Mehr Mannschaften, weniger Tore
Die Europameisterschaft 2016 geht in die entscheidende Phase. Nach 36 von 51 Spielen sind 16 Teams noch im Rennen, für acht - darunter Österreich - steigt die Endrunde nur noch vor dem TV-Gerät. Zeit für eine erste Zwischenbilanz: Relativ wenige Tore, starke Debütanten, aber auch Diskussionen über Fans und Rasen prägten die Gruppenphase.
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Erstmals wurde eine Vorrunde bei einer Europameisterschaft mit 24 Nationen gespielt. Der Europäische Verband (UEFA) erhoffte sich damit nicht nur mehr TV-Einnahmen, sondern auch mehr attraktive Spiele. Zumindest in Sachen Toren konnte die „Maxi-EM“ bisher die Erwartungen nicht erfüllen. In den Gruppenspielen fielen im Schnitt nicht einmal zwei Tore pro Partie. Genau waren es 1,92. Das einzige Torspektakel lieferten einander Portugal und Ungarn beim 3:3. Höchster Sieg war das 3:0 der Spanier über die Türkei. In vier Spielen gab es überhaupt keinen Treffer.
Highlights der Gruppenphase
Nach dem Ende der Gruppenphase ist es Zeit für eine Zwischenbilanz. An Highlights mangelte es in den ersten Spielen nicht.
EM der späten Tore
Weil in K.-o.-Runden selten Offensivfeuerwerke abgebrannt werden, könnte die EM 2016 den Wert des Turniers 1980 von 1,93 Toren pro Spiel unterbieten. Allerdings: Damals wurde die EM nur mit acht Teams ausgetragen. Der Negativrekord der EM 1960 (vier Teams, fünf Spiele) mit im Schnitt 1,4 Treffern bleibt unangetastet. Wales und Ungarn waren mit jeweils sechs Toren überraschend die treffsichersten Teams. Erstmals seit Dänemark 2000 blieb mit der Ukraine ein Team ohne Torerfolg.
Vorzeitig das Stadion auch bei einem Spielstand von 0:0 zu verlassen, war für Zuschauer der aktuellen EM bisher aber fahrlässig. Denn dann lief man Gefahr, zumindest ein Tor zu verpassen. Noch nie in der EM-Geschichte wurde in den letzten fünf Spielminuten oder in der Nachspielzeit so oft getroffen. Insgesamt 15 Treffer fielen erst gegen Ende der Spiele. Besonders lange Zeit ließ sich der Gastgeber. Die Franzosen erzielten alle drei ihrer bisherigen Treffer erst nach der 85. Minute.

APA/AP/Michel Spingler
Auch Irlands Tor zum Achtelfinal-Ticket fiel gegen Italien kurz vor Schluss
Die Aufstockung auf 24 Teams, die auch kleineren Fußballnationen das Tor zu einer EM-Endrunde öffnete, schlägt sich auch in der Taktik nieder. In der Österreich-Gruppe machten es Ungarn und vor allem Island vor, wie man vermeintlich stärkere Gegner in Schach hält und mit Toren zur richtigen Zeit sogar in die Knie zwingt. Österreich zog gegen beide den Kürzeren, Gruppenfavorit Portugal musste sich mit einem Remis begnügen.
Stimmungsvoller Debütantenball
Apropos Wales: Die Debütanten rund um Superstar Gareth Bale stehen stellvertretend für die bisher starke EM der Neulinge und aller „Inselkicker“. Fünf Nationen waren zum ersten Mal bei einer EM am Start, mit Wales, Nordirland, Island und der Slowakei schafften es vier davon in die K.-o.-Runde. Einzig Albanien blieb auf der Strecke. Der erste Sieg bei einer Europameisterschaft gelang allen fünf Debütanten. Österreich muss hingegen auch nach dem zweiten EM-Auftritt weiter auf einen Erfolg warten.
Auffallend war auch die Stärke der Mannschaften von diversen Inseln. So schafften es mit England, Wales und Nordirland alle drei Vertreter Großbritanniens ins Achtelfinale. Auch Irland und Island gaben ihren Fans weiter Grund, Urlaub auf dem Kontinent zu machen. Bis auf ein paar englische Radaubrüder in Marseille waren die Fans aller „Inselkicker“ bisher die Stimmungsmacher der EM. Die Aktionen der Fans südlich und nördlich der inneririschen Grenze - Stichwort „Will Grigg’s on fire“ - wurden zu Internethits, so wie die Leidenschaft eines isländischen TV-Kommentators.
Schwache Qualigruppe G?
Wer genau auf die Tabellen schaut, der entdeckt ein Kuriosum: Denn obwohl sich mit der ÖFB-Truppe, Schweden und Russland drei Teams aus der Qualigruppe für die Endrunde qualifizierten, geht das Achtelfinale ohne eine Mannschaft aus diesem Trio über die Bühne. Österreich, Russland und Schweden marschierten fast im Gleichschritt. Jeder holte nur einen Punkt, der ÖFB-Elf und Schweden gelang nur ein Tor. Im Fall der Skandinavier musste sogar der Ire Ciaran Clark mit einem Eigentor helfen. War die Qualigruppe G so schwach? „Nein“, meinte ÖFB-Kapitän Christian Fuchs, „alle drei Mannschaften wurden bei der EM unter Wert geschlagen.“
Nicht nur das Trio fehlt in der K.-o.-Phase, auch ein einstimmiger Titelfavorit kristallisierte sich in der Gruppenphase nicht heraus. Erstmals seit der EM 1996 in England erreichte kein Team das Maximum von neun Punkten aus drei Spielen. Titelverteidiger Spanien reichte gegen Kroatien eine 1:0-Führung nicht, um die Gruppenphase mit drei Siegen abzuschließen. Immerhin: Weltmeister Deutschland überstand die Vorrunde souverän und kassierte kein Gegentor. Eine weiße Weste hatte sonst nur Gruppengegner Polen.
Modus sorgt für Unmut
Die diversen Patzer der Favoriten sorgten dafür, dass der von der UEFA ersonnene Spielplan eine kuriose K.-o.-Phase bringt. Auf der einen Seite stehen Fußballgroßmächte wie Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich und England, die bei Welt- und Europameisterschaften insgesamt 33-mal im Finale standen und 20 Titel gewannen. In der anderen Hälfte kämpfen ausnahmslos titellose Nationen um den Finaleinzug. Nur Ungarn (WM 1938, 1954), Belgien (EM 1980) und Portugal (EM 2004) standen zumindest einmal in einem Finale.
„Wir müssen nun mit den Favoriten tanzen“, beklagte Spaniens Kapitän Sergio Ramos das kuriose Missverhältnis. Besonders in Spanien und Italien ist der Unmut groß. Schließlich wird einer der beiden Mitfavoriten bereits im direkten Achtelfinal-Duell auf der Strecke bleiben. So monierte die „Gazzetta dello Sport“ die „schlechte Organisation dieses Turniers“. Überhaupt fühlen sich viele Kritiker der Euro-Aufstockung auf 24 Teams angesichts des „schiefen Turnierbaums“ („Süddeutsche Zeitung“) bestätigt. Dabei haben sich die Spanier und Engländer mit ihren zweiten Gruppenplätzen selbst in die schwierige Lage manövriert.
Darüber hinaus verstärkte der langwierige und komplizierte Qualifikationsmodus für das Achtelfinale den Unmut. 36 Spiele waren nötig, um nur acht ausscheidende Teams zu ermitteln. Für weiteren Ärger sorgte die Unsicherheit: So bangten die Albaner nach ihrem 1:0 im letzten Gruppenspiel gegen Rumänien drei Tage um das Weiterkommen, ehe ihre vorzeitige Heimreise feststand. „Das kann nicht Sinn eines Turniers sein“, kritisierte Albaniens Mergim Mavraj in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, „ich hätte eine Entscheidung auf dem Platz als Sportler besser gefunden.“ Auch die Türken erlebten das Aus erst vor dem Fernseher, als Irland gegen Italien 1:0 gewann.
Fanrandale und schlechter Rasen
Abseits des sportlichen Geschehens hielten Hooligans die Sicherheitskräfte auf Trab und trübten das ansonsten bisher stimmige Fußballfest. Vor allem in Marseille ging es in der Stadt und auch im Stadion immer wieder rund. Russische Hooligans machten Jagd auf englische Fans, beide Gruppen lieferten sich Schlägereien mit der Polizei, und dann rückte auch eine unbelehrbare Gruppe die ungarischen Fans ins schlechte Licht. Kroatische Anhänger schossen mit Leuchtraketen und Böllerwürfen gegen Tschechien in Saint-Etienne den Vogel ab und kosteten ihrem Team letztlich einen Punkt und dem Verband viel Geld.
Heftige Kritik gab es bisher auch an dem Rasen. Vor allem der französische Teamchef Didier Deschamps beschwerte sich laut und oft über den Zustand des aus Niederösterreich angelieferten Geläufs. Rutschpartien waren auf dem Rasen, der laut Lieferant einfach zu spät geordert wurde, keine Seltenheit. Dass die Spieler keinen Halt fanden, lag aber auch am Wetter. Denn das war bei vielen Spielen bescheiden und so gar nicht sommerlich. Die Partie zwischen Nordirland und der Ukraine musste wegen eines Hagelgewitters sogar kurz unterbrochen werden.
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