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Spanische Nacht in Kiew

Spanien hat im EM-Finale gegen Italien in mehrfacher Hinsicht Fußballgeschichte geschrieben. Dank eines beeindruckend herausgespielten 4:0-Rekordsieges holten die Spanier am Sonntagabend im Olympiastadion von Kiew den dritten großen Titel in Serie. Nach dem Triumph 2008 in Wien und dem WM-Sieg 2010 in Südafrika schafften sie außerdem die erste erfolgreiche Titelverteidigung der EM-Historie.

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Highlights vom Finale in insider.ORF.at

Der spanische Torhüter und Kapitän Iker Casillas durfte nach einer weiteren großen Vorstellung der Spanier vor 64.000 Zuschauern den „Coupe Henri Delaunay“ in Empfang nehmen, weil David Silva (14.), Jordi Alba (41.), Fernando Torres (84.) und Juan Mata (88.) ein einseitiges Endspiel mit ihren Toren entschieden hatten. Der 61-jährige Vicente del Bosque stieg damit nach dem WM-Finalsieg vor zwei Jahren gegen die Niederlande endgültig zum spanischen Teamchefhelden auf. Gegenüber Cesare Prandelli blieb die Krönung einer starken EM versagt.

Jubel von Fernando Torres (Spanien)

Reuters/Kai Pfaffenbach

Fernando Torres jubelte wie vor vier Jahren in Wien über den EM-Titel

Für die Spanier war es nach 1964 und 2008 der dritte EM-Titel. Damit schlossen sie zum bisher alleinigen Rekordeuropameister Deutschland auf, der 1972, 1980 und 1996 die Euro-Trophäe erobert hatte. Spanien feierte noch dazu den höchsten Finalsieg in der langen Geschichte von Welt- und Europameisterschaften. Der erst in der Schlussphase eingewechselte Torres sicherte sich mit seinem Treffer und einem Assist auch den Titel des Torschützenkönigs des Turniers.

Spanien braucht keinen Stürmer

Del Bosque hatte „La Furia Roja“ erneut mit einer während des Turniers oft hinterfragten 4-6-0-Formation in die Partie geschickt. Cesc Frabregas gab die Spitze in der spanischen Ansammlung von herausragenden Mittelfeldspielern. Klassische Vollstrecker wie Torres und Fernando Llorente drückten wieder die Ersatzbank. Prandelli vertraute im Wesentlichen auf die italienische Siegerelf vom Halbfinale gegen Deutschland. Der rechte Außenverteidiger Alvaro Abate kehrte nach überwundener Muskelverletzung zurück in die Mannschaft.

Spanien nahm das Finale mit derselben Aufstellung in Angriff wie das erste Gruppenspiel gegen die Italiener (1:1). Nach dem Anpfiff durch Referee Pedro Proenca aus Portugal, der auch das Champions-League-Finale zwischen Chelsea und Bayern München geleitet hatte, starteten Andres Iniesta und Co. dementsprechend abgebrüht. Wie an der Schnur gezogen lief der Ball durch die spanischen Reihen. Bei einem Kopfball von Sergio Ramos (7.) und einem Schuss von Xavi (10./hauchdünn über die Latte) nach Doppelpass mit Fabregas hatte Italien noch Glück.

1,70 m reichen „Kopfballungeheuer“ Silva

In der 14. Minute konnte aber auch „Fortuna“ die „Squadra Azzurra“ nicht vor dem frühen Rückstand bewahren. Iniesta sandte den eröffnenden Pass in den Strafraum, wo sich Fabregas auf der rechten Seite gegen Giorgio Chiellini durchsetzte. Die kurze, scharfe Flanke des Barcelona-Profis traf den heranstürmenden Silva genau an der Stirn - und der Ball landete zum bereits völlig verdienten 1:0 im linken Kreuzeck. Für den nur 1,70 m großen Stürmer vom englischen Meister Manchester City war es das zweite Turniertor, für die Italiener ein echter Alptraumstart.

Jubel der Spanier David Silva und Cesc Fabregas

dapd/Oliver Lang

Vorbereiter Cesc Fabregas herzt den Torschützen David Silva

Für Chiellini sollte es noch schlimmer kommen: Nach nur 20 Minuten humpelte der Juventus-Abwehrmann verletzt vom Feld, für ihn kam Federico Balzaretti (Palermo). Vom präzisen, effektiven Spiel, das Italien beim 2:1 über die Deutschen ausgezeichnet hatte, war weit und breit nichts zu sehen. Abspiel- und Stellungsfehler prägten vielmehr die halbherzigen Angriffe der Italiener in den ersten 30 Minuten. Nur bei einem verdeckten Flachschuss von Antonio Cassano (29.) musste Casillas seine Ruhe und Klasse unter Beweis stellen.

Vorentscheidung durch Außenverteidiger

Halbfinal-Held Mario Balotelli war bis dahin in der von Sergio Ramos und Gerard Pique zusammengehaltenen Viererkette bestens aufgehoben. Als Cassano (33.) aus der Distanz noch einmal abzog, war Casillas wieder auf dem Posten. Viel zu dominant agierten die Spanier, um Italien auch nur ansatzweise in die Partie kommen zu lassen. Stoisch gelassen durfte Del Bosque aus der Coachingzone beobachten, wie seine Elf das bisherige Sensationsteam entzauberte. Der italienische Spielgestalter Andrea Pirlo kam kaum an den Ball - und Spanien ließ nicht locker.

Tor von Jordi Alba (Spanien)

APA/EPA/Sergey Dolzhenko

Jordi Alba brachte Spanien endgültig auf die Siegerstraße

Ein genialer Pass von Xavi leitete dann das vorentscheidende zweite Tor ein. Mit der fast schon gewohnten und dennoch unglaublichen Präzision schickte der Barca-Star seinen Neo-Clubkollegen Jordi Alba alleine in Richtung Gianluigi Buffon. Der für 14 Millionen Euro von Valencia zu den Katalanen gewechselte Außenverteidiger ließ dem italienischen Keeper keine Chance und schob den Ball mit links eiskalt zum 2:0 (41.) ins Netz. Angesichts deren klarer Überlegenheit schien die Vorentscheidung zugunsten der brillanten Spanier schon vor der Pause gefallen.

Elferalarm und Verletzungspech

Prandelli war gezwungen zu reagieren. Der in den letzten Tagen medial gefeierte Coach der Italiener brachte mit Antonio di Natale einen neuen Stürmer für den blass gebliebenen Cassano. Nur wenige Augenblicke nach Wiederbeginn hätte der Udinese-Torjäger mit einem Kopfball (46./knapp über die Latte) beinahe für den perfekten Start in die zweite Hälfte gesorgt. Drei Minuten später hatte Italien dann großes Glück: Nach einem Kopfball von Ramos beging Leonardo Bonucci im Strafraum ein klares Handspiel. Schiedsrichter Proenca gab den fälligen Elfmeter nicht.

Di Natale sorgte nun für etwas mehr Gefahr im spanischen Sechzehner, fand in Casillas (51.) aber seinen Meister. Als Prandelli seinen dritten Wechsel vornahm und den wenig überzeugenden Riccardo Montolivio durch Thiago Motta ersetzte, wollte er damit nach knapp einer Stunde ein offensives Finish einleiten. Als der PSG-Mittelfeldmann nur wenige Minuten später verletzt vom Feld getragen wurde, löste sich auch diese letzte italienische Hoffnung in Luft auf. Mit nur zehn Mann - das Austauschkontingent war erschöpft - hatte man keine Chance mehr.

Torjubel von Juan Mata (Spanien)

AP/Vadim Ghirda

Spaniens Edeljoker Torres und Mata

Spanischer Doppelschlag als Draufgabe

Schon gar nicht gegen eine spanische Mannschaft, die den Ball schon gegen elf Gegner so gut wie gar nicht hergegeben hatte. Del Bosque gönnte Fabregas (75.) noch einen Sonderapplaus und verhalf Torres so zu einem weiteren EM-Finaleinsatz, nachdem der Chelsea-Stürmer vor vier Jahren gegen Deutschland das entscheidende Tor erzielt hatte. Davor war auch Silva ausgewechselt worden, für ihn durfte Pedro Rodriguez vom FC Barcelona in die längst gelaufene Partie.

Während die Spanier weiter munter ihrem berühmten „Tiqui-taca“ nachgingen, quälten sich die Italiener über die Zeit. Auch Balzaretti verletzte sich in den letzten Minuten, hielt aber bis zum Schlusspfiff durch. Damit blieb ihm aber auch nicht der weitere Doppelschlag der Spanier erspart. Torres war der Mann, der die spanischen Fans noch einmal verzauberte. Zunächst traf der zuletzt oft und hart kritisierte Angreifer nach einem weiteren Traumpass von Xavi souverän in die lange Ecke zum 3:0 (84.).

In der 88. Minute legte Torres dann noch das 4:0 auf. Sein unmittelbar zuvor eingewechselter Chelsea-Clubkollege Juan Mata nahm die Vorarbeit dankend an und sorgte für den Schlusspunkt einer großen Endrunde. Da Torres als dreifacher Torschütze mit einem Assist weniger EM-Einsatzminuten hatte als der Deutsche Mario Gomez mit der gleichen Scorerleistung, holte er sich den Titel des Torschützenkönigs.

Harald Hofstetter, ORF.at

UEFA EURO 2012, Finale

Sonntag:

Spanien - Italien 4:0 (2:0)

Kiew, Olympiastadion, 64.000 Zuschauer, SR Proenca (POR)

Torfolge:
1:0 Silva (14.)
2:0 Alba (41.)
3:0 Torres (84.)
4:0 Mata (88.)

Spanien: Casillas - Arbeloa, Pique, Ramos, Alba - Xavi, Busquets, Alonso - Silva (59./Pedro), Fabregas (75./Torres), Iniesta (87./Mata)

Italien: Buffon - Abate, Barzagli, Bonucci, Chiellini (21./Balzaretti) - Marchisio, Pirlo, Montolivo (57./Motta), De Rossi - Balotelli, Cassano (46./Di Natale)

Gelbe Karten: Pique bzw. Barzagli

Die Besten: Iniesta, Xavi, Casillas, Silva bzw. Pirlo

Statistik zum Spiel:

Spanien Italien
9 Torschüsse 6
14 Schüsse 11
17 Fouls 10
3 Eckbälle 3
3 Abseits 3
52 % Ballbesitz 48 %

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