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„Wir haben kein Geld, wir haben Herz“

Patrekur Johannesson ist, was man landläufig als „Bär“ bezeichnet. Der 1,95 m große und 100 kg schwere Isländer wirkt bei den Spielen von Österreichs Herren-Nationalteam wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung. In den hitzigen Partien gegen Serbien, die sensationellerweise mit einem Heimsieg und einem Auswärtsremis endeten, lieferte er sein bisheriges Meisterstück als ÖHB-Cheftrainer.

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Mit der Erfahrung aus 15 Profijahren, 243 Partien für die isländische Nationalmannschaft und einer Trainerstation in der zweiten deutschen Bundesliga (Emsdetten) trat der 40-Jährige im September 2011 das Amt an. Seither gab es für die ÖHB-Auswahl in 24 Spielen 15 Siege, ein Remis und acht Niederlagen. In der starken Qualigruppe mit Russland, Serbien und Bosnien befindet sich Österreich auf EM-Kurs. Was sich im österreichischen Handball dennoch ändern muss, warum es in Island kaum faule Spieler gibt und warum er seinen Kapitän vor Serbiens Trainer schützen musste, erzählt Johannesson im ORF.at-Interview.

ORF.at: War das Unentschieden in Serbien noch wertvoller als der Heimsieg davor in Graz?

Johannesson: Drei Punkte aus diesen zwei Spielen hat niemand von uns erwartet - außer wir selbst. Es waren nicht die Ergebnisse, sondern die Art und Weise, wie wir sie geschafft haben. Die Mannschaft hat nicht nur gekämpft, sie hat sehr gut Handball gespielt. Gute Heimspiele mit schönen Erfolgen über starke Mannschaften hat Österreich in den letzten Jahren schon einige gehabt. Aber auswärts so zu spielen wie gegen diese starken Serben, das war ein großer Schritt.

ORF.at: Hatten sie im Vorfeld der beiden Duelle schon so etwas wie eine Vorahnung, dass da etwas gehen könnte?

Johannesson: Etwas gut vorzubereiten ist die eine Sache. Aber wenn es dann so klappt, dann macht einen das natürlich sehr glücklich. Es ist wie auf der Uni: Wenn man viel und gut lernt, dann hat man auch eine gute Chance, die Prüfung zu schaffen. Nur wenn man in der Vorbereitung alles probiert, im Spiel alles versucht und der Gegner trotzdem besser ist, dann darf man auch verlieren.

Trainer Petrekur Johanesson und Viktor Szilagyi

GEPA/A. Djorovic

Teamchef Patrekur Johannesson und Kapitän Viktor Szilagyi ziehen die Fäden

ORF.at: Kann es sein, dass die Serben Österreich unterschätzt haben?

Johannesson: Ganz sicher nicht, und genau das macht das ganze noch wertvoller. Spätestens seit der Heim-EM 2010 ist jede Nation vor Österreich gewarnt. Uns unterschätzt niemand mehr. Die Serben waren topmotiviert und nach beiden Spielen war es in ihrer Kabine sehr laut.

ORF.at: Veselin Vukovic, der serbische Teamchef, und Sie sind während des Spiels in Zrenjanin und danach ein wenig aneinandergeraten...

Johannesson: Ach nein, es gab nur eine Aktion, als Viktor Szilagyi bei der Ersatzbank der Serben von ihm gestoßen wurde. Und da schütze ich meinen Spieler. Nachher habe ich ihm (Vukovic, Anm.) deshalb nur gesagt, dass wir zwar beide einmal Spieler waren, aber jetzt nicht mehr. Es war ein Spaß, aber er hat ihn wohl nicht verstanden (lacht). Am Schluss gab es viele Emotionen, aber das ist normal.

ORF.at: Was bedeuten diese Erfolge nun für die EM-Qualifikation?

Johannesson: Ich habe schon die Videos von Bosnien und Russland bestellt. In Bosnien wird es das Schlüsselspiel. Es liegt in unseren Händen, wir wollen diese Chance nutzen und dürfen nicht rechnen. Ich will, dass wir unseren Handball spielen, das ist wichtig. Wenn die Abwehr so funktioniert wie in Serbien, als wir die gegnerischen Würfe genauso bekommen haben, wie wir sie wollten, dann sieht es gut aus.

ORF.at: Was entspricht am ehesten ihrer Handball-Philosophie als Trainer?

Johannesson: Es hängt immer von der Mannschaft ab, die man trainiert. In Österreich habe ich mit Raul Santos und Robert Weber zwei sehr schnelle Außenspieler. Da kann man wunderbar Abwehr und Gegenstoß spielen. Wenn man die Spieler nicht hat, kann man davon träumen (lacht). Wenn wir statisch spielen, sind wir schlecht, auch das hat man in einigen Phasen in Serbien gesehen. Einfach zum Erfolg kommen, das geht nicht - und das muss jeder wissen.

ÖHB-Trainer Petrekur Johannesson wird von Serbien-Trainer Veselin Vukovic umarmt

GEPA/Aleksandar Djorovic

Johannesson und Gegenüber Vukovic beim Gedankenaustausch

ORF.at: Wie würden Sie die Mischung und das Klima im österreichischen Team beschreiben?

Johannesson: Wir haben schon auch Streit. Manchmal muss ich sehr laut werden. Aber generell habe ich in der Mannschaft die richtige Mischung aus älteren, jungen, ruhigen und lauteren Typen. Das passt zusammen. In Österreich ist die Auswahl doch sehr klein. Am Anfang habe ich viel darüber gemeckert und gejammert. Aber jetzt machen wir das Beste daraus.

ORF.at: Was muss sich in Österreich noch ändern?

Johannesson: Für die Zukunft wird entscheidend sein, ob die jungen, guten Spieler in der Handball Liga Austria (HLA, Anm.) auf ihren Positionen regelmäßig spielen oder nicht. Die Liga wird nie so stark sein wie die in Deutschland, Norwegen oder Dänemark. Deshalb muss man langfristig denken, mehr auf junge Spieler setzen. Und sie müssen auch Fehler machen dürfen. Auf der anderen Seite müssen diese Spieler auch wollen, zweimal pro Tag trainieren und für den Handball leben. Es gibt auch faule Spieler, die viel Potenzial hätten.

ORF.at: Kommen junge Spieler mit Potenzial nach?

Johannesson: Im Junioren-Nationalteam, bei den 94er-Jahrgängen schaut es schon gut aus. Ich beobachte sie regelmäßig, und da ist Potenzial vorhanden. Aber diese Spieler müssen in ihren Clubs eingesetzt werden, sie brauchen unbedingt Erfahrung. Ich hatte und habe viel Kontakt mit den Trainern. Es wird in der HLA gut gearbeitet.

ORF.at: Warum ist Island eine Handball-Großmacht?

Johannesson: In Island sind alle Sporthallen den ganzen Tag offen für alle Kinder. Und es gibt unglaublich viele Hallen. Wo ich wohne (Garbabaer, Anm.), haben wir 12.000 Einwohner und drei Sporthallen. Dann gibt es im isländischen Handball sehr viele Vorbilder - wie in Österreich beim Skifahren. Die jungen Spieler sind bereit, viel zu trainieren. Viele sind trainingsverrückt. Und die Medien schreiben über Handball. Manchmal steht in den isländischen Zeitungen mehr über mich und das österreichische Team als in österreichischen Zeitungen.

ORF.at: In Österreich fehlt den sogenannten Randsportarten das Geld. Wo kommt das Geld in Island her?

Johannesson: Wir haben kein Geld, wir haben Herz. Trainer und Spieler bekommen in Island eigentlich überhaupt kein Geld. Viele gehen um 7.00 Uhr zum ersten Training, dann in die Schule oder in die Arbeit und dann am späten Nachmittag oder Abend zum zweiten Training. Wenn man es dann als Profi nach Deutschland schafft, dann kommt das Geld.

ORF.at: Wollen Sie bald wieder Clubtrainer werden oder können Sie sich ein längeres Engagement beim ÖHB über 2015 hinaus vorstellen?

Johannesson: Ich bin nach meiner Zeit in Deutschland zurück nach Island gegangen, weil ich wollte, dass meine Kinder hier aufwachsen. Ich bleibe in den nächsten Jahren in Island, deshalb habe ich den Vertrag mit dem ÖHB auch so bis 2015 verlängert. Ich bin zufrieden beim österreichischen Team, das Umfeld ist gut. Erwin Gierlinger ist ein sehr guter Kotrainer und macht mich besser. Er hat großen Anteil an der Entwicklung. Ab 1. Juni werde ich zusätzlich Clubtrainer in Island. Da habe ich dann wieder 24 Stunden Handball, sieben Tage pro Woche - das brauche ich.

Das Gespräch führte Harald Hofstetter, ORF.at

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