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„Harakiri mit Anlauf“

Seine Sportler haben drei Olympiasiege, vier WM-Titel und einen Europarekord verbucht und sind bei der Tour de France an 18 Tagen mit Gelben, Grünen oder Gepunkteten Trikots durchs Land gefahren. Stefan Matschiner „arbeitete“ mit Athleten aus elf Sportarten und 13 Nationen, darunter Spanien, Deutschland, Italien, Schweiz und Österreich.

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Matschiner lieferte immer und überallhin. Was immer gefragt war, er war zur Stelle. Und sei es sogar nach den folgenschweren Dopingrazzien im Olympiaquartier der ÖSV-Nordischen 2006 in Turin. Als ein Langläufer, der seinen großen Auftritt noch vor sich hatte, dringend versorgt werden musste, war Matschiner zur Stelle. Für Matschiner stand völlig außer Zweifel: „Ich würde diesen Blutbeutel seinem ‚rechtmäßigen‘ Besitzer überbringen - sofern er das wollte, doch davon war auszugehen.“

Mit gleichen Waffen

„Der Sportler hatte sich diesen Vorrat nach seinem ersten Wettkampf in Turin angelegt, er rechnete mit diesem Beutel, er sollte nicht seine Chancen aufgrund besonderer Umstände, für die er nichts konnte, begraben müssen. Er hatte es verdient, mit gleichen Waffen gegen die ach so saubere Konkurrenz zu kämpfen.“

Matschiner behauptet: „Nicht viele hätten sich damals darauf eingelassen, ein paar Tage nach den Razzien mit einem Blutbeutel, der ganz offensichtlich nicht für medizinische Zwecke bestimmt war, in der Region Sestriere aufzukreuzen. Harakiri mit Anlauf nennt man das wohl. Dass mir dieser Kick zusätzlichen Spaß bereitete, will ich gar nicht abstreiten.“

Und so erklärte er dem Langläufer die Lage, stieß nach anfänglichem Misstrauen wie erwartet auf großes Interesse und vereinbarte Ort und Zeitpunkt des konspirativen Treffens. Für Matschiner galt es nun, das Risiko zu minimieren. Eines war klar: Am Steuer eines Pkws mit österreichischem Kennzeichen sollte er besser nicht auftauchen, also pilotierte er ein Auto mit italienischem Kennzeichen, das er auf dem Flughafen Verona angemietet hatte.

Keine große Affäre

Noch am gleichen Abend saß Matschiner etwas außerhalb von Pragelato bei jenem Langläufer im Zimmer. Der setzte sich die Nadel selbst, das Zusammenstecken der Apparatur erledigte Matschiner. „Keine große Affäre bei dieser Art von Beuteln. Man bringt ihn auf Körpertemperatur, hängt das Transfusionsbesteck an, lässt die Luft raus und verbindet dann Butterfly-Nadel und Besteck.“

„Aus den Überbleibseln der Aktion bastelte ich ein kleines Paket, umwickelte es mit Tape und entsorgte die Blutdoping-Rückstände, indem ich sie tags darauf auf der Heimfahrt irgendwo zwischen Pragelato und Turin aus dem fahrenden Auto heraus eine steile Böschung hinunterwarf.“

Der in der Folge ins Leben gerufenen ÖSV-Untersuchungskommission unter der Leitung von Arnold Riebenbauer log er in Innsbruck ins Gesicht. Was haben Sie in Turin gemacht? „G’soffen!“ Und: „Nein, von Doping habe ich nichts mitbekommen.“ Vor der Geschäftsstelle des Österreichischen Skiverbandes in Innsbruck, wo Maschiner befragt wurde, parkte damals sein Auto: voll mit EPO, für eine geplante Übergabe in Innsbruck.

Im Aufzug mit Armstrong

Wie dreist Matschiner agierte, lange vor dem Dopingfall Bernhard Kohl, zeigt eine andere Episode - neuer Schauplatz: Tour de France 2005. Matschiner schmuggelte als Geschäftsmann (eleganter Anzug, Krawatte, Aktentasche unter dem Arm) getarnt für einen seiner damaligen Abnehmer einen Blutbeutel ins Zimmer.

„Ich betrat das riesige Hotel, in dem drei oder vier Teams untergebracht waren, völlig unbehelligt, würdigte die Securityleute keines Blickes, durchmaß mit festem Schritt die Lobby und steuerte zielsicher den Lift an. Es war absolut ausreichend, mit guter Kleidung zu blenden. Kein Ruhmesblatt für die Veranstalter der Tour de France.“

Matschiner dazu weiter: „Als ob es noch einer Bestätigung meines totalen Triumphs bedurft hätte, teilte ich die Liftkabine mit einem, dem man nachsagt, er hätte meine Lieferung wohl auch zu würdigen gewusst: Lance Armstrong. Wie gerne hätte ich ihn angesprochen, ein wenig fachgesimpelt, ein Angebot unterbreitet. Zum Glück siegte der Verstand über den unternehmerischen Ehrgeiz, ich stieg im zweiten Stock aus und beließ es bei einem anerkennenden Zunicken.“

Ärgerlicher Betriebsunfall

Die Enttäuschung folgte prompt. Sein avisierter Kunde teilte ihm mit, er sei wegen eines überhöhten Hämatokritwertes („Ein ärgerlicher Betriebsunfall“) aus dem Rennen genommen worden. Er wurde jedoch nicht mit der dafür vorgesehen Schutzsperre bedacht, sondern musste die Tour wie aus heiterem Himmel aufgeben - „die Tour stand so ein wenig sauberer da und dem Athleten wiederum blieb der schauspielerische Akt aufgesetzter Ahnungslosigkeit erspart“. Zumindest ein weiterer, völlig identisch gelagerter Fall sei bei dieser Tour 2005 belegt.

Danach hatte er schon im Jahr 2005 die Vuelta und seine drei damaligen Radkunden (u. a. Bernhard Kohl) mehr oder weniger erfolgreich heimgesucht, auch die Leichtathletik-WM in Helsinki - um Grüße von Humanplasma zu überbringen, wie auch unzählige Male später. Der Schauplatz wechselte, das Ziel blieb dasselbe. Das Blut war stets mit ihm.

Michael Fruhmann, ORF.at

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