Extremsportler als Rennleiter
„A bissl nervös bin ich schon, bisher kannte ich die meisten ja nur von hinten“ - mit diesem Satz hat Axel Naglich nach dem traditionellen Glockenschlag diese Woche die erste Mannschaftsführersitzung bei den 76. Hahnenkamm-Rennen eröffnet. Der 47-jährige Kitzbüheler ist beim bedeutendsten Skirennen der Welt erstmals Rennleiter. Erfahrung in diesem Bereich hat der Extremskifahrer aber genug.
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Seit sein Vorgänger Peter Obernauer 2006 das Rennleiteramt von Skilegende Toni Sailer übernommen hatte, fungierte Skibergsteiger Naglich als dessen Stellvertreter. Mit der Streif ist Naglich aber lebenslang verbunden: Aufgewachsen ist der Big-Mountain-Freeskier direkt neben der Strecke, Dutzende Male hat er sie als Vorläufer auch auf Rennski bezwungen. In der Organisation der Hahnenkamm-Rennen mischt Naglich seit über 20 Jahren mit.
Extremskifahrer, Bergsteiger und Filmemacher
Rennläufer und Trainer wissen, dass sie dem „Neuen“ keinen Bären aufbinden können. Der bergerfahrene Skifachmann ist nicht nur der neue Herr über die Streif, sondern auch jemand, den man einen „coolen Hund“ nennen könnte. Plattitüden hört man aus Naglichs Mund keine. Seine Ansagen sind direkt, abgebrüht und gehen auf den Punkt.
Das liegt an der großen Leidenschaft des hauptberuflichen Architekten. Naglich hat als Extremsportler viel Gefährliches erlebt und dabei auch fast senkrechte Hänge und Rinnen befahren, gegen die selbst die Kitzbüheler Mausefalle einfach wirkt. 2007 bezwang Naglich mit seinem Team etwa in Alaska vom Gipfel des Mount St. Elias bis auf Meeresniveau die längste Skiabfahrt der Welt.
„Wenn alles gutgeht, bist du ein Held“
Naglich ist aber auch ein Überlebender. Mehrere Kameraden hat er auf dem Weg verloren. Etwa Peter Ressmann, einen seiner Mitstreiter in Alaska. Die geplante Erstbefahrung des 8.611 Meter hohen K2 fiel aus, weil Teammitglied Fredrik Ericsson davor bei der Expedition von Gerlinde Kaltenbrunner am zweithöchsten Berg der Welt zu Tode gekommen war.
Kitz-Doku zum Nachsehen
Im spektakulären Dokumentarfilm „Streif - One Hell Of A Ride“ wirft Regisseur Gerald Salmina einen Blick hinter die Kulissen des Tiroler Megaevents. Noch bis Dienstag ist der Film in der TVthek abrufbar.
„Wenn alles gutgeht, bist du ein Held. Wenn nicht, bist du tot“, steht im Internetprofil des Familienvaters Naglich. 2010 war er im Himalaya selbst knapp dran gewesen: Bei dem Versuch herauszufinden, ob bereits vor Edmund Hillary jemand den Mount Everest bestiegen hat, entkamen Naglich und Filmregisseur Gerald Salmina einer Lawine nur um Haaresbreite.
Als Konsequenz ging man mit dem Streif-Film „One Hell of a Ride“ ein etwas weniger gefährliches Filmprojekt an. Salmina hatte davor auch „Mount St. Elias“ kinogerecht aufbereitet.
Kitzbüheler Skirennen der Superlative
Naglich weiß also, mit Verantwortung umzugehen. Als Rennleiter ist der Tiroler nun für den bestmöglichen Ablauf des spektakulärsten, größten und gefährlichsten Skirennens der Welt zuständig. Kaum wo wird so viel Aufwand für ein Skirennen betrieben wie bei den seit 1931 (seit 1967 im Weltcup) vom Kitzbüheler Ski Club (K.S.C.) organisierten Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel.
Kein Wunder, werden doch bei diesem weltweit bekannten Sport- und Society-Großevent, zu dem jährlich über 80.000 Zuschauer (der Rekord liegt bei 100.000) pilgern, mit einem Budget von knapp sieben Millionen Euro alleine in der Region an die 40 Mio. Euro umgesetzt und weltweit 500 Mio. TV-Kontakte erreicht. Rund 500 Medienvertreter berichten von dort.
„Eine Truppe leidenschaftlicher Skifanaten“
Naglich selbst steht bei der Abfahrt nicht auf dem Trainerturm, sondern hat sich eine eher einsame Position über der finalen Traverse nach der Hausbergkante gesucht. Von dort aus trifft er per Funk seine Entscheidungen. Als Kind des Ortes weiß Naglich genau, wann zum Beispiel heraufziehender Nebel einen Rennstopp erfordert und wann nicht.
Naglich sieht Kitzbühel als eine Showbühne, auf der die Strecke selbst ein ebenso großer Star ist wie die Rennläufer. Die finden ohnehin, dass es eine „Belohnung“ ist, bei der schwierigsten Abfahrt der Welt starten zu dürfen. Auch deshalb engagieren sich die KSC-Crews mit Herzblut. „Wir sind eine Truppe leidenschaftlicher Skifanaten, die unter dem Jahr alle mit etwas anderem beschäftigt sind“, erklärt Naglich. Deshalb seien speziell am Anfang Probleme und Pannen auch drin. Denn: „Beim Rennen hat jeder im Organisationskomitee pro Tag an die 20 Probleme zu lösen.“
Toni Sailer als größtes Vorbild
Weil Perfektionist Naglich aber eine erfahrene Truppe zur Verfügung steht, wird auch auf die kleinsten Schwierigkeiten sofort reagiert. Das hat der neue Rennleiter von seinen Vorgängern gelernt. Denn das ist man dem Ruf jenes Ortes, wo vor 50 Jahren auf der Seidlalm der Weltcup „erfunden“ wurde und dessen größter Sohn Toni Sailer vor 60 Jahren in Cortina d’Ampezzo mit dreimal Olympiagold Skigeschichte geschrieben hat, schuldig.
Der 2009 verstorbene Sailer ist auch Naglichs Held - nicht nur wegen der zahlreichen sportlichen Erfolge. Der „Schwarze Blitz von Kitz“ hat nach seinem frühen Karriereende bekanntlich auch als Schauspieler, Sänger, Skischulleiter, Trainer und Funktionär für Aufsehen gesorgt. Naglich: „Er war einer, den man heute einen ‚coolen Typen‘ nennen würde.“
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