Spiele gesperrt, Italien schied ohne seinen Spielmacher in der Vorrunde aus und Totti wurde europaweit zum italienischen „Lama“.

„Das ist nicht der echte Francesco“, war Totti nach seinem Ausraster schockiert. Auch Ex-Teamkollege Konsel kann sich den Fauxpas bis heute nicht erklären: „Er hätte so was nie nötig gehabt. Er ist auch überhaupt nicht der Typ dafür. Er ist ein ruhiger Mensch. Aber bei einem Topspieler, der in jedem Spiel nur auf die Knochen bekommt, ist vielleicht einmal der Punkt erreicht.“

Neben Tottis Verfehlung auf dem Platz machte sich der Boulevard auch über dessen angeblich mangelnde Intelligenz abseits des Spielfeldes lustig. Statt exakter blinder Pässe, Kunstschüssen, Tempodribblings und Torvorlagen wurde plötzlich der Charakter des „Königs von Rom“ („Il Re di Roma“) thematisiert.

Francesco Totti mit WM-Pokal

APA/EPA/Daniel Dal Zennaro

Nach dem Wadenbeinbruch folgte der WM-Titel 2006 in Deutschland

Triumph nach der Tragödie

Totti ging gestärkt aus dem Karrieretief hervor. Die WM 2006 war für ihn, dem bis dahin nur acht Tore in 43 Länderspielen gelangen, das große Ziel. Er ordnete dem Erfolg alles unter: Interviews reduzierte Totti auf ein Minimum, auf die Intelligenz-Kampagne antwortete er mit zwei Scherzbüchern. Inhalt: Witze über Totti. Die Bücher schafften es in die Bestsellerlisten, den Reinerlös spendete er für die Kinderhilfe.

Doch dann der nächste Tiefschlag: Im Februar 2006, 113 Tage vor Beginn der WM in Deutschland, verletzte sich Totti nach einem taktischen Foul schwer: Wadenbeinbruch. Eine ganze Fußballnation stand am Krankenbett, sorgte sich um Totti. Täglich wurden Szenarien gewälzt, wie der große Hoffnungsträger der „Squadra Azzurra“ wieder fit zu bekommen ist. Teamchef Marcelo Lippi baute auf Totti - und hielt ihm den Platz im Kader frei. Im letzten Ligaspiel der Saison gab Totti sein Comeback gegen Milan. Für 35 Minuten. Eine Fußballnation atmete auf.

Bei der WM in Deutschland wurde Totti den Erwartungen gerecht: In der Gruppenphase bereitete er zwei Treffer vor, im Achtelfinale gegen Australien verwertete er den umstrittenen Elfmeter zum Siegestor in der Nachspielzeit. Nach einem historischen Triumph gegen Deutschland im Halbfinale und dem Sieg im Elfmeterschießen gegen Frankreich im Finale stand Totti am Ende seiner Ziele: die vierte Weltmeisterschaft für Italien. Ein Bild, das um die Welt ging: Totti knüpfte sich die italienische Flagge um den Kopf und beschwörte die goldene Trophäe.

„Weitermachen, bis ich 40 bin“

Seither hat Totti kein Länderspiel mehr bestritten. Mittlerweile ist er in seiner 21. Saison bei der Roma. Und selbst heute rufen noch manche nach seiner Rückkehr ins Nationalteam. Elf Tore gelangen ihm in der laufenden Serie-A-Saison. Eine Treffsicherheit, die auch der „Squadra Azzurra“ trotz Mario Balotelli und Co. gut zu Gesicht stünde. Wenn Totti seine Form beibehalte, orakelte zuletzt selbst Italiens Teamchef Cesare Prandelli, dann wäre er „verpflichtet“, sich über einen Einsatz bei der WM 2014 in Brasilien Gedanken zu machen.

„Seine Worte tun mir sehr gut“, antwortete Totti zurückhaltend, ohne ein etwaiges Comeback auszuschließen: „Im Moment geht es mir gut, aber von jetzt bis 2014 - wir werden sehen. Wer weiß.“ Im Verein hat Totti keine Avancen, aufzuhören: „Ich hoffe, ich kann weitermachen bis ich 40 bin“, diktierte Totti der „Gazzetta dello Sport“: „Ich werde mit Präsident James Pallotta darüber reden.“

Schließlich gibt es noch den Rekord von Silvio Piola einzustellen, der es auf 274 Tore in der Serie A brachte. Totti hält es für möglich: „Schon die letzten 20 Jahre sind wie im Flug vergangen. Weil ich alles, was ich getan habe, mit Leidenschaft gemacht habe.“

Mario Wally, ORF.at

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