Das Leuchten in den Augen der Athleten
Im zweiten Teil des ORF.at-Interviews spricht der ehemalige Dopinghändler Stefan Matschiner über von ihm betreute Fußballer in Österreich, spanische Leichtathleten und seine eigenen Erfahrungen mit Doping als Mittelstreckenläufer.
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ORF.at: 2005 waren Sie neben der Tour bei der Leichtathletik-WM in Helsinki und bei der Vuelta für Bernhard Kohl und zwei andere Radprofis im Einsatz. Einer der beiden, ein renommierter Italiener, wurde, wie Sie schreiben, in keinem Dossier über die Humanplasma-Affäre erwähnt. Wie ist das möglich?
Matschiner: Weil sich die Leute bei Humanplasma nicht an Gesichter erinnern können. Wie geschrieben, denen ging es nicht ums Geschäft, mit der Patriotismus-Masche hat man sie damals überreden können und außerdem war niemand an Sport interessiert. Die Ausländer mussten dabei sein, um einen Wissensaustausch zu gewährleisten. Und es war ja nicht so, dass die Sportler dort Stunden verbrachten.
Und es waren insgesamt bei weitem nicht so viele Sportler und bei weitem nicht so viele Abnahmen, wie in manchen Medien kolportiert. Die Beutel waren nicht mit den Namen versehen, für mich also verständlich, dass nur ganz wenige Sportler eindeutig zu identifizieren waren.

APA/Roland Schlager
Mit der Dopingaffäre rund um Bernhard Kohl wurde auch Matschiner bekannt.
ORF.at: Hatten Sie in Ihrer Agentur Sportler unter Vertrag, die nicht auf Ihre Dopingdienstleistungen zurückgriffen?
Matschiner: Das waren sogar die meisten. Nur einige wenige meiner Athleten, die ich gemanagt habe, waren auch Empfänger. Das Verhältnis würde ich mit 75 zu 25 beziffern.
ORF.at: Sie schreiben aber konkret, neben den üblichen Verdächtigen wie Leichtathleten, Langläufern, Biathleten und Radfahrern in Ihrem Buch auch über Fußballer, die zu Ihren Klienten aus insgesamt elf verschiedenen Sportarten zählten.
Matschiner: Die betreuten Fußballer waren allesamt in österreichischen Ligen aktiv. Und um Ihrer nächsten Frage vorwegzugreifen. Ja, sie waren trotzdem nicht besser.
ORF.at: Angesichts des erneuten spanischen Dopingskandals um Eufemiano Fuentes, der diesmal vordergründig Leichtathleten betrifft, überrascht, dass Sie, wie im Buch dargestellt, deren gleich vier zu ihrem Kundenstock zählten. Wie kamen Sie zu den vier prominenten spanischen Leichtathleten?
Matschiner: Die Welt ist klein. Im Spezialbereich der Leichtathletik kennt so ziemlich jeder jeden. Das Thema Doping an sich wird intern ja relativ offen diskutiert. Nach außen hin gibt es halt keiner zu. Und so lernt man sich bei internationalen Meetings oder Meisterschaften kennen. „Word of Mouth“ wäre die einfachste Antwort.
Es wird damals wohl einen Leistungsengpass auf der Dopingschiene gegeben haben, also haben die Herrschaften bei mir angeheuert. Sie können sich das Leuchten in den Augen der Athleten nicht vorstellen, als sie meiner Zentrifugen ansichtig wurden.
ORF.at: Einer dieser Spanier wollte sich mit Ihnen und entsprechender Gerätschaft in Spanien etablieren - mit der Perspektive FC Barcelona. Was dachten Sie im Moment dieses Angebots wirklich?
Matschiner: Ehrlich? Völlig verrückt! Niemals! Außerdem habe ich keine Ahnung, wie gut seine Kontakte damals wirklich waren. Ich denke, dass er sich schnell Geld verdienen wollte und ich ihm dabei behilflich sein hätte können. Dass das Thema aber im Fußball genau so an der Tagesordnung ist, steht für mich außer Zweifel. Das weiß seit Fuentes ja wohl jeder, der es wissen will.

Gepa/Johannes Kernmayer
Matschiner erkannte im Selbstversuch: „Doping macht aus einem Ackergaul kein Rennpferd!“
ORF.at: Sie selbst probierten es in Ihrer aktiven Zeit als Mittelstreckenläufer mit Doping. Wie denken Sie heute darüber? War das zielführend oder in irgendeiner Weise befriedigend?
Matschiner: Völliger Wahnsinn, obwohl die Erfahrung keine schlechte war. Aber ich war so betriebsblind, dass ich nicht erkannt habe, dass ich im Spruch „Doping macht aus einem Ackergaul kein Rennpferd!“ der Ackergaul war. Aber hier setzt meine Kritik am System ja auch an. Wie kann man einen 28-Jährigen wieder in die HSNS aufnehmen und als Talent bewerten? Das „System“ hätte Jahre zuvor schon erkennen müssen, dass ich niemals im Profisport Fuß fassen kann. In den USA wäre ich mit 23 ausgesiebt worden - hat uns sehr gefreut ... und tschüss.
Diese ewigen Talente, die bei uns Jahr für Jahr um Förderungen u. ä. kämpfen, die Jahr für Jahr allen möglichen Entscheidungsträgern ihren nahen Durchbruch Richtung Weltklasse prophezeien, sind besonders gefährdet, zu Dopingmitteln zu greifen. Weil sie nicht loslassen können, weil sie von sich aus nicht bereit sind, ihren aussichtslosen Traum aufzugeben.
ORF.at: Ihr Buch, die Beschreibung der Dopingbeschaffung, -weitergabe und -anwendung, wirkt plausibel, zerstört aber die Hoffnung auf einen Erfolg im Kampf dagegen. Muss der nationale wie internationale Spitzensport damit auf die Disziplin Doping reduziert werden?
Matschiner: Nein, sollte er nicht. Was die Topathleten leisten, ist und bleibt top. Was erwarten wir, wenn wir den Fernseher aufdrehen oder zu Profisportveranstaltungen gehen? Wir wollen unterhalten werden. Auf hohem Niveau, so hoch wie möglich. Dieser Teil des Sports ist ohne medizinische Unterstützung oft nicht einmal gesund. Das muss man in diesem Zusammenhang auch einmal erwähnen. Da wird trainiert bis zum Umfallen, die Zellwände werden durchlässig für allerlei Viren und Bakterien. Eine kleine Dosis Testosteron ist vom rein medizinischen Standpunkt in jedem Fall gesünder, als sich eine Infektion einzuhandeln.
Die ethische Seite ist natürlich etwas anders. Meine Intention ist nicht anzuklagen, sondern Augen zu öffnen. Ein Fernsehsportler soll niemals meinen, dass er mit derselben pharmakologischen Unterstützung auch nur annähernd dieselbe Leistung wie ein Spitzensportler bringen kann. Doping zeichnet für etwa drei Prozent der Gesamtleistung verantwortlich. Allein diese Zahl untermauert, dass Spitzensport niemals nur auf Doping zu reduzieren ist.
Das Gespräch führte Michael Fruhmann, ORF.at
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