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„Unglaubliche Emotionen“ am Wörthersee

Heftiges Unwetter, fast zweistündiges Bangen um die Durchführung des Spiels, verspäteter Anpfiff, früher Rückstand, Traumtor zum Ausgleich, frenetisch bejubelter Siegestreffer und schließlich unbändige Freude über den sensationellen, aber verdienten Erfolg über Weltmeister Deutschland: Der Fußballabend am Samstag bot eine fast unüberbietbare Dramaturgie und löste bei den Hauptprotagonisten des 2:1 über Joachim Löws DFB-Elf „unglaubliche Emotionen“ aus, wie Alessandro Schöpf und viele andere Spieler betonten.

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„Das erlebt man nicht jeden Tag“, bemerkte der Siegestorschütze vom Dienst treffend. Bereits am vergangenen Mittwoch hatte Schalke-Legionär Schöpf im Test gegen Russland entscheidend zum 1:0 getroffen. Da hatte Schöpf noch auf der linken Seite als defensivster Mittelfeldmann in Franco Fodas variantenreichem System gespielt. Diesmal wurde er vom deutschen ÖFB-Teamchef auf der rechten Seite als offensivster Mittelfeldspieler der zunehmend flexibel agierenden Österreicher eingesetzt.

Alessandro Schöpf

APA/EXPA/Johann Groder

Der entscheidende Moment: Alessandro Schöpf trifft an einem jetzt schon legendären Abend zum 2:1 gegen Deutschland

„Mir ist es komplett egal, wo ich spiele. Hauptsache ist, dass ich spiele“, sagte der 24-Jährige lachend. „Man muss ein Riesenlob an die gesamte Mannschaft aussprechen. Die zweite Halbzeit war unglaublich“, meinte Schöpf. „In der ersten Hälfte waren wir noch zu passiv, haben nicht in die Zweikämpfe gefunden und den Gegner zu viel spielen lassen“, analysierte er. „Aber dann war es genau unser Fußball: Auspowern bis zum Gehtnichtmehr, vorne anlaufen, den Gegner unter Druck setzen und damit zu Fehlern zwingen.“

„Es tut schon gut“

Wie für Schöpf und die meisten anderen ÖFB-Teamspieler war es auch für David Alaba ein Duell mit der sportlichen Heimat und damit natürlich kein Sieg wie jeder andere. Aufgezogen oder „gehäkerlt“ wie man so schön sagt werde von den gut bekannten und zumeist befreundeten deutschen Bundesliga-Kollegen trotzdem niemand, betonte der Bayern-Star. „Das steht uns nicht zu“, so Alaba. „Aber es tut schon gut, einmal wieder gegen Deutschland gewonnen zu haben nach so vielen Jahren. Beim letzten Sieg waren wir alle in der Mannschaft ja noch nicht einmal auf der Welt.“

„Wir haben uns heute belohnt für die harte Arbeit und wir werden diesen Weg weitergehen“, versprach der 25-Jährige, der gegen die DFB-Elf auf der linken Außenbahn einmal mehr ein echter Leistungsträger war. „Dieser Sieg war verdient, weil wir in der zweiten Hälfte besser waren und auch mehr Chancen hatten.“ Das sah auch Marko Arnautovic so, der dem Team nach sieben Siegen in Serie und einer bemerkenswerten Entwicklung in der noch kurzen Foda-Ära außerdem eine äußerst rosige Zukunft prophezeite.

Den Erfolg nicht kleinreden lassen

Auf dem Level der Deutschen sei man zwar trotz des Sieges in Klagenfurt noch nicht, stellte der von Manchester United umworbene West-Ham-Legionär klar. „Aber wir sind auf einem guten Weg“, so Arnautovic. „Wir sind am Reifen.“ Fünf Siege hat die ÖFB-Auswahl nun in fünf Spielen unter Foda geholt. „Wir können trotzdem noch sehr viel an uns arbeiten“, betonte Arnautovic. „Aber wenn wir so weitermachen, denke ich, werden die nächsten Turniere gut ausschauen für uns.“ Die EM 2020 ist das erklärte Ziel.

Österreich besiegt Deutschland

Nachdem das Spiel wegen eines Unwetters fast abgesagt werden musste, feierte Österreich einen 2:1-Sieg über den Weltmeister.

Den Prestigeerfolg gegen Deutschland will sich der 29-Jährige nicht kleinreden lassen. „Es wird Leute geben, die sagen, Deutschland hat nicht mit der ersten Elf gespielt - die sagen, die Deutschen haben vielleicht nicht mit 100 Prozent gespielt, die wollen sich nicht verletzen vor der WM“, spielte Arnautovic auf die möglichen Relativierungen an, weil der deutsche Bundestrainer Löw auf einige Stammspieler wie Toni Kroos, Mats Hummels, Thomas Müller oder Jerome Boateng verzichtete. „Aber es sind trotzdem die Deutschen“, sagte Arnautovic zu Recht. „Trotzdem sind da Spieler am Platz gestanden, die alle Weltklasseniveau haben.“

Österreich setzte dem vierfachen Weltmeister vor allem in der zweiten Hälfte mit Pressing gewaltig zu. „Ich glaube aber, dass Deutschland trotzdem noch immer der WM-Favorit ist“, meinte Arnautovic, der wegen eines gegen Russland erlittenen Schlages auf das Schienbein fraglich gewesen war. Er spielte trotz Tabletteneinnahme unter Schmerzen und bekam neuerlich einiges ab. „Ich kann mit Schmerzen umgehen“, versicherte der gebürtige Wiener, der diesmal auch die Fans in Klagenfurt explizit lobte.

Die Euphorie ist wieder entfacht

Von der Atmosphäre im Wörthersee Stadion angetan war natürlich auch Martin Hinteregger, der mit einem traumhaften Volleyschuss das 1:1 erzielte. „Es war zwar nur ein Freundschaftsspiel, aber es war schon eine wichtige Erkenntnis, dass wir auch gegen die ganz Großen gute Spiele abliefern können“, meinte der stürmisch gefeierte Verteidiger. „Anders hätte man den gar nicht nehmen können“, sagte der Augsburg-Legionär zu seinem herrlichen Treffer aus spitzem Winkel und vollem Lauf. „Augen zu und drauf auf die Kiste. Dass der dann in so einem Spiel so einschlägt, ist natürlich brutal geil“, freute sich der 25-Jährige über seinen mit Sicherheit aussichtsreichen Beitrag zur Wahl „Tor des Jahres 2018“.

David Alaba und Martin Hinteregger

GEPA/Mario Buehner

Martin Hinteregger durfte mit seinen Teamkollegen das fantastische Ausgleichstor bejubeln

Man habe nach der Pause die bisher beste Spielhälfte unter Teamchef Foda hingelegt. „Das war fantastisch“, so Hinteregger. „Die Stimmung war unglaublich. Alleine von mir waren 80 Leute im Stadion. Ein Wahnsinn, dass das heute gelaufen ist.“ Julian Baumgartlinger, der nach Schlusspfiff wie die Kollegen völlig erschöpft war, konnte da nur beipflichten. „Die Leistung war wirklich beachtlich, vor allem unter diesen Voraussetzungen und Bedingungen“, zollte der Kapitän seinem Team Respekt. „Es waren entscheidende Nuancen, die wir in der zweiten Hälfte geändert haben - vor allem Entschlossenheit und Mut.“ Das Warten auf die Entscheidung, das dreimalige Aufwärmen sei nicht leicht gewesen.

Nächste Mammutaufgabe wartet

„Der Aufwand, den wir betrieben haben, war riesengroß - um die Deutschen, die enorm ballsicher sind, so unter Druck zu setzen. Die kommen normalerweise gegen niemand unter Druck“, resümierte Baumgartlinger. „Wir dürfen wirklich stolz sein, wie wir es geschafft haben, immer wieder Bälle zu erobern, gefährlich zu werden und uns auf der anderen Seite keine schnellen Gegenangriffe einzufangen. Deutschland hat Spieler von unglaublicher Qualität, auch von der Bank. Ich bin beeindruckt vom Auftritt“, sagte der Leverkusen-Legionär. „Jetzt ist es unsere Aufgabe, dass es nicht wieder so lange dauert, bis wir gegen Deutschland gewinnen.“

Am nächsten Sonntag (16.00 Uhr, live in ORF eins) wollen die Österreicher in Wien nun auch gegen Brasilien überraschen. Für den Rekordweltmeister wird es der letzte Test vor der WM sein. „Wir haben viele Siege im Rücken. Natürlich kommt Brasilien, das wird noch einmal ein richtiger Härtetest“, meinte Hinteregger. „Aber wir wollen so auftreten wie gegen Deutschland, vor allem in der zweiten Hälfte. Wenn wir das schaffen, wird es wieder etwas Gutes werden. Ich hoffe, dass wir so etwas wie in Klagenfurt auch gegen Brasilien in Wien erleben, und dann in der Nations League, und dass wir wieder so eine richtige Euphorie entfachen, wie sie war“, erinnerte der Kärntner an die erfolgreiche EM-Qualifikation für 2016.

Regenerieren bis Mittwoch

„Ich glaube, dass wir eine unglaubliche Mentalität in der Mannschaft haben“, sagte Kollege Schöpf abschließend über das Erfolgsgeheimnis der Österreicher. Selbst jedes Trainingsspiel möchte jeder Spieler immer gewinnen. „Das übertragen wir dann ins Spiel. Ich glaube, dass das der Schlüssel zum Erfolg ist.“ Trainiert wird erst wieder am Mittwoch in Bad Tatzmannsdorf. Bis dahin müsse man in Eigenverantwortung regenerieren, so Aleksandar Dragovic. „Wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Gegen Brasilien werden wieder 100 Prozent gefragt sein“, sagte der Innenverteidiger. „Wenn einer nur 90 Prozent macht, verlieren wir.“

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